_flip_joker_2018-03
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16 KULTUR JOKER KULTOUR<br />
WeI tere InfoS Unter:<br />
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Jürgs ein ausführliches und<br />
sehr persönliches Interview.<br />
Möglich wurde dies durch<br />
Romy Schneiders Freundschaft<br />
zu dem Fotografen Robert<br />
Lebeck, der versprach,<br />
das Interview zu begleiten.<br />
Lebecks Schwarzweißfotografien<br />
von Romy Schneider<br />
sind bis heute legendär, wohl<br />
kein anderer schaffte es, das<br />
lebhafte und widersprüchliche<br />
Wesen der Schauspielerin derart<br />
eindrücklich festzuhalten.<br />
3 Tage in Quiberon stellt, auf<br />
Lebecks Fotos aufbauend, in<br />
klaren Schwarzweißbildern<br />
die Geschichten nach, die sich<br />
innerhalb der Gruppe rund<br />
um das Interview ereigneten<br />
und fängt dabei die besondere<br />
Stimmung dieser Tage ein.<br />
Hauptdarstellerin Marie Bäumer<br />
kommt nicht nur in Aussehen,<br />
Sprache und Mimik<br />
Romy Schneider beeindruckend<br />
nahe, sondern brilliert<br />
auch als von Schicksalsschlägen<br />
und Substanzmissbrauch<br />
gezeichnete Frau, hinter deren<br />
divenhaften Eskapaden immer<br />
wieder ein sensibler und zutiefst<br />
verunsicherter Mensch<br />
zum Vorschein kommt.<br />
Nicht immer schafft 3 Tage<br />
in Quiberon den Spagat zwischen<br />
biografischem Kino<br />
und Fan-Hommage, ist aber<br />
nichtsdestotrotz ein respektvolles<br />
und intimes Porträt, das<br />
in jeder Einstellung von seiner<br />
herausragenden Hauptdarstellerin<br />
getragen wird.<br />
Als das Festival dann schon<br />
auf die Zielgerade einbog, wurde<br />
es noch einmal unruhig im<br />
Wettbewerb. Mit Mein Bruder<br />
heißt Robert und ist ein Idiot<br />
stieg der neue Film von Philip<br />
Gröning (Die Frau des Polizisten)<br />
ins Bären-Rennen ein.<br />
Wir sehen Elena, die mit ihrem<br />
titelgebenden Bruder das letzte<br />
Wochenende vor der Abiturprüfung<br />
verbringt. Die beiden<br />
liegen im Kornfeld nahe einer<br />
abgelegenen Tankstelle in der<br />
Sonne. Es wird viel geschwiegen,<br />
dazwischen fragmentarisch<br />
über Philosophie gesprochen:<br />
„Wie kann etwas vergehen,<br />
das ein Recht hat, zu sein?“<br />
ist zum Beispiel so ein Satz. Ab<br />
und zu holt einer der beiden in<br />
der Tankstelle Bier oder Zigaretten.<br />
Am Ende gibt es einen<br />
Twist, der den Film in eine völlig<br />
andere Richtung lenkt und<br />
schwer zu verstehen ist.<br />
Ansonsten passiert wenig,<br />
die Zeit verstreicht langsam im<br />
Film – und im Zuschauerraum.<br />
Problematisch wird „Robert“<br />
nämlich durch seine Länge<br />
von knapp drei Stunden. In<br />
der Pressevorführung verließen<br />
seufzende Zuschauer im<br />
Minutentakt den Saal. Die, die<br />
durchhielten, flüchteten sich<br />
am Ende in Galgenhumor oder<br />
machten aus ihrer Ratlosigkeit<br />
keinen Hehl. „Prätentiös“,<br />
„sperrig“, „langweilig“ waren<br />
noch die harmlosesten Kommentare.<br />
Auch nach Abschluss<br />
der Berlinale weiß keiner so<br />
recht, was anzufangen ist mit<br />
diesem Film. Zweifelsohne<br />
ist es ein spannendes Unterfangen,<br />
inhaltliche Fragen zur<br />
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Sonntag 22. April<br />
Zeit in den formalen Rahmen<br />
zu übernehmen. Ebenso ist<br />
aber unbestritten, dass es Gröning<br />
nicht gelungen ist, philosophische<br />
Themen in einem<br />
adäquaten Format zu verarbeiten.<br />
Zu zäh ist die Handlung<br />
und zu gewollt ist der Versuch,<br />
elaboriertes Bildungskino zu<br />
präsentieren.<br />
Und dann noch der vierte<br />
und letzte deutsche Beitrag,<br />
gleichzeitig der Abschlussfilm<br />
des Wettbewerbs: In den<br />
Gängen aus der Feder des Regisseurs<br />
Thomas Stuber (Herbert).<br />
Der schüchterne Christian<br />
(wieder Franz Rogowski)<br />
fängt neu an in einem großen<br />
Supermarkt irgendwo in Brandenburg.<br />
Sein Vorarbeiter Bruno<br />
(großartig: Peter Kurth)<br />
führt ihn in den Mikrokosmos<br />
ein, in dem die Belegschaft so<br />
etwas ist, wie eine große Familie.<br />
Die schlagfertige Marion<br />
(Sandra Hüller) hat es Christian<br />
angetan und als die beiden<br />
sich vorsichtig annähern,<br />
drückt der ganze Supermarkt<br />
