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Leo Februar 2018

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GESELLSCHAFT<br />

Ressentiments und eine Anti-EU-Haltung<br />

prägen die polnische Regierungspolitik und<br />

sollen die Schwächen kaschieren. In diesen<br />

Zeiten erscheint Lutz van Dijks Buch. Die<br />

Buchpremiere endet in einer angeregten<br />

Diskussion. Zu einem Eklat kommt es nicht.<br />

Der befürchtete Besuch von polnischen<br />

Neonazis blieb aus. Joanna Ostrowska weist<br />

darauf hin, dass dieses Buch erst das zweite<br />

polnische Buch zum Thema Homosexualität<br />

und NS-Zeit in Polen überhaupt ist. Lutz<br />

van Dijk erkennt einen Hoffnungsschimmer:<br />

„Wichtig ist es nun, Bündnisse zu schließen,<br />

um auch unter widrigen Bedingungen gemeinsam<br />

für Veränderung zu streiten.“<br />

AUSCHWITZ<br />

Etwa 80 Kilometer westlich von Kraków liegt<br />

die Kleinstadt Oświęcim. Über Jahrhunderte<br />

lebten hier Juden und Nichtjuden zumeist<br />

friedlich zusammen. Heute leben keine<br />

Juden mehr in Oświęcim. Oświęcim ist unter<br />

seinem deutschen Namen weltweit bekannt:<br />

Auschwitz. In und um Oświęcim errichteten<br />

die Nationalsozialisten Konzentrationslager.<br />

Das Außenlager Auschwitz-Birkenau steht<br />

als Synonym für den Zivilisationsbruch:<br />

Etwa 1,5 Millionen Menschen wurden hier<br />

ermordet, zumeist Juden wurden mit Zyklon<br />

B „vergast.“ Wer jemals das riesige Gelände<br />

mit den Stacheldrahtumzäunungen, den<br />

Holzbaracken und der Rampe der Selektion<br />

gesehen hat, der wird es nie vergessen. Beim<br />

Anblick der Gaskammern und der Krematorien<br />

erfüllte mich eine tiefe Scham. Am 27.<br />

Januar 1945 rückte die Rote Armee vor und<br />

befreite die wenigen Überlebenden des Vernichtungslagers.<br />

2005 erklärte die UNO den<br />

27. Januar zum internationalen Gedenktag.<br />

Beim Eintritt in das Stammlager von Auschwitz<br />

durchläuft man das Tor mit der zynischen<br />

Aufschrift „Arbeit macht frei.“ Hier befinden<br />

sich die meisten Ausstellungsräume.<br />

In den ehemaligen Baracken wird vor allem<br />

die Judenvernichtung dokumentiert, aber<br />

auch auf andere Opfergruppen hingewiesen,<br />

so zum Beispiel auf die Sinti und Roma. Erst<br />

nach langen Auseinandersetzungen wird<br />

auch an diese Opfergruppe in der Gedenkstätte<br />

Auschwitz angemessen erinnert.<br />

Dass es auch in Auschwitz homosexuelle<br />

Opfer gab, erfährt der Besucher nur, wenn<br />

LUTZ VAN DIJK<br />

er sich die Ausstellungstafeln mit dem von<br />

den Deutschen eingeführten Winkelsystem<br />

genau anschaut. Die KZ-Häftlinge<br />

mussten farbige Winkel nach den von den<br />

Nazis festgelegten Kategorien tragen. Hier<br />

ist auch der rosa Winkel für die schwulen<br />

Häftlinge dokumentiert. Nach polnischem<br />

Forschungstand konnten bislang 77<br />

schwule Opfer dokumentiert werden. Der<br />

Hannoveraner Historiker Rainer Hoffschildt<br />

kommt auf 131. Doch die Forschung zu<br />

den schwulen Opfern in Auschwitz steht<br />

erst am Anfang und natürlich befanden<br />

sich in allen Opfergruppen auch Lesben<br />

und Schwule. Lutz van Dijk war von Anfang<br />

an Mitglied des Hamburger Auschwitz-<br />

Komitees, das sich um Bildungsangebote<br />

und die Erinnerung an den Holocaust<br />

bemüht. Bereits 1989 reiste er mit einer<br />

Gruppe schwuler Männer nach Auschwitz.<br />

FOTO: B. NIENDEL<br />

Seit einiger Zeit bemüht er sich um das<br />

Andenken an die homosexuellen Opfer in<br />

Auschwitz und steht im Austausch mit<br />

der Gedenkstätte. Im Oktober 2017 bot<br />

er erstmals den Guides der Gedenkstätte<br />

eine freiwillige Weiterbildung zum Thema<br />

an. Trotz der Tabuisierung des Themas<br />

fanden sich mehr als fünfzig Guides ein.<br />

ERINNERUNGSPOLITIK<br />

Im Zentrum der nationalsozialistischen<br />

Vernichtungspolitik stand<br />

die Ermordung der Juden Europas.<br />

Etwa sechs Millionen Juden wurden<br />

ermordet. Doch es gab auch weitere<br />

Opfergruppen, so die Sinti und<br />

Roma. Des Weiteren waren neben<br />

anderen auch Homosexuelle betroffen.<br />

Nach heutigem Forschungsstand<br />

wurden etwa 5.000 bis 10.000 Homosexuelle<br />

in Konzentrationslager verbracht.<br />

Etwa 2/3 überlebten die Qualen nicht. Nur<br />

wenige Historiker, wie zum Beispiel Dr.<br />

Günter Grau, forschten zur Verfolgung von<br />

Schwulen im NS, die die Nazis mit dem<br />

1935 verschärften §175 intensivierten.<br />

Die Historikerin Dr. Claudia Schoppmann<br />

machte durch ihre Forschung öffentlich,<br />

dass auch Lesben von Verfolgung betroffen<br />

waren. Manche, die nur auf die unterschiedliche<br />

Qualität der Verfolgung von<br />

Lesben und Schwulen verweisen, laufen<br />

Gefahr, damit die Verfolgung von Lesben<br />

im NS zu ignorieren. Nichtsdestotrotz<br />

wurde die Verfolgung von Homosexuellen<br />

im Nationalsozialismus lange Zeit verschwiegen.<br />

Nicht zuletzt deshalb, weil der<br />

§175 auch nach 1945 in Ost (wenngleich<br />

weit kürzer) und West weiter angewandt<br />

wurde. Viele Gedenkstätten und -orte in<br />

Deutschland weisen mittlerweile auf die<br />

Verfolgung der Homosexuellen hin. Der<br />

Deutsche Bundestag hat im vergangenen<br />

Jahr endlich die nach 1945 verfolgten<br />

Homosexuellen rehabilitiert und entschädigt.<br />

Der späte Zeitpunkt zeugt vom<br />

schwierigen Umgang mit der Thematik.<br />

Seit 1996 wird im Deutschen Bundestag<br />

am Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus<br />

erinnert. Die lesbischen<br />

und schwulen Opfer waren bislang kein<br />

Thema. Eine von Lutz van Dijk initiierte<br />

Petition möchte dies ändern.<br />

Der Autor Bodo Niendel reiste im<br />

Oktober 2017 für zehn Tage mit dem<br />

Hamburger Auschwitz-Komitee nach<br />

Oświęcim und Kraków.

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