soziologie heute August 2011
Das erste und einzige illustrierte soziologische Fachmagazin im deutschsprachigen Raum. Wollen Sie mehr über Soziologie erfahren? www.soziologie-heute.at
Das erste und einzige illustrierte soziologische Fachmagazin im deutschsprachigen Raum.
Wollen Sie mehr über Soziologie erfahren? www.soziologie-heute.at
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>August</strong> <strong>2011</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 23<br />
hen wir<br />
nergie?<br />
contra<br />
s rezente ente Unglück in Fukushima heizen die Diskussion um die Kernkraft<br />
s eine e nüchterne, rationale und möglichst umfassende Abwägung der Ar-<br />
Seiten nicht sein, aber vielleicht inspirierend.<br />
Paul Ertl<br />
Moderne Kernkraftwerke zählen zu den verlässlichsten, billigsten und – wenn man beispielsweise die Todesopfer in<br />
chinesischen Kohlegruben zählt – angeblich auch sichersten und umweltfreundlichsten Stromerzeugern. Die OECD<br />
rechnete 2009 damit, dass im Jahr 2050 weltweit bis zu 1400 Atom-Reaktoren Strom liefern könnten, und nicht nur<br />
die damals bestehenden 439. Auch kann auf Atomkraft nicht verzichtet werden, wenn eine nachhaltige Verringerung<br />
von CO2 Emissionen glücken soll. Sonnenenergie oder Windkraft als Stromlieferanten könnten nämlich bei Beibehaltung<br />
der derzeitigen Entwicklungsgeschwindigkeit keinen nennenswerten Beitrag zur Deckung der Grundlast liefern,<br />
Kohlekraftwerke und ähnliche Energieträger gelten als Umweltverpester. Es gibt zudem nicht rein „positive“ und rein<br />
„negative“ Formen der Energiegewinnung. Atomstrom und Alternativenergie stellen in diesem Sinne keine gegenseitigen<br />
Ausschlussfaktoren dar, wo entweder das eine oder das andere bestehen kann. Jedenfalls ist es notwendig,<br />
dass zwischen Gegnern und Befürwortern der Kernkraft nicht ideologische Trennungen bestehen bleiben, sondern<br />
ein realer wissenschaftlich-politischer Diskurs beginnt.<br />
Soweit die neutrale Beurteilung. Die eigentliche Crux an der Atomkraft ist aber, dass die Begleitumstände, so sie<br />
nicht ideologisch in lobbyistischer Weise verbrämt sind, durchaus für sich alleine zu sprechen in der Lage sind. Und<br />
das in nicht gerade positiver Art und Weise. Der Atommüll ist beispielsweise das derzeit gefährlichste Abfallprodukt<br />
unserer modernen Industriegesellschaft. Außerdem ist er auch das langlebigste Erbe unserer Zivilisation. Jahrhunderte,<br />
Jahrtausende, ja Millionen Jahre lang werden radioaktive Schlacken, Rückstände und Abfälle von Brennelementen<br />
eine ständige Bedrohung für die menschliche Rasse und die gesamte uns bekannte Welt sein. Und das ist<br />
doch schon eine ganz „ordentliche“ Zeitspanne. Vor allem wenn man nicht allein in Wahlzyklen von vier bis sechs<br />
Jahren denkt. Hätte der Neandertaler (man verzeihe mir diese kleine Parodie), ausgestorben vor etwa 30000 Jahren,<br />
irgendwo Atommüll gelagert, wäre dieser Ort bis <strong>heute</strong> mit Sicherheit in Vergessenheit geraten. Die Strahlung des<br />
Atommülls wäre aber, wenn überhaupt, erst auf Halbwertsniveau angekommen und immer noch absolut tödlich.<br />
Die angeblich so „saubere“ Atomenergie verursacht bekanntermaßen durch ihre gesamte Entstehungsgeschichte<br />
hindurch gefährliche Schlackestoffe und radioaktive Abfälle. Das beginnt schon beim Uranabbau: Allein für den<br />
Brennstoff eines AKW fallen jährlich hunderttausende Tonnen strahlende Erzreste an, die auf riesigen Abraumhalden<br />
ungeschützt gelagert werden. Diese radioaktive Kontamination betrifft allerdings nur die für europäische Verhältnisse<br />
weit entfernten Ureinwohner in Gebieten Afrikas, Australiens, sowie Teile der USA oder Kanadas. Der<br />
jeweilige Lebensraum sowie die Gesundheit werden massiv geschädigt. Krebsraten sind dutzendfach höher und die<br />
Sterblichkeitsrate von Säuglingen ebenso.<br />
Es bleibt aber nicht nur bei der Gewinnung des Roherzes. Es muss verarbeitet, aufbereitet und in Form gegossen<br />
werden. Die Herstellung von Brennelementen verursacht somit auch nicht weniger Atommüll, von der Verarbeitung<br />
zu waffenfähigem Material nicht zu sprechen. Auch nach der Verwendung der Brennstäbe –dem Abbrand der<br />
Brennelemente – muss ein Teil dieses hochradioaktiven Materials zwischengelagert werden. Auch die „Wiederaufarbeitung“<br />
des Materials ist da nur eine Farce. Die Brennstäbe sind nach dem Abbrand immer hochradioaktiver und<br />
hochgiftiger Atommüll. Auch die Atomkraftwerke an sich, also die Ruinen, gelten nach der Stilllegung als radioaktiver<br />
Müll. Und es gibt weltweit noch keine Lösung für die sichere Entsorgung dieser Trümmer unserer Zivilisation.