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KIRRMANNS SCHWUR

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Es gab sogar Zeitungen: neben der deutschsprachigen Pariser Zeitung konnte man in einer<br />

anderen, zensierten, aber interessanten französischen Tageszeitung - L’Écho de Nancy - die Berichte<br />

über den Petiot-Prozess lesen und die heftigen, wochenlang dauernden Kritiken über den Prozess<br />

zu Lasten von Pierre Pucheu in Algier verfolgen. Ohne dass irgendein Befehl oder Anweisung<br />

seitens der Besatzungsmacht erteilt wurde, traf die illegale Vichy-Regierung Zwangsmaßnahmen,<br />

erst gegen die Juden und später, nach dem Unternehmen Barbarossa und den Angriff auf die<br />

UdSSR am 22.06.1941, auch gegen die Kommunisten. Pucheu war Innenminister der Vichy-<br />

Regierung und - unter dem Vorwand, die “echten“ Franzosen vor der Erschießung als Geisel zu<br />

retten - legte den Deutschen auf eigene Initiative eine Liste mit Namen von ausschließlich Juden<br />

und Kommunisten vor. Nach der Landung der Alliierten in Nord-Afrika und dem Einmarschieren<br />

der Besatzungstruppen in die Frei Zone gelang es ihm, nach Algier, in das befreite Algerien zu<br />

fliehen, wo er - mit derselben ungeheuren Leichtfertigkeit - sich als Patriot präsentierte und nichts<br />

weniger als einen Ministerposten im Dienst des “Freien Frankreichs“ für sich beantragte. De<br />

Gaulle überstellte ihn dem Militärgericht. Zum Tode verurteilt wurde er während unseres<br />

Aufenthalts in Compiègne, gerade zu der Zeit, als die Namensliste für die Deportation aufgesetzt<br />

wurde, standrechtlich erschossen. Die “Milice Française“, die paramilitäre Organisation der Vichy-<br />

Regierung im Dienst der Nazis zur Bekämpfung des “Terrorismus“, machte großen Wirbel um die<br />

Affäre. Selbstverständlich war diese Art Tagespresse Wasser auf die Mühle der Nazis, die die<br />

Zeitung freigaben, umso mehr da die Milice ihnen bei den Operationen gegen den Widerstand in<br />

den Städten und im Maquis unentbehrlich war, denn im Frühjahr 1944 breitete sich der<br />

Widerstand erheblich aus.<br />

Wir, die Häftlinge, sahen ein, dass die Deutschen Truppen nun gezwungen wurden, die Front an<br />

der Atlantik zu verstärken. Demzufolge überließen sie der Miliz die Drecksarbeiten der<br />

Repressalien nach den Attentaten, die von den Maquisards, den französischen<br />

Widerstandskämpfern, sowohl in den Städten als auch auf dem Land verübt wurden. Es blieb den<br />

Widerstandskämpfern nicht anderes übrig, als ihre Feinde der Miliz einen nach dem anderen zu<br />

eliminieren. Aus diesem Grund bestand der Polizeileiter von Vichy im April 1944 - d.h. nachdem<br />

bereits zwei Konvois am 20. März und 5. April Frankreich in Richtung Mauthausen verlassen<br />

hatten - bei der Gestapo darauf, dass der darauffolgende Konvoi, der unsere, behandelt werden<br />

sollte, als ob er aus nur Juden und Kommunisten bestände. Er betrachtete Kommunisten und<br />

Juden als gleiche und fügte noch die Freimaurer hinzu. Es war aus lauter Opportunismus, dass die<br />

Gestapo eine solche Behandlung billigte. Nur die Milizführer setzten auf die Bildung einer Nazi-<br />

Regierung nach dem Endsieg und hofften in einer solchen Regierung die hohen Posten<br />

zugewiesen zu bekommen. Innerhalb der Gestapo glaubte keiner daran. Während unseres<br />

Aufenthalts in den Nazi-Lagern stellten wir manchmal fest, dass die Deutschen einen gewissen<br />

Respekt für ihre Feinde aufbrachten und deren Patriotismus schätzten. Den Milizleuten, den<br />

Landesverrätern gegenüber, zeigten sie nur Verachtung.<br />

Die Quarantäne, vierzig Tage Aufenthalt im Transitlager zu Compiègne hatte wir nun<br />

durchgehalten. Es war uns klar, dass die bereits erlebten Schwierigkeiten und Zwischenfälle noch<br />

ziemlich harmlos waren im Vergleich mit dem, was noch auf uns zukommen sollte: eine Welt der<br />

absoluten Grausamkeit. Um den 23. oder 24. April - in den vergangenen fünf Wochen hatte ich<br />

kein einziges Paket von draußen bekommen, während andere reichlich versorgt wurden - fühlte<br />

ich mich plötzlich schwach, bekam Fieber und empfand wieder Schmerzen im Rachen. Bei Appel<br />

um 17 Uhr wurde mir schwindlig und meine Kameraden mussten mich bis zu der<br />

Krankenpflegestation unterstützen. Krankenpfleger Ickel, Medizinstudent und Landesgenosse aus<br />

Reichshoffen im Departement Bas-Rhin, leitete alles in die Wege, um mich von Marsault als<br />

bettlägerigen Kranken eintragen zu lassen. Anderntags wurde mit der Zusammensetzung des<br />

Konvois angefangen. Nachdem alle auf den Appellplatz versammelt waren, wurden die Namen<br />

der Betroffenen laut vorgelesen. Meine Kameraden Dumas und Chalus kamen zur<br />

Krankenpflegestation, um mir mitzuteilen, dass wir alle drei aufgerufen wurden. Das bedeutete,<br />

dass alle Aufgerufenen anderntags zum Appellplatz geführt, die Namen auf der Liste abgehakt<br />

und jeder einer Leibesdurchsuchung unterzogen werden sollte. Danach sollten wir unter<br />

strengster Bewachung im Nebenlager eingesperrt die Nacht verbringen, um am darauffolgenden<br />

Tag zum Zug gebracht zu werden.<br />

Nur selten blieben Kranke von der Deportation verschont. Nach einer schlaflosen Nacht hatte ich<br />

jede Hoffnung, sogar die aufs Überleben aufgegeben. Morgens war jedoch das Fieber<br />

verschwunden. Ich versuchte noch nicht mal den Stand des Thermometers zu fälschen. Ein<br />

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