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10 KULTUR JOKER KUNST<br />

Das andere Selbst<br />

Die Gruppenschau „Nachtstücke“ im E-Werk schaut hinter die Oberfläche<br />

Nur ein paar Meter weiter<br />

und die tropische Vegetation<br />

würde einen unweigerlich<br />

verschlucken. Gleich mehrere<br />

Lichtquellen reißen den Ort<br />

aus der Dunkelheit, doch viel<br />

ist eigentlich nicht zu erkennen,<br />

ein Schild und Stromkabel,<br />

die darauf hinweisen,<br />

dass es hier ja irgendwie weiter<br />

gehen muss. „Ghosttrap“<br />

nennt Nadia Lichtig ihre<br />

Foto-Serie, die Licht in die<br />

Nacht bringt. Dabei gehen ihr<br />

weniger Geister in die Falle<br />

als der Betrachter selbst, der<br />

sich unweigerlich in die unheimlichen<br />

Szenerien hinein<br />

fantasiert. Auf einer anderen<br />

Aufnahme ist ein Hund gleich<br />

mehrfach zu sehen, die Langzeitbelichtung<br />

macht es möglich.<br />

Die Fotografie hält sein<br />

früheres Selbst fest und erwarten<br />

wir nicht, dass diese Orte<br />

irgendwie belebt sind, von nicht<br />

ganz so harmlosen Lebewesen?<br />

„Nachtstücke“ sind das andere<br />

Gesicht der Aufklärung.<br />

Ein Spätromantiker wie E.T.A.<br />

Hoffmann hat sie berühmt gemacht,<br />

sie finden sich jedoch<br />

nicht allein in der Literatur,<br />

sondern auch in der bildenden<br />

Der Ausblick als künstlerischer Ausweg<br />

„Ausblick“ – Bilder von Gela Samsonidse in der Gemeinschaftspraxis am Martinstor<br />

Paris hat so viele Gesichter.<br />

Doch Gela Samsonidse malte<br />

immer nur diesen einen Ausblick,<br />

den ihm sein Ein-Zimmer-<br />

Appartement auf die Dächer der<br />

Stadt gewährte.<br />

Gar nicht satt sehen konnte<br />

er sich an der im Grunde unspektakulären<br />

Aussicht: Den<br />

Hausmauern mit ihren Furchen,<br />

Fugen und Kanten, die ein kontrastreiches<br />

Spiel von Licht und<br />

Schatten generierten; den vielen<br />

Schornsteinen auf den Dächern,<br />

die sich vertikal gegen den Horizont<br />

behaupteten; dem Efeu,<br />

der sich an den Mauern emporrankte<br />

und mit den Jahreszeiten<br />

seine Farben tauschte. Und dann<br />

Nadia Lichtig: „Ghosttrap (hewasreallyperfect)“<br />

Kunst und als Nocturne ebenfalls<br />

in der Musik. In der Galerie<br />

für Gegenwartskunst im<br />

Freiburger E-Werk präzisiert<br />

die gleichnamige Gruppenschau<br />

der Untertitel „Von Verdrängtem,<br />

der Nacht und der Farbe<br />

Schwarz. Von der Nacht ließ<br />

sich immer schon gut erzählen,<br />

vielleicht besser als vom Tag mit<br />

seinen gut ausgeleuchteten Rändern.<br />

Theo Eshetu verknüpft in<br />

seiner Arbeit „The Slave Ship“<br />

das Sichtbare mit dem Unbewussten.<br />

Die Videoinstallation<br />

hat die Form eines Bullauges,<br />

das erst eine Karte, dann die<br />

Unterwasserwelt zeigt, einmal<br />

sieht man im Wasser den Körper<br />

eines Schwarzen. Die Fische und<br />

Quallen sind wie an einer Achse<br />

gespiegelt und führen noch tiefer<br />

ins Dunkle. Der Titel deutet auf<br />

ein Bild William Turners hin.<br />

dieser Himmel, der mal wolkenlos,<br />

mal wolkenverhangen sich<br />

in jedem Moment veränderte<br />

und die Situation in ein immer<br />

neues Licht tauchte.<br />

Gela Samsonidse hatte sein<br />

Motiv gefunden. Unzählige,<br />

identisch große „Ausblicke“<br />

sind so entstanden, zu sehen<br />

derzeit in Freiburg in der<br />

Praxisgemeinschaft am Martinstor,<br />

wo sie, verteilt über die<br />

Flure und Behandlungszimmer,<br />

den Betrachter wie Fensteröffnungen<br />

in eine Parallelwelt<br />

entführen. Sehr häufig<br />

mündet diese unverhoffte Begegnung,<br />

zumal in Wartezimmern,<br />

in eine ganz neue Erfahrung<br />

der unvoreingenommenen<br />

Kunstbetrachtung.<br />

So ähnlich wie den hier Wartenden<br />

muss es damals auch<br />

Gela Samsonidse gegangen<br />

sein, als er in seiner Pariser<br />

Wohnung ratlos nach draußen<br />

blickte. Dort war er von Juli bis<br />

Dezember 2010 mittels eines<br />

halbjährigen Stipendiums gelandet.<br />

Paris! Stadt der Liebe, Stadt<br />

der Kunst! Welche Verheißung<br />

gerade für einen Künstler, wenn<br />

man auch noch in der Cité Internationale<br />

des Arts, also ganz in<br />

der Nähe von Notre-Dame und<br />

somit mitten im Herzen von<br />

Paris untergebracht war. Dort<br />

angekommen, wollte er seine<br />

neue Heimat erst auf sich wirken<br />

lassen; wollte sehen, welche<br />

Ideen sie ihm eingeben würde.<br />

Doch speziell die Umgebung<br />

erwies sich für ihn alles andere<br />

als inspirierend: Mit einem<br />

bestimmten Code gelangte er<br />

ins Haus. Er entsprach auch der<br />

Zimmernummer, dem Postfach,<br />

der Telefonnummer… Es schien<br />

nur noch der Stempel auf seinem<br />

Hemd zu fehlen, denn wie<br />

ein Gefangener fühlte er sich<br />

an diesem unpersönlichen Ort.<br />

Und so stand er sinnend am einzigen<br />

Fenster und starrte hinaus:<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

