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soziologie heute August 2011

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22 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>August</strong> <strong>2011</strong><br />

pro<br />

Brauche<br />

Atomen<br />

Alfred Rammer<br />

Das 25-Jahre-Jubiläum der Tschernobylkatastrophe und das rezente Unglü<br />

weltweit an. Wie jedes ethische Problem verlangt auch dieses eine nüchtern<br />

gumente. Umfassend kann die Auseinandersetzung auf zwei Seiten nicht se<br />

Ich halte eine Welt ohne Atomkraftwerke und ohne -bomben für wünschenswert. Ich zweifle daran, dass dieser<br />

grundsätzliche Standpunkt ausreichend Argumente dafür liefert, den Ausstieg aus der Kernenergieproduktion zu<br />

fordern. Jedenfalls halte ich auch angesichts der Katastrophe in Japan die Entscheidung, weiterhin auf Atomenergie<br />

zu setzen, für rational vertretbar.<br />

Mit Wissenschaft und Technik gelang es den Menschen zumindest in einigen Teilen der Welt, Schritt für Schritt die<br />

vielfältigen, natürlichen Gefährdungen weitgehend in den Griff zu bekommen. Freilich wuchsen mit der Freiheit auf<br />

der einen die Zwänge auf der anderen Seite. Wirtschaft, Wissenschaft und Technik entwickelten vor allem während<br />

der letzten drei Jahrhunderte eine Dynamik, aus der nicht mehr auszusteigen ist.<br />

Mit dem Zugriff auf den Atomkern und den Zellkern (Genom) haben wir, so behauptet Erwin Chargaff, die Schwelle<br />

zu neuen Dimensionen aufgestoßen. Die Folgen der Anwendung dieses Wissens sind unübersehbar, ihre Beherrschbarkeit<br />

darf zumindest bezweifelt werden. Ähnlich meint auch Günther Anders, dass wir der Perfektion unserer<br />

Produkte nicht gewachsen sind.<br />

Die luziden Analysen der beiden (die ich nur stellvertretend für viele andere nenne) münden in Warnungen, denen<br />

leider nur allzu oft verkürzt oder überhaupt nicht Gehör geschenkt wird. In der politischen Realität finden deren<br />

Beiträge lediglich dort ihren Niederschlag, wo sie für Wirtschaft und Politik kaum Auswirkungen haben.<br />

Den Versäumnissen in der Vergangenheit hat die je gegenwärtige Gesellschaft Tribut zu zollen. Das europäischamerikanische<br />

Entwicklungsmodell der letzten 350 Jahre, welches den Menschen in diesen Erdteilen einen nie zuvor<br />

gekannten Lebensstandard ermöglichte, weitet sich unaufhaltsam über die gesamte Erde, die eine derartige Belastung<br />

offensichtlich nicht aushalten wird, aus. Eine etwaige Lösung des Problems muss auch eine realistische Chance<br />

der Umsetzung haben.<br />

Der anstehende Klimawandel ist eine der drängendsten Herausforderungen der Menschen. Um ihn zu vermeiden, ist<br />

es wohl bereits zu spät. Ihn in einigermaßen erträglichen Grenzen zu halten, ist Gebot der Stunde und der Zukunft.<br />

Der ehemalige Chefökonom der Weltbank Nicholas Stern veröffentlichte 2006 die Studie „Stern Review on the Economics<br />

of Climate Change“, die bis 2050 einen Einbruch der globalen Wirtschaftsleistung um 20 % vorhersagte, sollten<br />

die Emissionen von Treibhausgasen nicht massiv reduziert werden. Die durch Nicht-Handeln entstehenden Schäden<br />

an Mensch und Material würden die Aufwendungen für Maßnahmen des Klimaschutzes weit übertreffen. Inzwischen<br />

revidierte Stern seine Arbeit und zeichnet ein noch düsteres Szenario. Der sogenannte „Weltklimarat“ (Intergovernmental<br />

Panel on Climate Change) zeichnet ein ähnliches Bild.<br />

Am einfachsten wäre das Problem damit zu lösen, dass man von <strong>heute</strong> auf morgen sämtlichen Energieverbrauch<br />

(abgesehen vom biologisch notwendigen) stoppen würde. Die Unmöglichkeit der Umsetzung liegt klar auf der Hand,<br />

eine weitere Diskussion erübrigt sich. Wahrscheinlich würde es ausreichen, koppelte man einfach die am weitesten<br />

entwickelten Länder vom Rest der Welt ab. Jene könnten mit einigem guten Willen und unter Ausnützung neuester<br />

Technik den Energieverbrauch trotz Wohlstands- und Wirtschaftswachstums einigermaßen konstant halten, die anderen<br />

verpflichtete man auf die Nutzung ausschließlich klimaneutral gewonnener Energie. Dass dies so unzumutbar

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