_flip_joker_2018-03
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THEATER KULTUR JOKER 3<br />
Auch zur Entstehungszeit von<br />
E.T.A. Hoffmanns „Der goldne<br />
Topf“ war die Welt alles andere<br />
als märchenhaft. In Dresden<br />
wurde Hoffmann Zeuge der Napoleonischen<br />
Kriege. Im Theater<br />
Freiburg erinnert nun ein<br />
sehr britisch gekleideter Junge<br />
an die Schlacht. Wie süß, heißt<br />
es aus einer der vorderen Reihen.<br />
Wie gut also, dass er noch<br />
ein paar Mal wiederkommen<br />
darf. Er wird die kommenden<br />
Vigilien ankündigen und bei jedem<br />
seiner Auftritte versehrter<br />
aussehen.<br />
„Der goldne Topf“ ist Sternchenthema,<br />
wieder einmal.<br />
Aber ist dies allein Grund genug,<br />
das Kunstmärchen auf die<br />
Bühne zu bringen? Im Theater<br />
Freiburg meint man ja und<br />
hat die junge, 1989 geborene<br />
Anna-Elisabeth Frick mit der<br />
Adaption und Inszenierung beauftragt.<br />
In ihrer Inszenierung<br />
taugt Atlantis gerade noch als<br />
Kühlschrankmagnet und das<br />
wirklich Unheimliche, die Zerstörungskraft<br />
des Menschen,<br />
wird ausgerechnet an ein Kind<br />
Schnelles Erzähl-Pingpong<br />
„Du (Normen)“ von Philipp Löhle auf der Wallgraben-Bühne in Freiburg<br />
Elisabeth Kreßler, Stefan Müller-Doriat, Matthias Wagner als Normen<br />
und Thomas Tiberius Meikl (v.l.n.r.)<br />
Foto: Jörn Disch<br />
Der großgemusterte<br />
Blumenvorhang über<br />
wiesengrünem Bodenbelag<br />
zieht sich über<br />
die gesamte Wallgraben-Bühne<br />
und suggeriert<br />
bürgerlich aufgeräumte<br />
Heiterkeit. Fast<br />
zärtlich beschreibt eine<br />
Frauenstimme aus dem<br />
Off die letzten Minuten<br />
vor dem Selbstmord<br />
jenes Mannes,<br />
der sich da grade mit<br />
Tabletten vollgestopft<br />
in die Badewanne<br />
gleiten lässt. Das vermeintliche<br />
Ende steht<br />
hier am Anfang, die<br />
Geschichte des skrupellosen<br />
Abzockers<br />
aus Philipp Löhles<br />
2013 im Nationaltheater<br />
Mannheim uraufgeführter<br />
und 2014 für<br />
den Mülheimer Dramatikerpreis<br />
nominierter Komödie „Du (Normen)“<br />
scheint also nicht gut auszugehen.<br />
Einer wie Du und ich ist dieser<br />
Normen, daran lässt der 1978<br />
in Ravensburg geborene Löhle<br />
keinen Zweifel, weswegen Regisseur<br />
Benjamin Hille seine<br />
vier Erzähler jetzt auch chorisch<br />
und in schnell geschnittenem<br />
Erzähl-Pingpong durch die<br />
Evolution sausen lässt: Ursuppe,<br />
Aminosäuren, Säugetiere,<br />
Ackerbau, Schrift und Revolutionen<br />
– bis schließlich jener Normen<br />
bei einem lieblosen Fick<br />
zwischen Stewardess und Passagier<br />
in einer Flugzeugtoilette<br />
gezeugt wird und wenig später<br />
im Spot seinen Kopf durch<br />
den Vorhang streckt. Mama<br />
ist entzückt, Lebensgefährte<br />
Lutz weniger, wird er doch den<br />
Verdacht nicht los, mit diesem<br />
„Ding“ einen Kuckuck im Nest<br />
Weihnachtsmärchen für die Oberstufe<br />
