E_1928_Zeitung_Nr.072
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AUTOMÜBlL-REVUü <strong>1928</strong> — N°72<br />
gab. Sechs tage lebte Ruth wie eine Königin<br />
in Paris und wurde mit Geschenken überhäuft.<br />
Amerikas Jubel, Amerikas Gold...<br />
Noch grossartiger war der siegreiche Einzug<br />
in New-York, «die zweitgrösste Huldigung,<br />
die einem heimkehrenden Amerikaner<br />
zuteil wurde,» wie wir belehrt werden. Am<br />
.meisten entzückt war die Fliegerin über die<br />
Leute aus dem Volke, die sich mit dem echt<br />
amerikanischen «Oh, you Rut! » heiser<br />
schrien.<br />
Nach dem Empfang regnete es Reklameangebote.<br />
Der berühmt gewordenen Fliegerin<br />
werden bis 1000 Dollars dafür geboten,<br />
dass sie ihren Namen auf Annoncen setzt.<br />
Aber sie hält auf ihre Würde! «Ich legte<br />
Wert darauf, mich würdig aufzuführen, denn<br />
ich hatte bereits die Nadelstiche boshafter'<br />
Bemerkungen kennengelernt.» Das einzige<br />
Angebot, das sie annimmt, sind 1000 Dollars<br />
von einer Uhrenfirma, dafür dass sie eine<br />
ihrer Uhren, benutzt. Dann unterschreibt sie<br />
einen Kontrakt mit einem Variete für 25 Wochen<br />
mit angeblich 5000 Dollars wöchentlich.<br />
Als liebevolle Tochter schickte sie gleich<br />
ihrer Mutter 1000 Dollars mit der Anmerkung<br />
«Fortsetzung folgt». Vom Goldregen<br />
erhält der Pilot Fkldeman ein Viertel und<br />
Papa und Mama ein neues Haus in ihrer<br />
Heimatstadt. Der., Ehegatte Nr. 2 taucht ebenfalls<br />
auf, wird interviewt und erklärt öffentlich,<br />
dass die Ehe mit'Ruth eine Kette von<br />
Enttäuschungen war, eine Feststellung, der<br />
die Fliegerin nicht' widersprach, zumal sie<br />
mindestens «200 Heiratsanträge» erhalten hat<br />
und «verschiedene Herren 'sich bereit erklärt<br />
haben, ganz grosse Vermögen mit ihr zu tei-<br />
lechzt nach unsern frischen<br />
Mücken und glänzenden<br />
Spinnern! Weshalb sie<br />
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len.» *<br />
Die grosse Neigung für den grossen Liridy,<br />
Die Krönung: ihres Triumphes ist ein Mittagessen<br />
im Weissen Hause bei Präsident<br />
Coolidge, an dem auch die übrigen Ozeanflieger<br />
Byrd, Charles Levine, Bert Acosta<br />
und Lindbergh teilnahmen. Dort trifft sie<br />
endlich ihren Abgott Lindy und träumt fortab<br />
nur noch von einem Ozeanflug mit ihm.<br />
Der Präsident isst sehr wenig und Ruth<br />
zwingt ihm eines seiner seltenen Lächeln ab,<br />
als sie ihm vorwurfsvoll sagt: «Aber, Herr<br />
Präsident, was soll das heissen? sie essen<br />
ja wie ein Kanarienvogel!»<br />
Natürlich wird die arme Ruth auch von<br />
bösen Zungen nicht verschont uii3 die <strong>Zeitung</strong>en<br />
schreiben spaltenlang über ihre ausgiebige<br />
Verwendung von Lippenstift und Pu-,<br />
derquaste. Empört bemerkt dazu die geistreiche<br />
Verfasserin: «Eine Frau kann heutzutage<br />
mit blanker Nase nicht weit kommen».<br />
Selbstverständlich endet die Sache mit einem<br />
Engagement beim Film und die vielseitige<br />
Dame wird nächstens zu ihrem ersten Film<br />
antreten. Sollte dieser erste Film auch ihr<br />
letzter sein, so will sie sich wieder dem<br />
Fliegen widmen, wenn möglich, der Postbeförderung,<br />
mit der auch Lindbergh sich zuerst<br />
seine Sporen verdient hat. «Wie himmlisch<br />
muss es sein,» so schliessen die Denkwürdigkeiten,<br />
«mit 200 Meilen in der Stunde<br />
und einer Fracht von Geldbriefen im Werte<br />
von einer Million durch die Luft zu sausen<br />
und dann von dem Flugzeug eines Banditen<br />
angegriffen zu werden! Wie spannend — den<br />
Räuber zu beseitigen und mit der geretteten<br />
Fracht weiterzufliegen!» Ob es zu einem<br />
zweiten Ozeanflug kommt, soll von der weiteren<br />
Entwicklung der Geschäfte abhängen,<br />
vor allem davon, ob ihr Freund Lindbergh<br />
I mit will.<br />
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Bankdiebstähle im wilden Westen, blutige<br />
Schiessereien, Verfolgungen auf Leben und<br />
Tod sind Geschehnisse, die schon längst aus<br />
dem Reich der-Wirklichkeit in die Aufnahmeateliers<br />
der Kino-Gesellschaften versetzt<br />
worden sind. Amerikareisende haben der Romantik<br />
wilden Bandentums ein Ende bereitet.<br />
