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soziologie heute August 2011

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26 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>August</strong> <strong>2011</strong><br />

Sociologists<br />

never die?<br />

eine soziologische Betrachtung der Trauer<br />

von Nina Jakoby<br />

Foto: Albrecht E. Arnold, pixelio<br />

Das Erlebnis von Trauer stellt eine soziale und nicht primär allein eine psychologische, psychiatrische<br />

oder medizinische Wirklichkeit dar. Trauer ist nicht nur ein inneres Gefühl, eine<br />

Krankheit oder ein pathologischer Zustand, sondern sie ergibt sich aus sozialen Beziehungen,<br />

affektiven Bindungen, normativen Erwartungen und Verpflichtungen (Charmaz/Milligan<br />

2006). Gemäss der Aussage von Tony Walter „Sociologists never die“ sind das Sterben<br />

und die damit verbundene Trauer gesellschaftliche Themenbereiche, die in der Soziologie<br />

kaum existieren, ganz so, als ob Soziologinnen und Soziologen niemals sterben würden (vgl.<br />

Schneider 2005: 55).<br />

An dieser Defiziteinschätzung hat<br />

sich bis <strong>heute</strong> wenig geändert. Trauer<br />

ist jedoch ein soziologisch relevanter<br />

Forschungsgegenstand, denn<br />

der Verlust von signifikanten Anderen<br />

zerstört die Identität von Hinterbliebenen,<br />

soziale Bindungen und<br />

Rollenverständnisse. Trauer wird<br />

durch familiale und soziale Interaktionen<br />

geprägt. Der Ausdruck und das<br />

Erleben von Trauer orientieren sich<br />

an normativen Erwartungen an die<br />

Trauerrolle und den damit verbunden<br />

positiven und negativen Sanktionen<br />

des sozialen Umfeldes. Die Vulnerabilität<br />

von Hinterbliebenen ist<br />

sozial differenziert verteilt, zum Beispiel<br />

in Form einer sozial ungleichen<br />

Verteilung von Coping-Ressourcen<br />

(vgl. Jakoby <strong>2011</strong>a,b).<br />

Trauer aus soziologischer Perspektive<br />

Die elementarste Verlusterfahrung im<br />

Leben eines Menschen ist der Tod einer/eines<br />

signifikanten Anderen. Als<br />

subjektive emotionale Reaktion stellt<br />

die Trauer einen „Schmerz über den<br />

Verlust von Unersetzlichem“ (Hahn<br />

1968) sowie einen psychischen und<br />

sozialen Prozess des Abschiednehmens<br />

dar (Bellebaum 1992).<br />

Aus symbolisch-interaktionistischer<br />

Perspektive bedeutet der Tod einer<br />

nahe stehenden Person den Verlust<br />

des Selbst (Charmaz 1980, Rosenblatt<br />

2006, Schmied 1985). Die Hinterbliebenen<br />

verlieren einen Teil des Selbst,<br />

denn nach Mead gibt es keine scharfe<br />

Grenze zwischen eigener Identität<br />

und der Identität anderer (Schmied<br />

1985). Das soziologische Konzept<br />

threads of connectedness (Lofland<br />

1985) beschreibt die multidimensionalen<br />

Verbindungen, die durch einen<br />

Tod zerstört werden. Es ist nicht<br />

„nur“ der Verlust der physischen<br />

Präsenz der Verstorbenen, sondern<br />

mit ihr oder ihm sind eine Reihe von<br />

weiteren Bedeutungen verbunden,<br />

die als „Verlust des sozialen Kontextes“<br />

(Rosenblatt 2006) und „Bruch<br />

der Biographie“ (Schmied 1985) beschrieben<br />

werden können. Hierzu<br />

gehören u.a. der Verlust von sozialen<br />

Rollen der Hinterbliebenen (z. B.<br />

Ehefrau, Mutter), Verbindungen zu<br />

anderen Personen und Netzwerken,<br />

eine gemeinsame Vergangenheit oder<br />

eine Quelle von Sicherheit und Bestätigung<br />

(vgl. Lofland 1985, Cochran/<br />

Claspell 1987, Valentine 2008).<br />

Und schließlich muss Trauer als<br />

emotionale Rolle verstanden und<br />

der Einfluss von Gefühlsregeln auf<br />

die Trauerrolle betrachtet werden<br />

(Averill 1980, Hochschild 2006, Fowlkes<br />

1990, Doka 2002, Goodrum 2008).<br />

Gefühlsregeln sind gesellschaftliche<br />

Normen, die spezifizieren, welche<br />

Gefühle, wann, mit welcher Intensität<br />

und mit welcher Dauer zum Ausdruck<br />

gebracht werden. Wir können zu viel<br />

oder zu wenig trauern oder unsere<br />

Trauer über- bzw. untertreiben. Es<br />

gibt auch falsche Zeitpunkte und Orte<br />

der Trauer (vgl. Hochschild 2006).<br />

„Dass Menschen so häufig glauben,<br />

sie hätten sich nicht richtig verhal-

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