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soziologie heute August 2011

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<strong>August</strong> <strong>2011</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 7<br />

Man tut immer so, als ginge es bei der Allgemeinbildung darum, die Geburtsdaten von<br />

Kaiserin Maria Theresia, die Symphonien von Goethe oder die Dramen von Mozart (oder<br />

so ähnlich) aufzählen zu können. In Wahrheit geht es um etwas völlig anderes, und das<br />

sei kurz am Beispiel des Verständnisses für eine demokratische Ordnung, das wir möglicherweise<br />

konsensuell als relevante Befähigung erachten könnten, erläutert.<br />

Manfred Prisching<br />

Universitätsprofessor an der<br />

Karl-Franzens-Universität Graz/<br />

Sowi-Fakultät/Institut f. Soziologie<br />

Man wird das Wesen, die Gefährdungen und die Funktionsfähigkeit einer Demokratie,<br />

auch „unserer“ Demokratie, nicht verstehen, wenn man nicht die griechischen Ursprünge<br />

des Systems betrachtet (was waren die populistischen Gefahren, warum hatte das<br />

Modell einen elitären Charakter?); wenn man nicht die große römische Leistung analysiert,<br />

Elite und Volk in zwei gleichberechtigten Versammlungen zu institutionalisieren<br />

(warum gibt es in fast allen Verfassungen zwei Kammern, und warum heißt in den<br />

USA eine davon „Senat“?); wenn man nicht die große Leistung der Aufklärungsphilosophen<br />

nachvollziehen kann, institutionelle Vorkehrungen gegen den Machtmissbrauch<br />

zu schaffen (wie bastelt man eine Verfassung, die einerseits der Regierung Schlagkraft<br />

sichert, andererseits ihre Entartung zuverlässig durch Gegenmächte und Bremsmechanismen<br />

verhindert?); wenn man nicht die außerordentliche europäische Errungenschaft<br />

würdigen kann, Kirche und Staat (nach enormen Opfern) säuberlich voneinander zu<br />

trennen (warum war diese Trennung, die uns <strong>heute</strong> selbstverständlich dünkt, im Verständnis<br />

von Zeitgenossen so sensationell?); wenn man sich nicht in die Diskussion der<br />

Zwischenkriegszeit hineindenken kann, wer konstitutionell als „Hüter der Verfassung“<br />

aufzutreten hätte.<br />

Man kann freilich sagen, die Demokratie sei ohnehin gesichert, Wahlen seien nicht erklärungsbedürftig,<br />

über Populismus wüssten wir Bescheid, Boulevardzeitungen genügten,<br />

man müsse die Machtverhältnisse einer Demokratie oder die unterschiedliche politische<br />

Logik anderer Kulturkreise nicht verstehen… Aber Demokratie ohne Allgemeinbildung<br />

ist ein Leichtsinn oder eine Dummheit. Fallstudien dieser Art lassen sich auch für<br />

andere Lebensbereiche erzählen.<br />

Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand <strong>heute</strong> einen Beruf erlernt, den er in gleicher Weise<br />

noch kurz vor der Rente ausübt, wird aufgrund der sich immer schneller verändernden<br />

gesellschaftlichen, ökonomischen und technischen Anforderungen immer geringer.<br />

Selbst traditionelle handwerkliche Berufe erleben die Einflüsse durch Globalisierung<br />

und Informationstechnologie im Arbeitsalltag. Spezial- und Faktenwissen veraltet in immer<br />

kürzerer Zeit. Allgemeinwissen dagegen basiert oft auf Jahrhunderte alten Erkenntnissen,<br />

deren Gesetzmäßigkeiten noch <strong>heute</strong> gültig sind.<br />

Allgemeinbildung?<br />

Bereits <strong>heute</strong> zeigt sich, dass sich die Lebensläufe der zukünftigen Generationen durch<br />

vielfältige Berufsstationen und Aufgaben auszeichnen werden. Allein deshalb würde<br />

eine reine Spezialisierung in eine persönliche und gesellschaftliche Sackgasse führen. Je<br />

mehr Wissen dem Einzelnen, nicht nur in der Tiefe, sondern auch in der Breite zur Verfügung<br />

steht, desto kreativer können Lösungen erarbeitet und desto schneller können<br />

neue Aufgaben bewältigt werden.<br />

Wer beurteilen möchte, ob seine angedachten Lösungen hilfreich für seine jeweilige<br />

Fragestellung sind, muss Vergleiche anstellen können. Dies erfordert übergeordnete<br />

Kenntnisse, um das Wissen in Gesamtzusammenhänge einordnen und in sinnvolles oder<br />

sinnloses, relevantes oder belangloses Wissen einteilen zu können. Wer über eine gute<br />

Allgemeinbildung verfügt, besitzt dieses Wissen. Er kann sich aufgrund dieser Tatsache<br />

schnell in Spezialthemen einarbeiten. Umgekehrt funktioniert dies nicht.<br />

Bernd Vonhoff<br />

Vorsitzender des Berufsverbandes<br />

Deutscher SoziologInnen,<br />

Geschäftsführer der FSV-Netzwerk<br />

GmbH, Autor von „Erfolgsfaktor<br />

Sinn”<br />

Wer im Fazit über sein Spezialwissen hinaus über eine große Allgemeinbildung verfügt,<br />

kann in komplexen Situationen leicht erkennen, wann das Spezialwissen allein für eine<br />

Problemstellung nicht mehr ausreicht. In diesen Fällen wird derjenige auf Spezialisten<br />

anderer Fachgebiete zugreifen. Über diesen Weg werden Synergieeffekte erzeugt, die<br />

neue Lösungen und neue Wege des Handelns eröffnen.

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