Tom Mix lebe heute nicht mehr, statt verhüllter<br />
Gesichter und blitzender Pistolenläufe<br />
herrsche der Dollar. Business in New<br />
York, ^ Business in Kansas.-... :<br />
Von Zeit zu Zeit jedoch meldet, der Draht,<br />
dass das Faustrecht im Lande der Yankees<br />
noch nicht erloschen ist. So berichtet Arnold<br />
Höllriegel,: der Korrespondent des Berliner<br />
Tagblattes, folgendes spannendes Erlebnis<br />
auf der Fahrt durch den wilden Westen:<br />
Wir fuhren mit unserem Auto in das Städtchen<br />
Lamar ein. Lamar, Colorado, 5000 Einwohner,<br />
Hauptort der Grafschaft Country.<br />
Lamar sah aus, wie es auszusehen<br />
hatte: erst vor dem Ort eine lange Allee von<br />
Benzinstationen, Garagen, Autogeschäften,<br />
dann nette, gleichförmige Wohnhäuschen im<br />
Grünen, mit je einem Auto vor je einer Veranda<br />
mit je zwei Schaukelstühlen, dann<br />
Mainstreet, die ewige Hauptstrasse, mit Asphaltpflaster,<br />
daran das Hotel, die Bank, die<br />
Drogerie (mit Sodawasserfontäne), eine Cafetaria,<br />
zwei konkurrierende Fünf-und-zehii-<br />
Cents-Warenhäuser (der von Woolwortli<br />
und der von Kress), das Kino (heute abend:<br />
Lon Charly in «Lache, Clown, lache!»), das<br />
Logenhaus der «Eiche».<br />
Immer wieder die gleiche Stadt. Ich schrieb<br />
rasch in mein Notizbuch: Lamar, Colorado.<br />
Immer die gleiche Stadt. Nichts los!<br />
So flüchtig beurteilt man das Weltgeschehen.<br />
Als wir vor dem Drugstore hielten, um<br />
irgend was Eisgekühltes zu trinken, sahen<br />
wir auf einmal, dass in Lamar soeben grosse<br />
Dinge geschahen.<br />
Dem Drugstore gegenüber lag die Bank<br />
«First National Bank of Lamar». Die Tür<br />
war weit aufgerissen, und vor ihr standen<br />
Männer mit Gewehren, gestiefelt, mit breiten<br />
Hüten über finsteren Gesichtern. Genau bei<br />
der Wasserpumpe, an der es sonst streng<br />
verboten ist, ein Auto halten zu lassen, standen<br />
gleich zwei Autos, und andere Bewaffnete<br />
stiegen eben ein. Der Sheriff der Grafschaft<br />
(mit einem blinkenden Blechstern auf<br />
seiner sonst bürgerlichen Weste) trieb die<br />
Leute zur Eile an. Man brachte das Gepäck<br />
der Expedition: einen grossen Frühstückskorb,<br />
sicher mit ein paar Whiskyflaschen<br />
darin, mehr unoffiziellen, und zweitens<br />
ein Maschinengewehr.<br />
Als unser Auto stillstand, sprangen gleich<br />
ein paar derbe Farmer darauf zu, sahen uns<br />
ins Gesicht. Aber nein, wir waren nicht die<br />
Räuber!<br />
Zwei Stunden zuvor waren vier fremde<br />
Männer in einem blauen Buick-Auto vor der<br />
First National Bank eingetroffen, in dem<br />
v<br />
eben ein friedlicher Geschäftsbetrieb im<br />
Gange war. Sie hatten wie Kunden den<br />
Schalterraum betreten, dann auf einmal<br />
'Revolver gezogen und zu schreien begonnen:<br />
Hände hoch! Der Bankkassier, ein<br />
offenbar kühner junger Mann, namens John<br />
Parriah, tauchte unter sein Pult und brachte<br />
einen Revolver zum Vorschein. Eine Sekunde<br />
später war er tot. Der Präsident der Bank,<br />
der der Vater des erschossenen Kassiers<br />
war, lief aus dem Chefzimmer herbei und<br />
wurde von den Banditen ebenfalls ermordet.<br />
Einen anderen Beamten der Bank, E. A. Kes-<br />
•singer, nahmen die Verbrecher mit an ihr<br />
Auto, niemand weiss, weswegen. Einer von<br />
den Bankräubern hatte einen blutigen Kopf,<br />
da er bei der Schiesserei verletzt worden<br />
war. Die vier nahmen aus der Kasse siebentausend<br />
Dollars und einen grossen Haufen<br />
Wertpapiere und fuhren in ihrem blauen<br />
Wagen durch Mainstreet, am lichten Tage,<br />
unter grossem Aufsehen, ohne dass sie jemand<br />
aufgehalten hätte. Ich denke mir, die<br />
Ortspolizei hielt eben an einer anderen<br />
Stelle Automobilisten an, weil sie die Verkehrssignale<br />
nicht beachtet hatten. Als eine<br />
aufblühende Stadt hat Lamar, Colorado, natürlich<br />
bereits rot und grün leuchtende Verkehrssignale<br />
und scharfe Knöpfe im Pflaster,<br />
die das Linksfahren auf Mainstreet verhindern<br />
sollen. Gar so unzivilisiert ist der<br />
amerikanische Westen doch nicht mehr.<br />
Wir fuhren den ganzen Tag durch eine<br />
Landschaft voll niederer 'grüner Bodenwellen,<br />
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