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KIRRMANNS SCHWUR

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machte er dort? Während die einen den anderen halfen, sich einzurichten, krochen wir in seine<br />

Ecke. Wir versuchten Dumas, der zweifach bedrückt war, sowohl wegen des misslungenen<br />

Fluchtversuchs als auch aufgrund des Wiedersehens mit seiner Mutter, unter die Arme zu greifen.<br />

Henri Weilbacher forderte mich auf, die ganze Geschichte zu erzählen. Schnell erledigt: die Liste<br />

von Mathieu, meine Vernehmung bezüglich unseres Treffens im Polizeirevier, meine Erklärung.<br />

Dazu wusste er zu berichten, dass er am ersten Oktober verhaftet wurde und bis November 1943<br />

unter strengster Geheimhaltung eingesperrt war, Hände und Füße mit Stacheldraht gefesselt (die<br />

Stellen seiner Kleidung an Ellbogen und Knien waren geflickt worden). Er wurde vom Führer der<br />

Gestapo Zone Süd, SS-Sturmbannführer Geissler, persönlich verhört. Eine Frau, im Dienst der<br />

Vichy-Miliz, aufgrund seiner Kontakte misstrauisch geworden, habe ihn angezeigt. Er nannte mir<br />

ihren Namen, den ich vergessen habe. Erst nach mehreren Wochen Verhör hatte Geissler das<br />

Thema des Widerstandsnetzes an der Universität angeschnitten, das Henri organisiert haben soll.<br />

Henri hatte alles geleugnet. Geissler hatte keinen einzelnen Namen nennen können, der ihn in<br />

Bedrängnis gebracht hätte. Es war also nicht auf diese Art und Weise, dass Mathieu über unsere<br />

Bekanntschaft erfahren haben konnte. Er stimmte meinem Vorwand zu, unter dem ich ihn in Juni<br />

1943 im Polizeirevier aufgesucht hatte, und wir vereinbarten, uns an diese Erklärung zu halten,<br />

falls wir nochmals zu dieser Angelegenheit verhört werden sollten. Er war der Meinung, dass die<br />

Sache mit Bezug auf ihn seit der Aufhebung seiner Geheimhaltung abgeschlossen war. In der<br />

Folge war er zusammen mit anderen eingesperrt worden, wie auch Kolonel Boutet und François<br />

Marzolf, die am gleichen Tag wie er verhaftet wurden. Es hatte keinen Sonderbefehl zur deren<br />

Überwachung gegeben und Marzolf war sogar für die Reinigungsarbeiten im Gefängnis eingeteilt<br />

worden.<br />

Zwei Monate, bis Anfang März 1944, sollten wir zusammen in der gleichen Zelle verbringen.<br />

Obwohl bis auf die Knochen abgemagert, war seine Geistesstärke unversehrt geblieben. In aller<br />

Diskretion gab er mir zu verstehen, dass Geissler hauptsächlich über die möglicherweise<br />

weitergeleiteten Nachrichten und Hinweise hinsichtlich der deutschen Luftwaffenbasis in Aulnay<br />

nah Clermont besorgt war. Das würde meiner Meinung nach reichen, um uns alle zu erschießen.<br />

Henri schien jedoch voller Vertrauen. Meine Überzeugung, dass der SS-Sturmbannführer Geissler<br />

beschlossen hatte, meinen Freund zu beseitigen, wurde Ende Januar während eines weiteren<br />

Gesprächs mit Henri bestätigt.<br />

Der Winter war streng und morgens mussten wir, um uns im Innenhof einigermaßen waschen zu<br />

können, das Eis von der Wasserzufuhr entfernen. Der einzige Vorteil solcher Wetterbedingungen<br />

war, dass wir in der Zwischenzeit unsere Klamotten wie flanellene Gürte und Wollsachen, die wir<br />

nachts um die Lenden trugen und die von sehr fortpflanzungsfähigen Läusen befallen waren, zur<br />

Parasitenbeseitigung auf die Leine hängen konnten. In wenigen Augenblicken wurden diese<br />

Parasiten samt ihren unzählbaren Eiern vom Frost getötet. Schnellstens wieder angezogen, trafen<br />

wir wieder in unserer Zelle ein und waren überglücklich, dass wir uns mithilfe einiger vorher<br />

eingesammelten Brennstoffe aufwärmen konnten. Eines Tages, nach der “Toilette“ wieder<br />

zurückgekehrt, saß ich auf der Bank neben Henri, während die anderen Kameraden sich auf ihren<br />

Matratzen zusammenkauerten. Seit einiger Zeit, einiger Tage, hatte sich der Schmerz in meinen<br />

zersplitterten Backenzähnen wieder bemerkbar gemacht. Mal der eine, mal der andere bloßgelegte<br />

Nerv verursachte mir über mehrere Wochen einen stechenden Schmerz, ein wahres Martyrium.<br />

Nachdem er nach mehreren Wochen Verhör von seinen Fesseln befreit und in ziemlich normale<br />

Haftbedingungen versetzt wurde . so erzählte mir mein Freund - ließ Geissler ihn vorführen und<br />

fing ein unerwartetes Gespräch an, als ob nie was passiert wäre. Wie unter Kollegen der Polizei<br />

ging das Gespräch über seine Karriere,, über seine Verantwortung. Unter anderem sagte er ihm,<br />

indem er sich selbst hochlobte, dass er zu seiner derzeitigen Aufgabe der Repression berufen<br />

worden sei, nachdem sein direkter Vorgesetzter, Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei<br />

SIPO, 1942 in Prag von einem britischen Kommando erschossen worden war. Er sei, so fügte er<br />

hinzu, der Führer der Repressalien, der Verantwortliche für die Vernichtung der Ortschaft Lidice<br />

sowie für die Erschießung der Männer und die Deportation der Frauen und Kinder gewesen.<br />

Plötzlich, mitten in seiner Schilderung des Geschehenen, fragte Henri mich, weshalb ich so blass<br />

geworden war. Ich erwiderte, dass es ein blankgelegter Nerv sei, der wieder anfing, mich zu<br />

quälen. Das war diesmal gelogen, aber der einzige Vorwand, der mir einfiel, um mein Entsetzen<br />

zu verbergen. Wenn Geissler zu solchen Geständnissen überging, dann nur weil er bereits<br />

entschieden hatte, meinen Freund zu eliminieren, und er Katz und Maus mit ihm spielte. Es<br />

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