14.12.2012 Aufrufe

KIRRMANNS SCHWUR

KIRRMANNS SCHWUR

KIRRMANNS SCHWUR

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Das Schicksal des zweiten Bruders, Charles, weiter im verbleibenden dritten Zuave eingebunden,<br />

war dramatischer. Am 31. August 1918 ging seine Patrouille, auf Befehl des Scharführers, auf die<br />

Suche nach Wasser. In der Nähe von Sidi Minoun, im Tazastreifen, wurden sie von einer<br />

Rebellenreitertruppe überfallen und, nach einem kurzen Scharmützel fielen Charles und seine<br />

Mitstreiter. Die Leichen wurden nicht repatriiert und vor Ort begraben. Später wurden die Gräber<br />

geschändet. Anfangs war Charles nach Frankreich übergesiedelt, um Elsass-Lothringen<br />

zurückzuerobern. Letztendlich starb er im fremden Ausland, für eine Sache, die nicht die seine<br />

war.<br />

Als am 19. November 1918 die Siegertruppen Zabern erreichten, hatte die Militärbehörde als<br />

ersten Auftrag, sich nach der Familie Margraff zu erkundigen, um ihr die Nachricht zu<br />

übermitteln, dass Onkel Albert sich in Paris allmählich von seinen Kriegsverwundungen erholte<br />

und sein Bruder Charles irgendwo in Marokko einquartiert war. Als Albert einige Wochen später<br />

in Zabern eintraf, musste er seinen Eltern leider mitteilen, dass Charles nie wiederkommen würde.<br />

Es ist nicht die autobiografische Besorgnis, die mich dazu bringt, über das Schicksal meiner<br />

Familie zu berichten, sondern vielmehr die Absicht, die Wesensart und Einstellung des Elsass-<br />

Lothringen jener Epoche darzustellen und herauszuarbeiten. Großväter wie mein Großvater Alois<br />

gab es Tausende in dem siebenundvierzigjährigen Zeitraum von 1871 bis 1918, woraus zu<br />

schließen ist, dass nicht die Muttersprache als Kriterium und Nachweis für die Nationalität des<br />

Betroffenen angewandt werden kann.<br />

Kapitel II<br />

ADOLESZENZ<br />

Der Tod meines Großvaters im Jahr 1928 war für mich grausam. Viel Trost fand ich bei meiner<br />

Großmutter. Meine Eltern, zu sehr in der Bäckerei beschäftigt, hatten mich Bauerntöchtern<br />

anvertraut. Diese waren zwar sehr nett und freundlich, jedoch weit von jeder kulturellen Bildung<br />

entfernt und ohne Erfahrung im Bereich der Nahrungs- und Körperhygiene, sodass ich über<br />

längere Zeit ein schmächtiger Bursche blieb. Dazu kam noch, dass mein Vater, ein<br />

schwerarbeitender, rauer Kerl, mit dem ich mich nie auf Französisch unterhalten habe, mich - statt<br />

in die unteren Klassen des Gymnasiums zu schicken - für drei Jahre der Gemeindeschule<br />

anvertraute. Dort teilte ich den Unterricht mit Kindern bescheidener Herkunft und hörte als<br />

einzige Sprache nur die Elsasser Mundart. Mein Vater hatte jedoch die Anweisungen des<br />

Großvaters Alois nicht vergessen. Alois war der Meinung, dass ich, mit meinem wachen Geist,<br />

unbedingt und so früh wie möglich sowohl ins Alte Frankreich als auch nach Deutschland<br />

geschickt werden sollte, um mir auf der einen Seite ein korrektes Französisch anzueignen, auf der<br />

anderen Seite ein korrektes Deutsch zu lernen, ohne Mundartbeimischungen mit überwiegend<br />

germanischen Wurzeln.<br />

Die zwei Monaten, die ich während des Sommers 1930 in Villers-la-Faille, Kanton Gorgoloin, in<br />

Burgund verbrachte, hinterließen eine sehr angenehme Prägung. Für alle, vom Bäcker bis zum<br />

letzten Schulbuben, war ich der «kleine Boche». Noch lange Zeit danach trug ich an den Beinen die<br />

Verletzungen durch die Steine, mit denen ich von den Lausbuben traktiert wurde. Erst nach<br />

Eingreifen, sowohl des Bürgermeisters als auch des Schullehrers, der gleichzeitig auch<br />

Gemeindesekretär war, hörte dieser Kleinkrieg auf. Überragend waren jedoch die Schönheit und<br />

der Reichtum dieser Landschaft der Weinberge, die Entdeckung einer fürstlichen Küche inmitten<br />

dieser Menschen. Ich kehrte heim, ohne Groll und ohne Akzent.<br />

Später, 1936, gelang es meinem Vater, mich bei einer deutschen Gastfamilie unterzubringen. Der<br />

Vater, ehemaliger Offizier der deutschen Marine, unterrichtete Geschichte und Erdkunde an<br />

einem «Pädagogium», einer Vorbereitungsschule für das Studium an einer pädagogischen<br />

Hochschule, in Bad-Godesberg am Rhein, nahe Bonn. Regelmäßig während der Ferien empfing er<br />

junge Ausländer, auch Franzosen. Das war für mich eine neue Erfahrung. Der Nazismus hatte die<br />

Macht übernommen. Hitler hatte das Rheinland besetzt, den Vertrag von Locarno von 1925<br />

gebrochen, was ihn nicht weiter störte, um die Berliner Olympiade 1936 zu veranstalten. Während<br />

6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!