die Daumen. Doch Marion<br />
ist verheiratet und damit fangen<br />
die Probleme an, die nicht<br />
kleiner werden, als Christians<br />
altes Leben ihn einzuholen<br />
droht. Regisseur Stuber inszeniert<br />
die Geschichte im Un-Ort<br />
Supermarkt. In den kalten, hohen<br />
Gängen ist eigentlich kein<br />
Platz für Leben. Und dennoch<br />
entspinnt sich zwischen den<br />
Mitarbeitenden ein Netz an<br />
Beziehungen und Verhältnissen.<br />
In den Gängen kommt<br />
traumartig leicht daher und<br />
wird von einem feinen, zurückhaltenden<br />
Humor untermalt,<br />
der der Geschichte trotz<br />
ihrer tragischen Entwicklung<br />
eine positive Kraft verleiht.<br />
Das deutsche Kino präsentierte<br />
sich im diesjährigen<br />
Wettbewerb also ambitioniert<br />
und durchaus mit Potential,<br />
Lob gab es von der heimischen<br />
wie der internationalen Kritik.<br />
Daher staunten nicht wenige,<br />
als am Ende bei der Bärenvergabe<br />
alle vier Filme leer ausgingen<br />
und in keiner der insgesamt<br />
acht Kategorien Erwähnung<br />
fanden. Nicht nur damit<br />
sorgte die sechsköpfige Jury<br />
unter Vorsitz des Regisseurs<br />
Tom Tykwer für eine Überraschung.<br />
Auch bei der Vergabe<br />
des Goldenen Bären setzte die<br />
Regula Mühlemann, Sopran<br />
Oscar Verhaar, Altus<br />
Michael Feyfar, Tenor<br />
Benoît Arnould, Bass<br />
Christoph Prégardien, Evangelist<br />
Daniel Ochoa, Jesus<br />
Kammerorchester Basel<br />
Camerata Vocale Freiburg<br />
Leitung: Winfried Toll<br />
Jury ein Ausrufezeichen. Dieser<br />
ging an den semidokumentarischen<br />
Spielfilm Touch me<br />
not der jungen rumänischen<br />
Regisseurin Adina Pintilie.<br />
Damit zeichnete die Jury den<br />
wohl kontroversesten Film des<br />
diesjährigen Wettbewerbs aus.<br />
Als Versuchsanordnung inszeniert,<br />
sehen wir in Touch me<br />
not die Mittfünfzigerin Laura<br />
(Laura Benson), die ihrem<br />
Problem, körperliche Nähe<br />
zuzulassen, mit verschiedenen<br />
therapeutischen Spielarten zu<br />
entgegnen versucht. Sie bestellt<br />
einen Callboy, dem sie<br />
beim Masturbieren zusieht<br />
(diese Szene kommt nach etwa<br />
fünf Minuten und bereits hier<br />
verließen die ersten Zuschauer<br />
den am Ende halbleeren Kinosaal)<br />
und versucht mit Sexualtherapeuten<br />
aus dem Transvestit-<br />
und SM-Bereich, ihre<br />
Berührungsängste abzubauen.<br />
Parallel folgt der Film Tomas<br />
(Tómas Lemarquis), der seine<br />
emotionale Verschlossenheit<br />
abbauen möchte, indem er in<br />
einer Therapiegruppe mit körperlich<br />
schwer beeinträchtigten<br />
Menschen das Spannungsverhältnis<br />
von innerer und äußerer<br />
Schönheit erkundet.<br />
Regisseurin Pintilie setzt sich<br />
in radikaler Form mit zentralen<br />
Fragen nach körperlicher Nähe<br />
und Intimität auseinander. Die<br />
Farbe Weiß dominiert, in manchen<br />
Passagen ist das Setting<br />
laborartig futuristisch. Eine<br />
immer wieder zwischengeschnittene<br />
Filmkamera weist<br />
uns auf die dokumentarische<br />
Grundierung dieses Experimentalfilms<br />
hin. Touch me not<br />
spaltete Publikum und Kritik<br />
in zwei polarisierende Lager.<br />
Während einerseits der voyeuristische<br />
Charakter des Films<br />
aufgrund deutlicher Nacktheit,<br />
Zur-Schau-Stellung von körperlicher<br />
Behinderung und intimer<br />
Grenzüberschreitungen<br />
angeprangert wurde, lobten<br />
andere die Stilsicherheit und<br />
experimentelle Anordnung,<br />
die eine moderne, provokante<br />
Form des Kinos zutage fördert.<br />
Unabhängig von der eigenen<br />
Position hatte Touch me not jedoch<br />
wahrlich keiner als Hauptgewinner<br />
auf der Rechnung.<br />
Auch die Regisseurin schien ob<br />
dieser Entscheidung aufrichtig<br />
überrascht. Damit hat die Jury<br />
eine mutige, bemerkenswerte<br />
Entscheidung getroffen. So<br />
schade es ist, dass die Filme<br />
von Petzold und Co. trotz ihres<br />
Potentials leer ausgingen, so<br />
richtig ist es, radikales, verstörendes<br />
Kino ins Rampenlicht zu<br />
rücken. Denn die kontroverse<br />
Debatte, die dadurch ausgelöst<br />
wird, setzt einen Erneuerungsprozess<br />
in Gang, der dem Kino<br />
als Ganzes nur gut tun kann.<br />
Johannes Litschel<br />
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