08.02.2018 Aufrufe

soziologie heute August 2011

Das erste und einzige illustrierte soziologische Fachmagazin im deutschsprachigen Raum. Wollen Sie mehr über Soziologie erfahren? www.soziologie-heute.at

Das erste und einzige illustrierte soziologische Fachmagazin im deutschsprachigen Raum.
Wollen Sie mehr über Soziologie erfahren? www.soziologie-heute.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>August</strong> <strong>2011</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 35<br />

y<br />

Robert K. Merton (ursprünglich<br />

Mayer Robert Schkolnick) kam am<br />

4. Juli 1910 in Philadelphia (USA)<br />

als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer<br />

zur Welt. Der Name Robert K.<br />

Merton rührt eigentlich aus seinen<br />

Zaubervorstellungen, für welche er<br />

zunächst den Künstlernamen „Merlin“<br />

und später - in Erinnerung an<br />

den französischen Zauberer Robert<br />

Houdin - seinen Namen auf Robert<br />

King Merton änderte.<br />

1927 begann er seine soziologische<br />

Karriere als Forschungsassistent bei<br />

George E. Simpson in Philadelphia<br />

und wechselte 1931 nach Harvard<br />

zu Pitirim Sorokin. 1934 heiratete er<br />

seine erste Frau, Suzanne Carhart.<br />

Aus dieser Ehe entstammen neben<br />

zwei Töchtern auch der spätere<br />

Wirtschafts-Nobelpreisträger Robert<br />

C. Merton.<br />

Bereits in frühen Jahren war Merton<br />

ein begeisterter Schüler Talcott<br />

Parsons, bei welchem er nicht nur<br />

Seminare besuchte, sondern auch<br />

Teilnehmer dessen informeller Soziologierunde<br />

war, die sich regelmäßig<br />

in Adams House traf. In seiner<br />

Doktorarbeit zeigte Merton auf, wie<br />

groß der Einfluss des Zeitgeistes auf<br />

die verschiedensten Wissenschaftsrichtungen<br />

ist.<br />

1938 wurde er Professor und leitete<br />

die Abteilung Soziologie an der Tulane<br />

University und drei Jahre später<br />

Giddings Professor für Soziologie.<br />

Ab 1941 war Merton dann Mitglied<br />

des Sociology Departments der Columbia<br />

University. Gemeinsam mit<br />

Paul Lazarsfeld leitete er das Bureau<br />

of Applied Social Research.<br />

Das 1949 erstmals<br />

erschienene<br />

Werk „Social<br />

Theory and Social<br />

Structure“<br />

erreichte bis zu<br />

Mertons Tod 29<br />

Auflagen.<br />

U.a. führte Merton gemeinsam mit<br />

Lazarsfeld, zahlreichen Kollegen und<br />

Studenten Studien zur Propaganda<br />

und Massenkommunikation während<br />

des 2. Weltkrieges durch und<br />

schrieb den Klassiker Mass Persuasion<br />

(1946). Obwohl Lazarsfeld der<br />

eigentliche Methodiker war, ließ es<br />

sich Merton nicht nehmen, innovative<br />

Forschungsmethoden einzuführen.<br />

So entwickelte er gemeinsam<br />

mit Marjorie Fiske und Patricia Kendall<br />

das sog. „Fokusgruppen-Interview“,<br />

welches aus der <strong>heute</strong> üblichen<br />

Markt- und Meinungsforschung<br />

nicht mehr wegzudenken ist. Später<br />

meinte Merton einmal, dass die Fokusgruppen<br />

zwar kein Ersatz für repräsentative<br />

Umfragen seien, doch<br />

wenn er für jeden Einsatz dieser Methode<br />

eine kleine Gebühr erhalten<br />

hätte, wäre er reich wie ein König.<br />

1974 wurde Merton schließlich Universitätsprofessor<br />

und im Jahr 1979<br />

wechselte er offiziell in den Ruhestand,<br />

was allerdings nicht bedeutete,<br />

