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Hinz&Kunzt 297 November 2017

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WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Titelgeschichte<br />

Sie zahlen Mietpreise, wie man<br />

sie sonst nur aus dem feinen<br />

Harvestehude oder Szenevierteln<br />

wie Ottensen und St. Pauli<br />

kennt. Tatsächlich aber leben die Mieter<br />

in der Seehafenstraße 9 beengt, ohne<br />

eigene Küche und Bad, am Rande<br />

des Harburger Industriehafens. Sie klagen<br />

über Schimmel, Kakerlaken und<br />

Ratten.<br />

Niemand käme auf die Idee, dort<br />

freiwillig hinzuziehen (siehe hierzu das<br />

Interview auf Seite 12). Wer allerdings<br />

auf dem Wohnungsmarkt keine Chance<br />

hat, der landet schnell in solch einer<br />

Schrottimmobilie wie in der Seehafenstraße.<br />

Für den Eigentümer ist das ein<br />

Segen. Er vermietet zimmerweise und<br />

kommt schlussendlich auf Mietpreise,<br />

die in keinerlei Verhältnis mehr zur<br />

Lage und dem Zustand der Wohnungen<br />

stehen.<br />

Den Vorwurf<br />

der Abzocke<br />

bestreitet der<br />

Eigentümer.<br />

In der Seehafenstraße 9 waren zuletzt<br />

99 Mieter behördlich gemeldet. Verteilt<br />

auf zehn Wohnungen. So viele Menschen<br />

konnten nur deshalb in dem<br />

maroden Altbau leben, weil sich bis zu<br />

vier Familien eine Wohnung teilen.<br />

Auf Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfrage erklärt<br />

der Eigentümer, dass er nur mit 43 Erwachsenen<br />

Mietverträge abgeschlossen<br />

habe.<br />

Wirklich überrascht haben dürfte<br />

ihn trotzdem nicht, dass aktuell deutlich<br />

mehr Menschen in dem Haus wohnen.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> liegt ein Mietvertrag vor,<br />

den der Eigentümer im Frühjahr 2013<br />

für ein Zimmer mit vier Erwachsenen<br />

abgeschlossen hat.<br />

Sein Geschäftsgebaren hält der Eigentümer<br />

offenbar nicht für anstößig. Er<br />

kündigt „umfangreiche Renovierungsmaßnahmen“<br />

für das kommende Jahr<br />

an. Dass bei einer solch massiven Überbelegung<br />

die Anzahl der Mülltonnen<br />

nicht ausreichen könnte, kommt dem<br />

Eigentümer nicht in den Sinn. Dass sich<br />

inzwischen Kakerlaken und Ratten in<br />

den Häusern tummeln, hätten vielmehr<br />

die Mieter zu verantworten. Denen<br />

wirft er „nicht sachgemäße Müllentsorgung“<br />

vor.<br />

Mit dieser Haltung steht der Eigentümer<br />

inzwischen allein auf verlorenem<br />

Posten. Er hat Bezirk, Behörden und<br />

Zoll gegen sich aufgebracht. Ende September<br />

führten sie eine ausführliche<br />

Kontrolle in der Seehafenstraße 9 und<br />

dem Nachbarhaus durch. Es habe Hinweise<br />

bezüglich möglicher Überbelegung,<br />

Unbewohnbarkeit von Wohnraum<br />

sowie nicht korrekter Angaben in<br />

Mietverträgen gegeben, ließ die Sozialbehörde<br />

verlauten.<br />

Neu sind diese Hinweise eigentlich<br />

nicht. Bereits 2014 berichtete Spiegel<br />

TV über Wuchermieten, bauliche<br />

Mängel und eine Überbelegung. Doch<br />

nichts passierte. Dieses Mal allerdings<br />

müssen die Eigentümer beider Häuser<br />

laut Hamburger Morgenpost mit „ernsten<br />

Konsequenzen“ rechnen.<br />

Den Mietern wiederum will die Sozialbehörde<br />

helfen. Als etwa das Gesundheitsamt<br />

Schimmel im Bad feststellte,<br />

wurde eine zeitlich befristete<br />

alternative Unterbringung angeboten,<br />

damit der Vermieter den Schaden beseitigen<br />

konnte. 30 Bewohner zogen<br />

umgehend aus beiden Häusern aus. Sie<br />

fanden Platz in einem Containerdorf in<br />

Poppenbüttel.<br />

Welche Auflagen der Eigentümer<br />

am Ende tatsächlich erfüllen muss, ist<br />

noch unklar. Frühestens im <strong>November</strong><br />

sei mit einem Ergebnis der Überprüfungen<br />

zu rechnen, teilt Behördensprecher<br />

Marcel Schweitzer Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

mit. Ein zentraler Vorwurf lautet: Der<br />

7<br />

Eigentümer habe das Jobcenter abgezockt,<br />

da Mieten von Hilfeempfängern<br />

im Haus auf falschen Quadratmeterangaben<br />

basierten.<br />

Den Vorwurf der Abzocke bestreitet<br />

der Eigentümer allerdings. Ein Zimmer<br />

mit circa 27 Quadratmetern koste<br />

kalt lediglich 310 Euro. Die hohen<br />

Neben kosten von 265 Euro resultierten<br />

aus dem Umstand, dass Mieter „ohne<br />

Einverständnis“ weitere Bewohner in<br />

ihre Wohnungen geholt hätten.<br />

Der Eigentümer<br />

hat Bezirk,<br />

Behörden und<br />

Zoll gegen sich.<br />

Komisch nur, dass auch in Mietverträgen,<br />

die nur mit einer Person abgeschlossen<br />

wurden, solch hohe Nebenkostenzahlungen<br />

vereinbart wurden.<br />

Das zeigt ein aktueller Mietvertrag, der<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> vorliegt. So als habe der<br />

Eigentümer eingeplant, dass später<br />

weitere Menschen mit einziehen. Doch<br />

selbst wenn eine höhere Bewohnerzahl<br />

mehr Strom und Wasser verbraucht,<br />

bezweifelt der Mieterverein zu Hamburg<br />

die Rechtmäßigkeit der Nebenkosten.<br />

Allerdings müssten für eine<br />

Überprüfung erst einmal Abrechnungen<br />

des Vermieters vorliegen.<br />

Und was machen derweil die verbliebenen<br />

Mieter? Die sind längst verzweifelt<br />

auf der Suche nach neuen<br />

Wohnungen (siehe auch Seite 8). Sollte<br />

das nicht funktionieren, steht nach<br />

Angaben der Sozialbehörde der städtische<br />

Unterkunftsbetreiber fördern und<br />

wohnen bereit, der für alle Bewohner<br />

zumindest Platz in einem Wohncontainer<br />

bereithält. •<br />

Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de

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