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KIRRMANNS SCHWUR

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«Wir werden weiter marschieren,<br />

Wenn alles in Scherben fällt,<br />

Denn heute da hört uns Deutschland<br />

Und morgen die ganze Welt.»<br />

Wir warfen einander schockierte Blicke zu: jeder hatte ganz eindeutig begriffen, dass das Leben<br />

mit solchen Leuten nicht möglich war.<br />

Einige Tage später verschlimmerte sich die Lage. Alle Juden, die sich noch in Zabern aufhielten -<br />

unter ihnen auch Fernand Loth und seine Familie -, wurden zusammengetrieben und in die Freie<br />

Zone abgeführt. Dort wurden sie als Flüchtlinge aus Elsass-Lothringen, ohne jede rassistische<br />

Diskriminierung aufgefangen. Dazu ist zu bemerken, dass die antisemitischen Verfügungen auf<br />

Eigeninitiative des Vichy-Regimes erst in Dezember 1940 veröffentlicht wurden. Paul<br />

Durrenberger teilte mir mit, dass sein Vater, Beamter bei der Nationalen Französischen Eisenbahn<br />

S.N.C.F., mit seiner Familie nach Paris wollte und, falls es zur Flucht kommen sollte, ich seine<br />

Adresse in Paris an der philologischen Fakultät erfahren konnte. Fernand Loth und seine Familie<br />

überlebten den Krieg und kehrten nach Zabern zurück.<br />

Von den 625 Juden in Zabern waren bei Kriegsende nur 126 spurlos verschwunden. Die 500<br />

Überlebenden müssten dann wohl irgendwo und irgendwie Schutz bei und von der “normalen“<br />

Bevölkerung gefunden haben. Dies erklärt auch, weshalb auf nationaler Ebene die Prozentzahl der<br />

in den Osten deportierten Juden weit unter dem Durchschnitt der von den Nazis besetzten Länder<br />

West-Europas lag. In diesem Herbst 1940 fürchteten sich alle vor weiteren Vertreibungen. Es war<br />

allgemein bekannt, dass jedem, der der Francophilie verdächtigt wurde, die Vertreibung aus dem<br />

annektierten und germanisierten Elsass drohte.<br />

Es gab in Zabern nur ganz wenige elsässische Verräter. Einer von denen, der den Posten des<br />

Kreisleiters innehatte, heuchelte meinem Vater sein Erstaunen vor, nämlich darüber, dass ich - in<br />

Abwartung der Neubildung einer neuen deutschen Universität in Straßburg - mein Studium nicht<br />

an der Uni Heidelberg fortsetzen wollte, denn das Elsass war Teil des Gaus Elsass-Baden im<br />

Dritten Reich. Es war uns bekannt, dass dieser Kreisleiter das Vertrauen der Nazis genoss, wenn<br />

es darum ging, die Unerwünschten zur Vertreibung anzuzeigen. Der genannte Ganther wurde<br />

nach der Befreiung der Justiz in Zabern gestellt, zum Tode verurteilt und 1947 standrechtlich<br />

erschossen.<br />

Nach dieser Verwarnung ging die Angst meines Vaters in Panik über. Er bedrängte mich, mit<br />

inständiger Bitte, «vorübergehend», um in die Irre zu führen, nach Heidelberg zu ziehen. In den<br />

ersten Oktobertagen reiste ich ab und blieb bis Ende März 1941. Kurz nach meiner Ankunft, am 22.<br />

Oktober 1940, war ich Zeuge der Vertreibung der bedeutenden jüdischen Gemeinschaft von<br />

Heidelberg und Umgebung. Im Vergleich mit der Behandlung, die die Elsässer Juden in Juli 1940<br />

erfuhren, endete die Deportation für die 282 Heidelberger Juden viel tragischer, meistens mit dem<br />

Tod. Sie wurden von der Polizei unter den gleichgültigen Blicken der Heidelberger Bevölkerung<br />

in Lastwagen zusammengedrängt. Ihr Schicksal entnahm ich in einer Schrift, 1965 von einem<br />

heute verstorbenen Heidelberger Verleger publiziert. Sie wurden in Tierwaggons nach Lyon<br />

gebracht, dürften nicht mehr als 300 Mark und 30 Kilo Gepäck mitnehmen. Bei der<br />

Demarkationslinie wurde ihnen einen Teil des Geldes abgenommen. Von dort ging es zum Lager<br />

von Gurs, in den Pyrénées-Atlantiques. Das Gepäck, systematisch beraubt, folgte später. Viele von<br />

ihnen kamen durch Hunger und Erschöpfung um. Nach einer Reihe Verhandlungen zwischen<br />

dem SS-Offizier Dannecker und dem Vertreter der französischen Polizei, Jean Leguay, wurden die<br />

Inhaftierten von Gurs nach Drancy, später - in verschiedenen Konvois - nach Auschwitz<br />

transportiert. Es ist größtenteils dem wiedergefundenen Tagebuch des Hans Oppenheimer zu<br />

verdanken, dass das Los der Heidelberger Juden nachverfolgt werden konnte. Es stellte sich<br />

heraus, dass in November 1942 etwa 6000 Juden aus dem Saargebiet und dem Badener Land in die<br />

französische besetzte und freie Zone abgeführt wurden.<br />

Von den Elsässern und Lothringern, die sich in Heidelberg befanden, waren 95% bemüht, ihren<br />

Eltern die Vertreibung zu ersparen. Die brutal verlaufende Verbannung erfolgte im Dezember, in<br />

aller Frühe morgens. Beim Einstieg in die Tierwaggons wurde erlaubt, 30 Kilo Gepäck und 2000<br />

Francs mitzunehmen. Die Auswahl erfolgte völlig willkürlich. Einigen Familien, die fest glaubten,<br />

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