dass er der Soziologie den Rücken<br />

kehrte. Erst 1984 zog er sich<br />

aus der Lehre zurück. 1993 heiratete<br />

er die Soziologin Harriet Zuckerman.<br />

Am 23. Februar 2003 starb Robert K.<br />

Merton in New York.<br />

So bedeutend Robert K. Merton<br />

auch als Forscher war, noch größer<br />

war seine Wirkung als Mentor und<br />

Motivator auf eine ganze Reihe bedeutender<br />

Soziologen wie z. B. Peter<br />

Blau, Lewis Coser, James Coleman,<br />

Seymour Martin Lipset, Alvin Gouldner<br />

usf. Neben zahlreichen leitenden<br />

wissenschaftlichen Funktionen war<br />

Merton auch mehr als 20facher Ehrendoktor,<br />

und der erste Soziologe,<br />

der die US-Wissenschaftsmedaille<br />

erhielt. Zwischen 1970 und 1977 war<br />

er der mit Abstand am häufigsten<br />

zitierte Soziologe, wobei lediglich<br />

rund 40 Prozent der Verweise aus<br />

soziologischen Schriften stammten.<br />

Sein 1949 erstmals erschienenes<br />

Werk Social Theory and Social Structure 1<br />

erreichte bis zu seinem Tod 29 Auflagen.<br />

Zahlreiche wissenschaftliche Begriffe<br />

gehen auf Robert K. Merton zurück.<br />

So prägte er u. a. die Begriffe<br />

Focus Group, selbsterfüllende Prophezeiung,<br />

Matthäuseffekt, Serendipity, learned incapacity<br />

oder anticipatory socialization.<br />

Self-fulfilling prophecy<br />

(sich selbst erfüllende Prophezeiung) 2<br />

In Anlehnung an den amerikanischen<br />

Soziologen William I. Thomas (“If<br />

men define situations as real, they<br />

are real in their consequences.”) 3<br />

prägte Merton 1948 die Begriffe<br />

self-fulfi lling prophecy und self-destroying<br />

prophecy, mit welchen er die Auswirkungen<br />

bestimmter Einstellungen<br />

und Handlungsweisen analysierte.<br />

Bei der sich selbst erfüllenden Prophezeiung<br />

handelt es sich um eine<br />

Vorhersage, welche sich – gerade<br />

deswegen – erfüllt, weil man an diese<br />

Prophezeiung glaubt und sich dementsprechend<br />

verhält. So könnte<br />

etwa das Gerücht, dass die Bank XY<br />

nicht liquide sei, durch die darauf<br />

einsetzende, panikartige Ablösung<br />

von Konten seitens der Kunden zu<br />

ihrem tatsächlichen Zusammenbruch<br />

führen. Und im Falle einer selfdestroying<br />

prophecy verhalten sich die<br />

Betreffenden eben so, dass diese<br />

Vorhersage nicht in Erfüllung geht.<br />

Untersuchungen brachten zutage,<br />

dass die Schulbildung ungeachtet<br />

der Begabungen von den Erwartungen<br />

der Lehrer und dem Selbstwertgefühl<br />

der Schüler beeinflusst wird.<br />

Im damaligen Amerika waren die<br />

Schulklassen noch größtenteils nach<br />

Hautfarbe sortiert. Kenneth Clark,<br />

ein Anhänger Mertons, zeigte auf,<br />

dass gerade diese Trennung bei Lehrern<br />

und auch Schülern zu schlechteren<br />

Leistungen bei den Farbigen<br />

führte. Unter Berufung auf die selffulfilling<br />

prophecy fällte das Oberste<br />

Gericht eine Entscheidung, welche<br />

letztlich zur Beseitigung der Rassentrennung<br />

im Schulunterricht führte.<br />

Serendipity<br />

Merton, Robert<br />

K./Barber, Elinor:<br />

THE TRAVELS AND<br />

ADVENTURES OF<br />

SERENDIPITY: A<br />

Study in Sociological<br />

Semantics and<br />

the Sociology of<br />

Science. Princeton<br />

University Press,<br />

2006.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!