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soziologie heute August 2011

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38 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>August</strong> <strong>2011</strong><br />

Markt- und Meinungsforschung<br />

Bürger fordern direkte Beteiligung<br />

Bertelsmann-Stiftung/TNS-EMNID. Umfrage bestätigt Wunsch nach Volks- und Bürgerentscheiden<br />

Die Bundesbürger würden sich deutlich<br />

stärker politisch engagieren<br />

und bei politischen Entscheidungen<br />

einbringen, wenn sie in politischen<br />

Fragen tatsächlich mitentscheiden<br />

könnten. Deshalb favorisieren die<br />

Bürger allen voraus direktdemokratische<br />

Beteiligungsmöglichkeiten,<br />

wie Volksbegehren oder Bürgerentscheide.<br />

Zu diesem Ergebnis kommt<br />

eine repräsentative Befragung der<br />

Bertelsmann Stiftung.<br />

Bei der Frage nach den wünschenswerten<br />

Beteiligungsverfahren geben<br />

78 Prozent direkte Verfahren an, wie<br />

Volksentscheide oder Bürgerbegehren.<br />

Jeder Zehnte erklärt, bereits an<br />

solchen direkten Verfahren teilgenommen<br />

zu haben. Nur 21 Prozent zeigen<br />

sich an Möglichkeiten der direkten<br />

Demokratie nicht interessiert.<br />

Groß ist das Interesse auch an direkten<br />

Bürgerbefragungen zu bedeutsamen<br />

Infrastrukturmaßnahmen, wie<br />

etwa Bauprojekten. 68 Prozent der<br />

Bundesbürger würden bei derartigen<br />

Projekten gern unmittelbar mitentscheiden,<br />

nur 29 Prozent sind desinteressiert.<br />

Neugier und Beteiligungsinteresse<br />

bekunden die Deutschen etwa auch<br />

an sogenannten Bürgerhaushalten.<br />

Dabei können Bürger über einen Teil<br />

der Finanzmittelausgaben ihrer Stadt<br />

unmittelbar mitentscheiden. Auch<br />

hier sagt fast die Hälfte der Befragten<br />

(47 Prozent), dass sie an solchen Entscheidungen<br />

schon einmal mitgewirkt<br />

haben oder gern mitwirken würden.<br />

Deutlich weniger Interesse finden in<br />

der deutschen Bevölkerung die vielfach<br />

bekannten Formen der politischen<br />

Beteiligung. Für fast 70 Prozent<br />

der Deutschen kommt die Mitgliedschaft<br />

in einer Partei oder in einer<br />

Bürgerinitiative nach eigener Auskunft<br />

nicht in Frage. Nur knapp 20<br />

Prozent könnten sich das vorstellen.<br />

Dies gilt auch für die aktuell in der<br />

SPD diskutierte Form der Beteiligung<br />

von Nicht-Mitgliedern. Die Frage, ob<br />

sie sich vorstellen können, in einer<br />

Partei mitzuarbeiten, ohne Mitglied<br />

zu sein - um zum Beispiel den Spitzenkandidaten<br />

mitzubestimmen - verneinten<br />

67 Prozent; nur für 27 Prozent<br />

käme das in Frage. Und auch die Mobilisierbarkeit<br />

der Bürger für politische<br />

Demonstrationen ist in einer gereiften<br />

Demokratie offenbar begrenzt. Zwar<br />

erklären 27 Prozent, sie hätten bereits<br />

eigene Demo-Erfahrungen gesammelt,<br />

und weitere 19 Prozent könnten sich<br />

eine Teilnahme vorstellen. Mehr als<br />

die Hälfte der Deutschen (53 Prozent)<br />

hält sich von entsprechenden Kundgebungen<br />

aber grundsätzlich fern.<br />

Offenbar fremd ist den meisten Deutschen<br />

