KIRRMANNS SCHWUR
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Angeblich, jedenfalls laut übereinstimmender Indizien, hatte seine Frau - durch Zahlung mit ihrer<br />
eigenen Person bei der Gestapo - seine Freilassung bewirkt.<br />
Eines anderen Tages, beim Gitter Ausschau haltend, schlug ich Alarm, als ich einen unbekannten<br />
Wachposten den Innenhof in unsere Richtung überqueren sah. Er öffnete die Tür und schüttelte<br />
die Hände einiger “Altgesessener“, die ihn angeblich kannten. Er konnte etwa Ende vierzig, fast<br />
fünfzig sein und - so sagte er - “im Zivilleben“ war er Gefängniswärter. Stolz zeigte er auf seine<br />
Abzeichen, unter denen auch die international anerkannte Gefängnismedaille, die er - so betonte<br />
er - vor 1933 bekommen hatte. Er brauchte einen zuverlässigen Dolmetscher und alle zeigten auf<br />
mich. «Ich komme mich von Ihnen verabschieden. Ich kann es nicht mehr ansehen, wie Patrioten<br />
wie Sie hier behandelt werden und deshalb habe ich um etwas gebeten, was sie mir nicht<br />
verweigern können, nämlich als Freiwilliger wieder an die Ostfront versetzt zu werden.» Beim<br />
Übersetzen war ich sehr gerührt. Dies war das zweite Mal, nach dem katholischen Pfarrer der<br />
Wehrmacht, dass ich ein Gefühl des tiefen Respekts vor dem vorbildlichen Verhalten eines<br />
deutschen Soldaten empfand. Weder den Pfarrer noch diesen Gefängniswärter sollte ich je<br />
wiedersehen.<br />
Die Aufzählung der Lichtblicke wäre unvollständig, wenn ich nicht eine Art Idylle, die ich einige<br />
Wochen lang erleben durfte, erwähnen würde. Bei “Titi“- den Spitznamen hatten wir ihr gegeben -<br />
hatte ich einen Stein im Brett. Sie wurde im vorigen Dezember zusammen mit den<br />
Widerstandskämpfern in Billom gefasst. Von denen, die nicht bei dem von den<br />
Universitätsstudenten ausgehobenen Graben erschossen wurden oder nicht deportiert wurden,<br />
waren nur Oberfeldwebel Frobert der Gendarmerie, bereits zusammen mit uns eingesperrt, und<br />
dieses pfiffige, noch keine achtzehn Jahre alte Mädel, zurückgeblieben. Die Deutschen, sowohl die<br />
Gestapo als auch die Wachposten, nannten sie spottend die “Terroristin“, gerade weil sie<br />
überzeugt waren, dass sie keine sein konnte. Sie wurde für die leichten Arbeiten auf dem<br />
Gefängnisflur eingesetzt. Von den Wächtern geneckt, spielte sie das Spielchen fröhlich mit, denn<br />
so gelang es ihr, zahlreiche für die Moral wichtige Nachrichten und Neuigkeiten zu verbreiten. In<br />
der Überzeugung, dass Titi während der Aktion gegen die Maquisards durch Zufall geschnappt<br />
wurde, nahmen die Schergen der Gestapo sie öfters, für einen oder zwei Tage, mit nach Royat,<br />
nördlich von Clermont-Ferrand, damit sie dort in ihrer beschlagnahmten Villa die Hausarbeiten<br />
erledigte. Obwohl ich andere Sorgen hatte, fielen mir doch schnell die äußerst freundschaftlichen<br />
Gesten auf, die sie, so oft sie dazu die Gelegenheit bekam, insbesondre an mich richtete. Eines<br />
Tages gelang es ihr, mir eine Botschaft, eine verhüllte Liebeserklärung, zuzuschieben. Sie verriet<br />
mir ihren Namen, Augusta, und schrieb, dass sie aus einer armen Familie mit zehn Kindern<br />
stammte. Ihr Vater führte ein Café. Jetzt, wo sie ganz tolle, mutige und liebevolle Leute getroffen<br />
hatte, war sie zum ersten Mal entzückt, sich in diesem Gefängnis zu befinden, umso mehr da sie<br />
mich sehen konnte. Deutlicher konnte sie wohl nicht sein… An einem Morgen im Februar, nach<br />
dem Waschritual am Brunnen, auf dem Weg zu den Toiletten, fasste ein Kamerad - er musste<br />
Bescheid gewusst haben - mich beim Arm und zog mich unter die eisernen Treppe, die zu den<br />
Zellen auf der Etage führte. Ich sollte ein Moment ruhig stehen bleiben. Er gab ein Zeichen, worauf<br />
“meine“ kleine hübsche Rothaarige erschien. Sie umarmte mich und küsste mich auf beide<br />
Wangen, um dann - ohne ein einziges Wort - sofort zu verschwinden, als ob sie sich schämen<br />
würde. Ein eigenartiges Gefühl, zugleich gerührt und genervt zu sein. Genervt, denn mich quälte<br />
ständig die Unsicherheit über mein Schicksal und ließ mir keinen Raum für Emotionen und<br />
Sentimentalität. Gerührt, indem ich mir sagte: endlich jemand, dem das Gefängnis zu bekommen<br />
scheint. Was ich erst später erfahren sollte und was in diesem Zusammenhang wohl wichtiger<br />
war, ist, dass Augusta nicht “zufällig“ bei der Razzia mitgefangen wurde. Sie war niemand anders<br />
als die Verbindungsfrau zu Coulandon, dem Verantwortlichen des Maquis im Departement Puyde-Dôme.<br />
Als sie am Morgen des 16. Dezember 1943 die Deutschen kommen sah, kam sie ihnen<br />
zuvor und lief im Nachthemd zum Dorf, um ihre Leute zu alarmieren: «Rettet euch! Die Deutsche<br />
kommen herauf!». Ein Teil der Résistants konnte der Gefangennahme entkommen. Zwar hatten<br />
die Deutschen eine junge Frau, die Alarm geschlagen hatte, gesehen und überall gesucht, jedoch<br />
wussten sie nicht, dass es gerade das bereits zusammen mit den anderen verhaftete Mädel war. Im<br />
Gefängnis war sie sehr beunruhigt: ihre Papiere waren gefälscht und unter den rotgefärbten<br />
Haaren wuchsen ihre natürlichen braunen allmählich nach. Sie befürchtete, eines Tages erkannt zu<br />
werden und suchte eine Möglichkeit zur Flucht. Sie hatte es fertig bekommen, für allerhand<br />
Arbeiten, auch außerhalb des Gefängnisses, eingesetzt zu werden, mit der Absicht, die erste<br />
Gelegenheit zu nutzen, um die Flucht zu ergreifen. Als sie wieder für die Hausarbeiten nach Royat<br />
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