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PRINTmore_2-17

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Am Kiosk<br />

Die Entdeckung<br />

der Langsamkeit<br />

In der PRINT&more-<br />

Rubrik »Am Kiosk« stellt<br />

in jeder Ausgabe ein<br />

Chefredakteur seinen<br />

Lieblingstitel vor – alles ist<br />

erlaubt, außer den eigenen<br />

zu präsentieren …<br />

Das dänische Magazin »Kinfolk« überzeugt durch seine Andersartigkeit<br />

Mit der Verwandtschaft ist es ja so eine<br />

Sache. Man mag sie, oder Teile<br />

von ihr, oder eben nicht. Da gibt es<br />

den von gemütlicher Körperfülle umrundeten<br />

Opa mit antiquierten Ansichten, mit dem man<br />

abends beim Bier versackt. Da gibt es die zu<br />

dünne, zu laute Tante im zu engen Kleid mit zu<br />

blonden Haaren, der man kaum länger als zwei<br />

Minuten zuhören kann, weil einen nach kurzer<br />

Beschallung ein unangenehmer Tinnitus<br />

heimsucht. Da gibt es aber auch den unge kämmten<br />

Cousin zweiten Grades, der am Tisch nie<br />

vor Kopf sitzt und am liebsten gar nicht auffällt.<br />

Ihn um gibt eine merkwürdig selbstverständliche,<br />

stille Entspanntheit. Erziehen oder<br />

gar än dern will er einen nicht. Das wäre ja anmaßend.<br />

Er ist ein fach da und (ge)hört (da)zu.<br />

Diese Art von Ver wandt schaft war mir persönlich<br />

immer die liebste.<br />

Ins Englische übersetzt bedeutet Verwandtschaft<br />

übrigens kinfolk. »Kinfolk« heißt auch<br />

ein Magazin, das nichts von der Tante, wenig<br />

vom Onkel und noch am meisten vom erwähn<br />

ten Cousin hat. Die Themen drehen sich<br />

um Design, Mode, Kunst, aber auch um das<br />

Ze lebrieren einer kalkulierten Langsamkeit,<br />

von Kultiviertheit im Allgemeinen, ob zu Hause<br />

oder im Büro.<br />

Im Münchner Bahnhofskiosk, wo<br />

ich dem Magazin vor einigen Jahren<br />

zum ersten Mal begegnete, ist es<br />

weit hinten, unten, versteckt. Damals<br />

blickte mir vom »Kinfolk«-<br />

Cover eine zart-brünette junge Frau<br />

mit zurückgenommenem Haar ent -<br />

gegen, in schwarzem Rollkragenpulli<br />

und écrufarbenem Regenmantel,<br />

einen kastigen Lederruck sack auf<br />

dem Rücken. Ein bisschen retro und<br />

dabei hochmodern wirkte das, was<br />

ich gerade sah. In seiner Klarheit<br />

und Schlichtheit schien mir der Titel<br />

in dem schier unüberschauba ren<br />

Wust greller Slogans und knalliger<br />

Fotos auf den Modemagazinen aus<br />

den USA und Großbritannien wohltuend<br />

und geradezu trotzig zurückhaltend,<br />

so als wollte er sagen: Schreit<br />

nicht so, es ist die Aufregung doch<br />

sowieso nicht wert.<br />

In dem Bestreben, sich abzu gren zen – die besondere<br />

»Kinfolk«-Bild sprache ist mittlerweile<br />

legendär –, hat das Magazin rein gar nichts<br />

Zwanghaftes. Wie selbstverständlich zelebriert<br />

es optisch wie inhaltlich und sprachlich eine<br />

Zartheit in der Annährung an seine Themen,<br />

die vielen anderen journalistischen, neudeutsch,<br />

»Contents« und ihren blattmacherisch grobklotzigen<br />

Endergebnissen abhandengekommen<br />

ist. Chefredakteur Nathan Williams, der das<br />

Magazin gemeinsam mit Freunden 2011 gegründet<br />

hat, beschreibt es in einem Interview<br />

als stillen, friedvollen Ort, quasi als Refugium<br />

für die Leser. Das ist es.<br />

Banal ist »Kinfolk« bei aller Tempoarmut<br />

allerdings niemals. Die Beiträge sind interessant<br />

und anders gedreht, die Texte sprachlich<br />

wie inhaltlich dicht. Überfrachten ist keine Option,<br />

stattdessen kommt jede Seite mit wenigen<br />

wohlgesetzten Gestaltungselementen aus, die<br />

das Auge zur Entspannung einladen. Verschiedene<br />

Papiergrammaturen dienen als hapti sches<br />

Leitsystem durch das Magazin. Und der Duft …<br />

Schon das Aufschlagen ist ein Erlebnis. Und<br />

während ich blättere und mein Blick auf den<br />

Seiten ruht, lehne ich mich zurück und denke:<br />

Schreit nicht so, es ist die Aufregung doch sowieso<br />

nicht wert.<br />

Tanja Braemer<br />

Chefredakteurin<br />

»Garten + Landschaft«<br />

(Fachmedium des Jahres 20<strong>17</strong>)<br />

68<br />

PRINT&more 2/20<strong>17</strong>

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