auch noch die politische Beteiligung<br />

in Form von Zukunftswerkstätten<br />

oder Bürgerforen. Hier können<br />

sich bislang 60 Prozent noch nicht<br />

vorstellen mitzuarbeiten, aber immerhin<br />

35 Prozent hätten daran Interesse.<br />

Von einem Teil der politischen aktiven<br />

Bevölkerung offenbar aktiv genutzt<br />

oder erwünscht sind klassische Formen<br />

der Beteiligung, wie der direkte<br />

Kontakt zu ihren Abgeordneten und<br />

Volksvertretern, Meinungsbekundungen<br />

per Leserbrief oder die Mitgliedschaft<br />

in einem Interessenverband.<br />

Immerhin etwa 15 Prozent der Befragten<br />

nehmen auf diese Weise an der<br />

politischen Willensbildungen und Entscheidungen<br />

teil, und fast 40 Prozent<br />

könnten sich dafür erwärmen.<br />

In der öffentlichen Diskussion bislang<br />

überschätzt werden dagegen<br />

möglicherweise die neuen Formen<br />

der Online-Beteiligung. Offensichtlich<br />

sind diese Verfahren nur für eine<br />

qualifizierte Minderheit begehrt. Fast<br />

die Hälfte (48 Prozent) lehnt Online-<br />

Befragungen für sich ab, und ebenso<br />

viele (54 Prozent) sind nicht für Online-Abstimmungen<br />

zu haben. Sogar<br />

knapp 60 Prozent würden sich nicht<br />

an elektronischen Petitionen an Parlamente<br />

oder Abgeordnete beteiligen,<br />

und mehr als zwei Drittel (67 Prozent)<br />

würden keine eigenen Beiträge in<br />

Blogs oder Internet-Foren verfassen.<br />

Darüber hinaus aber sind die Deutschen<br />

zunächst noch skeptisch, ob<br />

die Politik ihnen trotz der großen Zahl<br />

der politischen Beteuerungen aus<br />

allen Parteien überhaupt mehr Mitsprache<br />

einräumen will. So sagen 76<br />

Prozent, sie glaubten nicht, dass die<br />

Politiker mehr Mitbestimmung durch<br />

die Bürger wollen. Und 71 Prozent<br />

glauben auch nicht, dass die Politik<br />

neue Formen der Bürgerbeteiligung<br />

zulassen möchte.<br />

Dass sie sich trotz rückläufiger Wahlbeteiligung<br />

aber nicht von der Politik<br />

verabschiedet haben, zeigt die weiterhin<br />

grundsätzlich hohe Zustimmung<br />

zum Urprinzip demokratischer Mitwirkung.<br />

So erklären 86 Prozent der<br />

Deutschen, dass sie bereits einmal<br />

an politischen Wahlen zum Parlament<br />

teilgenommen haben, und für weitere<br />

8 Prozent kämen sie grundsätzlich<br />

auch noch in Frage, nur 5 Prozent<br />

schließen Wahlen für sich kategorisch<br />

aus.<br />

Für Dr. Gunter Thielen, Vorsitzender<br />

der Bertelsmann Stiftung, ist die Umfrage<br />

ein klares Signal: „Die Menschen<br />

haben sich nicht von der Politik verabschiedet,<br />

sondern wünschen sich<br />

viel mehr aktive Teilhabe. Entscheidend<br />

ist, dass sie mit ihren Haltungen<br />

wirklich ernst genommen werden. Die<br />

Politik ist deshalb gut beraten, wenn<br />

sie die bestehenden Formen der Beteiligung<br />

ausweitet und die Menschen<br />

auch in Entscheidungen direkt einbezieht.”<br />

Die Umfrage der Bertelsmann Stiftung wurde<br />

zwischen 31. Mai und 6. Juni vom Meinungsforschungsinstitut<br />

TNS-EMNID unter 1.005<br />

repräsentativ ausgewählten Bundesbürgern<br />

durchgeführt.

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