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Glück

Credit Suisse bulletin, 1999/06

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ALPHA BLONDY<br />

MAGAZIN<br />

RACHID TAHA<br />

wie «El Carretero», vorwiegend<br />

aber neue Stücke in diesem<br />

typisch senegalesischen<br />

Rumba-Swing, wie ihn die<br />

Musiker im Dakar der Sechziger<br />

und Siebziger zur Perfektion<br />

entwickelten. Daraus<br />

machten sie wenig später den<br />

sogenannten Mbalach, heute<br />

die senegalesische Popmusik<br />

schlechthin. Dass Africando<br />

als Band und «Yaye Boy» als<br />

Song nicht nur in Westafrika<br />

und in Weltmusikkreisen zum<br />

Riesenhit wurde, sondern<br />

auch bei den «richtigen» Salseros,<br />

also in Lateinamerika<br />

und bei den Latinos der USA,<br />

ist an sich schon ziemlich bemerkenswert.<br />

Was mal aus<br />

Afrika kam, in Kuba neu generiert<br />

wurde, nach Afrika heimkehrte<br />

und dort abermals neue<br />

Blüten trieb, das kam nun<br />

wieder zurück nach Amerika.<br />

Aber die Krone setzte diesem<br />

Hin und Her das kubanische<br />

Orquesta Aragón auf, als es<br />

«Yaye Boy» nun im original<br />

westafrikanischen Wolof in<br />

sein Repertoire aufnahm.<br />

Die Geschichte der Musik<br />

– und die Geschichte der<br />

Menschheit – ist voll von<br />

derart fantastischen Storys.<br />

Bis vor kurzem allerdings hat<br />

sich eigentlich höchstens die<br />

Musikethnologie dafür interessiert.<br />

Tatsächlich braucht<br />

es offenbar eine ganz persönliche<br />

Erfahrung, eine Art<br />

Schlüssel, um unsere Ohren<br />

für andere Musikwelten zu<br />

öffnen.<br />

SIERRA MAESTRA<br />

Für viele wird eine Reise<br />

in ein Entwicklungsland zu<br />

diesem Schlüssel. Irgendwann<br />

landet man mehr oder weniger<br />

zufällig in der Karibik, in<br />

Zimbabwe oder auf den Kapverdischen<br />

Inseln, wo die<br />

Sound Systems Tag und Nacht<br />

Salsa-, Mbira- oder Coladera-<br />

Musik in die Landschaft hinausblasen.<br />

Und wenn es vor<br />

Ort nicht gleich Klick macht,<br />

so fährt die Liebe oft nachträglich<br />

umso heftiger ein.<br />

Andere finden, nach Jahrzehnten,<br />

einfach die westliche<br />

Popmusik langweilig, Jazz<br />

aber zu kopflastig und klassische<br />

europäische Musik zu<br />

wenig aktuell und landen so<br />

in irgendeiner Ecke der musikalischen<br />

Welt respektive der<br />

Weltmusik. Denn es ist schon<br />

wahr: Verglichen mit dem<br />

Rest des Planeten, von Indien<br />

über Afrika bis Lateinamerika,<br />

ist die westliche Musik, vor<br />

allem im rhythmischen Bereich,<br />

von imposanter Primitivität.<br />

Eins, zwei, drei, vier, und<br />

alle zusammen im gleichen<br />

Takt – man fragt sich schon,<br />

warum wir Europäer auf diesem<br />

Niveau verharren, das ein<br />

bisschen weiter südlich oder<br />

östlich bereits Kleinkinder weit<br />

hinter sich lassen. Mit dem<br />

Wesen der Polyrhythmie tun<br />

sich ganz neue Dimensionen<br />

auf – sowohl musikalisch als<br />

auch bewusstseinsmässig,<br />

gesellschaftlich und sowieso<br />

körperlich. Jedes Mitglied<br />

spielt seinen eigenen Rhythmus,<br />

oft sogar mit diversen<br />

Körperteilen mehrere Rhythmen<br />

gleichzeitig, und fügt<br />

sich damit nicht nur ins Ganze<br />

ein, sondern treibt es eben<br />

durch diesen persönlichen<br />

Beitrag erst richtig mit an.<br />

«Die Intelligenz des Körpers»<br />

nannte das mein erster Tanzund<br />

Perkussionslehrer, der<br />

Kongolese Lucky Zebila.<br />

Richtig – der Körper spielt ja<br />

auch viele Rhythmen gleichzeitig<br />

und macht daraus ein<br />

harmonisches Ganzes.<br />

Manche Leute geraten<br />

übers Spirituelle zur Weltmusik.<br />

Zentralasiatische Obertongesänge<br />

zum Beispiel können<br />

einen schon ganz schön<br />

verrückt machen. Dass heutzutage<br />

Stimmen wie die des<br />

ebenfalls dahingegangenen<br />

Sufi-Meisters Nusrat Fateh<br />

Ali Khan im Westen ebensoviel<br />

Verehrung geniessen wie<br />

im heimatlichen Pakistan,<br />

wundert nur die, die Nusrat<br />

noch nie gehört haben.<br />

Ein riesiger Markt ist die<br />

Weltmusik trotz riesigem Publikum<br />

nur sehr bedingt. Zwar<br />

steht ausser Zweifel, dass<br />

damit Geld verdient wird, sehr<br />

viel Geld. Schon das Heimpublikum<br />

jedes einzelnen<br />

Sounds konsumiert, gerade in<br />

den Entwicklungsländern, in<br />

der Regel massenhaft Musik.<br />

Dazu kommen auch mehr<br />

denn je Phänomene wie das<br />

der Rumba in Afrika bis hin<br />

zum Punkt, wo zum Beispiel<br />

Jamaikas zweitstärkste Devisenquelle<br />

die Reggaemusik<br />

ist, die in die ganze Welt exportiert<br />

wird. Das grosse Problem<br />

bei all diesen Umsätzen<br />

ist die Piraterie. Gerade in<br />

den Entwicklungsländern gibt<br />

es praktisch keine Urheberrechte,<br />

und wenn es welche<br />

gibt, setzt sie niemand durch.<br />

Damit haben die Piraten freie<br />

Bahn, sich am Schaffen der<br />

Musikerinnen und Musiker, an<br />

der Mühe der Produktionsfirmen<br />

gratis dumm und dämlich<br />

zu verdienen. Wenn Alpha<br />

Blondy von seinem neuen<br />

Album in Westafrika 1000<br />

lizenzierte Alben verkauft, so<br />

gehen gleichzeitig 100 000<br />

Raubkopien über die Ladentische,<br />

und von denen sehen<br />

weder Blondy noch seine<br />

Plattenfirma auch nur einen<br />

Rappen. Mit dem Niedergang<br />

der Staatswirtschaften im<br />

Osten hat sich das Problem<br />

noch verschlimmert, sodass<br />

grosse und kleine Plattenfirmen<br />

heute an allen Fronten<br />

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