hatte sich dieser mit dem Fall<br />

des britischen Sklavenschiffs<br />

„Zong“ befasst. 1781 wurden<br />

in einem Unwetter zahllose<br />

gekidnappte Afrikaner ins<br />

Wasser geworfen, wo sie den<br />

sicheren Tod fanden. Zuhause<br />

beantragte der Schiffbesitzer<br />

die Versicherungssumme für<br />

die getöteten Sklaven. Der<br />

schwarze Körper wirkt wie<br />

ein Menetekel, das zudem daran<br />

erinnert, wie heute wieder<br />

Afrikaner in den Meeren umkommen.<br />

Die Ausstellung verbindet<br />

internationale Positionen mit<br />

neuen Skulpturen der Freiburger<br />

Künstlerin Elisabeth Bereznicki,<br />

die nicht allein das<br />

Schwarz des Nachtstückes,<br />

sondern auch seine manieristische<br />

Seite aufgreift. Jaki Irvine<br />

befasst sich ebenfalls mit<br />

einem historischen Ereignis, das<br />

lange die irische Geschichte und<br />

Gegenwart beeinflusste. Wie<br />

auch in ihrem Roman „Days of<br />

Surrender“ greift die Acht-Kanal-Installation<br />

„If the Ground<br />

should open“ den Osteraufstand<br />

von 1916 auf. Die irische Künstlerin<br />

wies in ihrem Roman auf<br />

Blick in die Ausstellung<br />

Draußen nichts als eine große<br />

Wand, Dächer, viele Schornsteine<br />

und der Himmel.<br />

Er liebte diese wechselhafte<br />

Bühne da draußen. Anfangs<br />

wollte er noch alles festhalten<br />

und bewahren, zum Beispiel die<br />

Wolken oder die Schornsteine.<br />

Auch wird der Ausschnitt noch<br />

variiert, indem er seinen Fokus<br />

wie mit einem Kamera-Weitwinkelobjektiv<br />

mal in die Nähe,<br />

mal in die Ferne richtete. Doch<br />

allmählich manifestiert sich<br />

der Ausschnitt, das Motiv wird<br />

immer einfacher. Selbst der<br />

Himmel wandelt sich von den<br />

dramatischen Wolkengebirgen<br />

zur beredten Farbfläche, um so<br />

die Bedeutung von Frauen wie<br />

Elizabeth O’Farrell und Julia<br />

Grenan für den Aufstand gegen<br />

die Briten hin. Sie sind die<br />

eigentlichen Protagonisten ihrer<br />

Installationen, die aus acht<br />

Bildschirmen und Textseiten an<br />

den Wänden besteht. Diese sind<br />

kommentiert und mit Melodien<br />

überschrieben, die die Namen<br />

der Frauen vertonen und die<br />

gesungen oder mit dem Dudelsack<br />

gespielt im Raum zu hören<br />

sind.<br />

Und dann sind da noch Mitschnitte<br />

von irischen Bankern,<br />

die sich auf Kosten der Kunden<br />

bereicherten. Der Einsatz der<br />

Frauen und das Verhalten der<br />

Banker sind für Jaki Irvine zwei<br />

Seiten einer Medaille.<br />

Nachtstücke. Vom Verdrängten,<br />

der Nacht und der Farbe<br />

Schwarz. Galerie für Gegenwartskunst,<br />

E-Werk Freiburg,<br />

Eschhholzstr. 77. Do/Fr 17-20<br />

Uhr, Sa 14-20 Uhr, So 14-18<br />

Uhr. Bis 25. März<br />

15. März 19.30 Uhr Rahma<br />

Khazam und performative Lesung<br />

von Nadia Lichtig.<br />

Finissage, 25. März, 17 Uhr<br />

Werkgespräch mit Theo Eshetu.<br />

Annette Hoffmann<br />

die Grundstimmung des Tages<br />

und der Tageszeit einzufangen.<br />

– Kurzum, mit der wachsenden<br />

(Selbst-)Befreiung vollzog sich<br />

ein Abstraktionsprozess, der am<br />

Ende kaum mehr erkennen ließ,<br />

was der Seherfahrung ursprünglich<br />

zugrunde lag. Kein Bild ist<br />

die bloße Wiederholung eines<br />

anderen, sondern stets eine akribische<br />

Abwandlung und Neuformulierung<br />

des Gesehenen, und<br />

zwar allein durch den subtilen<br />

Einsatz der Farbe.<br />

Praxisgemeinschaft am Martinstor,<br />

Kaiser-Joseph Straße<br />

248, Freiburg. Mo bis Fr von<br />

8-18 Uhr. Bis 25. August <strong>2018</strong>.<br />

Friederike Zimmermann

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