22.09.2017 Aufrufe

Glück

Credit Suisse bulletin, 1999/06

Credit Suisse bulletin, 1999/06

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

GLÜCK<br />

WALL STREET KENNT KEINE GNADE FÜR GURUS<br />

Börsengurus haben einen schweren Stand. Kaum einem gelingt es, seinen<br />

Status über eine längere Zeit zu wahren – zu turbulent gebärden sich die<br />

Finanzmärkte. Dies musste auch Elaine Garzarelli erfahren. Die junge Analystin<br />

der amerikanischen Handelsbank Lehman Brothers, so die Zeitschrift<br />

«Bilanz», war eine der wenigen, die den Schwarzen Montag von 1987 vorhergesagt<br />

hatte. Über Nacht wurde die attraktive Bankerin von den Medien zum<br />

Börsenstar hochgejubelt. Allerdings bröckelte der Lack ab, als sich ihre Fehlprognosen<br />

häuften. Die von Garzarelli verwalteten Fonds hinkten immer mehr<br />

dem Gesamtmarkt hinterher. 1994 fiel die Expertin mit Millionengehalt einer<br />

Sparübung ihres Arbeitgebers zum Opfer. Auch mit ihrer eigenen Investment-<br />

Firma konnte sie nie mehr an den Ruhm vergangener Tage anknüpfen. Sie<br />

verschlief den Boom, der in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre einsetzte,<br />

und als sie verspätet doch ins Lager der Optimisten – in der Börsensprache<br />

Bullen genannt – wechselte, war ihre Glaubwürdigkeit völlig dahin.<br />

«POPULAR MECHANICS», 1950:<br />

Bei anderen technischen Errungenschaften<br />

wiederum brannte den Futurologen die<br />

Phantasie durch. In den Sechzigerjahren<br />

sahen Atomkraft-Euphoriker das Zeitalter<br />

kommen, in dem aus dieser unerschöpflichen<br />

Quelle die ganze Welt ihren Strombedarf<br />

decken könnte. Die Euphorie ist<br />

längst schon der Ernüchterung gewichen,<br />

und in vielen Ländern steht der Ausstieg<br />

aus der Atomenergie weit oben auf der<br />

politischen Agenda. Die Experten hatten<br />

die sicherheitstechnischen Probleme der<br />

Kernenergie unterschätzt.<br />

Manch eine Zukunftsvision geriet auch<br />

deshalb zum Rohrkrepierer, weil der<br />

Wunsch allzu sehr Vater der Prognose<br />

war. Endlos sprudelnde Atomenergie, individuelles<br />

Hubschrauber-Vergnügen, Mondund<br />

Marssiedlungen: Die rosa Brille hat<br />

dem einen oder anderen Prognostiker den<br />

klaren Blick vernebelt.<br />

Ins andere Extrem verfallen sind die notorischen<br />

Schwarzseher, zu denen beileibe<br />

nicht nur Weltuntergangsprophetinnen<br />

«IM JAHR 2000 WERDEN WIR AUS<br />

WASSERLÖSLICHEN<br />

WEGWERFTELLERN ESSEN.»<br />

vom Schlage einer Uriella gehören. Es gibt<br />

auch Wissenschaftler von Rang und<br />

Namen, die nicht müde werden, vor Katastrophen<br />

zu warnen. Einer ihrer prominentesten<br />

Vertreter ist der englische Ökonom<br />

Thomas Robert Malthus. In seiner Schrift<br />

«Essay on the Principle of Population»<br />

aus dem Jahre 1798 verkündete Malthus,<br />

dass sich die Weltbevölkerung mit der<br />

Geschwindigkeit einer geometrischen<br />

Reihe vermehre (also 2, 4, 8, 16, 32), die<br />

Produktion von Nahrungsmitteln dagegen<br />

nur in einer arithmetischen Reihe (2, 4, 6,<br />

8, 10). Die verhängnisvolle Konsequenz:<br />

Regelmässige Hungerkatastrophen und<br />

Kriege werden die Menschheit geisseln<br />

PAUL EHRLICH, BIOLOGE, 1968:<br />

und dem Bevölkerungswachstum Einhalt<br />

gebieten. <strong>Glück</strong>licherweise eine der grössten<br />

Fehlprognosen der Geschichte. Sechs<br />

Milliarden Menschen besiedeln heute die<br />

Erde, gegenüber knapp einer Milliarde zu<br />

Malthus’ Zeiten. Zwar sind Hunger und<br />

Unterernährung noch lange nicht überwunden,<br />

doch sehen die meisten Experten<br />

die Ursachen dafür im Versagen der Politik,<br />

nicht aber in der Überbevölkerung.<br />

Malthus hatte zwei wichtige Faktoren<br />

übersehen: erstens die menschliche Innovationskraft,<br />

die zu einer gigantischen Produktivitätssteigerung<br />

in der Landwirtschaft<br />

führte, und zweitens die abnehmende Geburtenrate<br />

bei zunehmendem Wohlstand.<br />

Dennoch sind Malthusianer nicht ausgestorben.<br />

Als1972 der Club of Rome seinen<br />

Bericht über die Grenzen des Wachstums<br />

veröffentlichte, kroch der Geist des Briten<br />

einmal mehr aus der Flasche. Die Autoren<br />

rechneten vor, dass bis zur Jahrhundertwende<br />

die Ressourcen erschöpft sein<br />

würden. Die Zerstörung der Umwelt,<br />

gepaart mit der Bevölkerungsexplosion,<br />

führe zu einem Kollaps der Weltwirtschaft.<br />

Eine rapide steigende Sterberate liesse<br />

schliesslich die Weltbevölkerung rasch<br />

schrumpfen.<br />

«Unsere Welt wird immer besser»<br />

Einer jedoch wollte schon damals nicht<br />

einstimmen in den allgemeinen Chor der<br />

Pessimisten: Julian Simon, der im letzten<br />

Jahr verstorbene liberale amerikanische<br />

Ökonom. Mit einer List forderte er die<br />

Unheilsverkünder heraus: Er wettete mit<br />

jedem, der wollte, dass die Welt morgen<br />

besser sein werde als heute. Einsatz war<br />

ein Monatslohn. Der Herausforderer<br />

konnte irgendeinen Indikator für mensch-<br />

«DIE BEVÖLKERUNG DER USA<br />

WIRD BIS INS JAHR 2000 AUF<br />

22,6 MILLIONEN SCHRUMPFEN.»<br />

28<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 6 |99

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!