Mehr bieder als poetisch: „Der goldne Topf“ am Theater Freiburg<br />
delegiert. E.T.A. Hoffmanns<br />
„Der goldne Topf“ erzählt von<br />
zwei Welten, vom Spießertum<br />
der Hofräte und von der Dichtung.<br />
In der Welt erfahrbar wird<br />
diese durch merkwürdige Verkörperungen<br />
wie die Schlange<br />
Serpentina und ihrem Vater,<br />
dem Archivarius Lindhorst, der<br />
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art<br />
lieber wieder ein Salamander<br />
wäre. Um mehr von ihr zu erfahren,<br />
muss man ein schlichtes<br />
Gemüt wie der Student Anselmus<br />
sein.<br />
In Anna-Elisabeth Fricks Inszenierung<br />
steht Anselmus (Martin<br />
Hohner) im „Australian Beer<br />
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zu haben. Und richtig, Normen<br />
weigert sich ihn Papa zu nennen<br />
und beißt den doofen Lutz<br />
schon mal ins Bein.<br />
Hille, der am Haus letztes<br />
Jahr „Stück Plastik“ furios<br />
inszenierte und nach „Wir<br />
sind keine Barbaren!“ nun<br />
das zweite Löhle-Stück auf<br />
die Wallgraben-Bühne bringt,<br />
setzt auf Wortwitz und Tempo.<br />
Spielfreudig und wandelbar<br />
schlüpfen Elisabeth Kreßler,<br />
Tree“-Hemd verloren auf der<br />
Bühne, hinter ihm eine Reihe<br />
von Kühlschränken, die im Verlauf<br />
der eineinhalbstündigen<br />
Vorstellung ein ums andere Mal<br />
umgedreht werden. Bühnenbildnerin<br />
Martha-Marie Pinsker hat<br />
in ihnen ein altmodisches Telefon<br />
installiert, dicht bepflanzt<br />
oder zum Aufzug gemacht.<br />
Anselmus ist gleich doppelt<br />
überfordert, hier die ihm unerklärliche<br />
Schwärmerei für eine<br />
grüne Schlange – in Fricks Inszenierung<br />
spielt die Sopranistin<br />
Katharina Ruckgaber sie, dort<br />
die aufgestellte Veronika (Stefanie<br />
Mrachacz), die durch eine<br />
Heirat mit Anselmus in die gute<br />
Gesellschaft aufsteigen will.<br />
Ihre Welt ist ein Puppenheim,<br />
möbliert mit Stühlchen wie für<br />
Kindergartenkinder, durch das<br />
sie im properen gelben 50er<br />
Jahre-Kleid springt. Artig, auch<br />
dann noch, wenn sie bei alten<br />
bösen Frauen Liebestränke<br />
braut. Graham Smiths Heerbrandt<br />
macht ihr auf schüchternste<br />
Weise den Hof, einmal<br />
stülpt er sich einen angefressen<br />
Katharina Rauenbusch,<br />
Thomas Tiberius<br />
Meikl und Stefan<br />
Müller-Doriat dabei<br />
blitzschnell in immer<br />
neue Rollen. Wobei<br />
– facettenreich sind<br />
ihre Figuren nicht,<br />
sondern lediglich<br />
Karikaturen, holzschnittartige<br />
Abziehbilder.<br />
Im Schnelldurchlauf<br />
werden so<br />
prägende Episoden<br />
aus Normens Kindheit<br />
und Jugend ohne<br />
jede Requisite, dafür<br />
mit dokumentarischspöttischer<br />
Distanz<br />
von den wechselnden<br />
Erzählern angespielt:<br />
Mal geht es um eine<br />
Schulhof-Prügelei,<br />
mal um den ersten<br />
Schwarm. Normen<br />
bleibt dabei Laborkaninchen,<br />
