Glück
Credit Suisse bulletin, 1999/06
Credit Suisse bulletin, 1999/06
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GLÜCK<br />
WALL STREET KENNT KEINE GNADE FÜR GURUS<br />
Börsengurus haben einen schweren Stand. Kaum einem gelingt es, seinen<br />
Status über eine längere Zeit zu wahren – zu turbulent gebärden sich die<br />
Finanzmärkte. Dies musste auch Elaine Garzarelli erfahren. Die junge Analystin<br />
der amerikanischen Handelsbank Lehman Brothers, so die Zeitschrift<br />
«Bilanz», war eine der wenigen, die den Schwarzen Montag von 1987 vorhergesagt<br />
hatte. Über Nacht wurde die attraktive Bankerin von den Medien zum<br />
Börsenstar hochgejubelt. Allerdings bröckelte der Lack ab, als sich ihre Fehlprognosen<br />
häuften. Die von Garzarelli verwalteten Fonds hinkten immer mehr<br />
dem Gesamtmarkt hinterher. 1994 fiel die Expertin mit Millionengehalt einer<br />
Sparübung ihres Arbeitgebers zum Opfer. Auch mit ihrer eigenen Investment-<br />
Firma konnte sie nie mehr an den Ruhm vergangener Tage anknüpfen. Sie<br />
verschlief den Boom, der in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre einsetzte,<br />
und als sie verspätet doch ins Lager der Optimisten – in der Börsensprache<br />
Bullen genannt – wechselte, war ihre Glaubwürdigkeit völlig dahin.<br />
«POPULAR MECHANICS», 1950:<br />
Bei anderen technischen Errungenschaften<br />
wiederum brannte den Futurologen die<br />
Phantasie durch. In den Sechzigerjahren<br />
sahen Atomkraft-Euphoriker das Zeitalter<br />
kommen, in dem aus dieser unerschöpflichen<br />
Quelle die ganze Welt ihren Strombedarf<br />
decken könnte. Die Euphorie ist<br />
längst schon der Ernüchterung gewichen,<br />
und in vielen Ländern steht der Ausstieg<br />
aus der Atomenergie weit oben auf der<br />
politischen Agenda. Die Experten hatten<br />
die sicherheitstechnischen Probleme der<br />
Kernenergie unterschätzt.<br />
Manch eine Zukunftsvision geriet auch<br />
deshalb zum Rohrkrepierer, weil der<br />
Wunsch allzu sehr Vater der Prognose<br />
war. Endlos sprudelnde Atomenergie, individuelles<br />
Hubschrauber-Vergnügen, Mondund<br />
Marssiedlungen: Die rosa Brille hat<br />
dem einen oder anderen Prognostiker den<br />
klaren Blick vernebelt.<br />
Ins andere Extrem verfallen sind die notorischen<br />
Schwarzseher, zu denen beileibe<br />
nicht nur Weltuntergangsprophetinnen<br />
«IM JAHR 2000 WERDEN WIR AUS<br />
WASSERLÖSLICHEN<br />
WEGWERFTELLERN ESSEN.»<br />
vom Schlage einer Uriella gehören. Es gibt<br />
auch Wissenschaftler von Rang und<br />
Namen, die nicht müde werden, vor Katastrophen<br />
zu warnen. Einer ihrer prominentesten<br />
Vertreter ist der englische Ökonom<br />
Thomas Robert Malthus. In seiner Schrift<br />
«Essay on the Principle of Population»<br />
aus dem Jahre 1798 verkündete Malthus,<br />
dass sich die Weltbevölkerung mit der<br />
Geschwindigkeit einer geometrischen<br />
Reihe vermehre (also 2, 4, 8, 16, 32), die<br />
Produktion von Nahrungsmitteln dagegen<br />
nur in einer arithmetischen Reihe (2, 4, 6,<br />
8, 10). Die verhängnisvolle Konsequenz:<br />
Regelmässige Hungerkatastrophen und<br />
Kriege werden die Menschheit geisseln<br />
PAUL EHRLICH, BIOLOGE, 1968:<br />
und dem Bevölkerungswachstum Einhalt<br />
gebieten. <strong>Glück</strong>licherweise eine der grössten<br />
Fehlprognosen der Geschichte. Sechs<br />
Milliarden Menschen besiedeln heute die<br />
Erde, gegenüber knapp einer Milliarde zu<br />
Malthus’ Zeiten. Zwar sind Hunger und<br />
Unterernährung noch lange nicht überwunden,<br />
doch sehen die meisten Experten<br />
die Ursachen dafür im Versagen der Politik,<br />
nicht aber in der Überbevölkerung.<br />
Malthus hatte zwei wichtige Faktoren<br />
übersehen: erstens die menschliche Innovationskraft,<br />
die zu einer gigantischen Produktivitätssteigerung<br />
in der Landwirtschaft<br />
führte, und zweitens die abnehmende Geburtenrate<br />
bei zunehmendem Wohlstand.<br />
Dennoch sind Malthusianer nicht ausgestorben.<br />
Als1972 der Club of Rome seinen<br />
Bericht über die Grenzen des Wachstums<br />
veröffentlichte, kroch der Geist des Briten<br />
einmal mehr aus der Flasche. Die Autoren<br />
rechneten vor, dass bis zur Jahrhundertwende<br />
die Ressourcen erschöpft sein<br />
würden. Die Zerstörung der Umwelt,<br />
gepaart mit der Bevölkerungsexplosion,<br />
führe zu einem Kollaps der Weltwirtschaft.<br />
Eine rapide steigende Sterberate liesse<br />
schliesslich die Weltbevölkerung rasch<br />
schrumpfen.<br />
«Unsere Welt wird immer besser»<br />
Einer jedoch wollte schon damals nicht<br />
einstimmen in den allgemeinen Chor der<br />
Pessimisten: Julian Simon, der im letzten<br />
Jahr verstorbene liberale amerikanische<br />
Ökonom. Mit einer List forderte er die<br />
Unheilsverkünder heraus: Er wettete mit<br />
jedem, der wollte, dass die Welt morgen<br />
besser sein werde als heute. Einsatz war<br />
ein Monatslohn. Der Herausforderer<br />
konnte irgendeinen Indikator für mensch-<br />
«DIE BEVÖLKERUNG DER USA<br />
WIRD BIS INS JAHR 2000 AUF<br />
22,6 MILLIONEN SCHRUMPFEN.»<br />
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CREDIT SUISSE BULLETIN 6 |99