Matthias Wagner gibt ihn mit<br />
schillernder Präsenz: Der 1983<br />
in Dresden geborene Schauspieler<br />
ist eine Wucht mit viel komödiantischem<br />
Talent.<br />
Kurzweilig bis grotesk<br />
schnurrt diese Farce dahin, Normens<br />
Erfahrungen mit Ungerechtigkeit,<br />
Enttäuschung und<br />
Zorn bleiben dabei austauschbar.<br />
Mit dem Studium seiner Figur<br />
führt Löhle seine bis dahin aufwendig<br />
angelegte Jedermann-<br />
Biografie dann ad absurdum, in<br />
dem er seinen Helden in Windeseile<br />
zum skrupellosen Arschloch<br />
mutieren lässt: Fressen und Gefressen<br />
werden, so ist das Leben,<br />
also wird Normen Löwe und<br />
verschachert seine Freunde für<br />
Medikamententests, baut eine<br />
Billig-Klamottenkette auf und<br />
setzt auf individuelle Gewinnmaximierung.<br />
Ein Kapitalistenschwein,<br />
das über Leichen geht.<br />
Wobei Löhle hier den Bogen bis<br />
zum Showdown mit Firmenorgie<br />
und Tochter-Entführung mächtig<br />
überspannt: Normen ist nicht nur<br />
sexgeil, sondern pädophil, sein<br />
bester Freund wird durch seine<br />
Schuld ein sabberndes Bündel<br />
im Rollstuhl (beeindruckend:<br />
Thomas Tiberius Meikl als Benni),<br />
seinen Weg pflastern Gier,<br />
Erpressung und Gewalt. Verrohrung<br />
pur, die laut Löhles Stück<br />
jedem passieren könnte. Tut sie<br />
aber nicht, deswegen fehlen auch<br />
Erklärungsansätze.<br />
So bleibt diese unterhaltsame<br />
Systemkritik ebenso plakativ<br />
wie zahnlos, wird hier doch<br />
nichts verhandelt, was nicht<br />
schon zur Genüge bekannt wäre.<br />
Fazit: Großartige Ensembleleistung<br />
– schwaches Stück.<br />
Weitere Vorstellungen bis zum<br />
4. März, www.wallgraben-theater.com<br />
Marion Klötzer<br />
wirkenden Bärenkopf über und<br />
tanzt einsam vor sich hin. Die<br />
Welt des Realen hat in dieser Inszenierung<br />
fast mehr Brüche als<br />
dass der zwischen Bürgertum<br />
und Dichtung noch ins Gewicht<br />
fallen würde.<br />
Der Kalauer vereint die Sphären<br />
und am Ende ist alles eine<br />
Kuppelshow. Da ist viel Klischee<br />
zu sehen. Frick macht weder vor<br />
der gezückten Reclam-Ausgabe<br />
halt (das wäre dann schon das<br />
Zitat eines Kalauers), nicht vor<br />
Freiburg-Bezügen noch vor<br />
einem Zaubermantel für Lindhorst<br />
(Victor Calero). Für den<br />
Deutschkurs gibt es dann noch<br />
einen Hofrat-Rapp, schließlich<br />
war auch Goethe Hofrat… Mit<br />
der Abgründigkeit der Filme<br />
eines David Lynch, der im Programmheft<br />
als Referenz genannt<br />
wird, hat das nun aber auch gar<br />
nichts gemein, eher mit einem<br />
Weihnachtsmärchen für die<br />
Oberstufe. Der Biedersinn kassiert<br />
hier alles Poetische.<br />
Weitere Vorstellungen: 6./7.<br />
und 28. März im Kleinen Haus<br />
des Theater Freiburg.<br />
Annette Hoffmann<br />
Marienstr. 15 . 79098 Freiburg . Tel. 0761 31065 . www.schuhwerk-freiburg.de<br />
Öffnungszeiten Mo bis Fr 11 bis 18 Uhr, Sa 11 bis 16 Uhr