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KIRRMANNS SCHWUR

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Gefängnis zum anderen gebracht werden sollte. Ich war entsetzt: so viel Unvorsichtigkeit und so<br />

wenig Mittel, die zur Verfügung standen!<br />

Wieder allein mit Paul, erzählte er mir, dass er in einem Stoßtrupp aktiv war. Das Ziel war, wenn<br />

nötig auch durch Tötung, deutsche Uniformen und Handfeuerwaffen zu beschaffen, um damit<br />

ihre Kameraden befreien zu können oder um wieder zu neuen Waffen zu gelangen. Es war mir<br />

klar, dass es sich um eine spontane, autonome Gruppe handelte und diese nicht in eine<br />

Gesamtorganisation eingebunden war. Das war reiner Selbstmord! Mehr als zwei Aktionen hätten<br />

sie nie zu Stande gebracht. Spätestens beim dritten Versuch wären sie geschnappt worden, ohne je<br />

einen Erfolg auf Dauer zu erreichen. Ich rückte mit der Sprache heraus: ich erklärte Paul, dass ich<br />

einer strukturierten Organisation in Clermont angehörte, und versuchte ihn davon zu überzeugen,<br />

mir in die Auvergne zu folgen, wo ich mich um ihn kümmern würde. Ich verfügte nämlich über<br />

zwei getrennte Unterkünfte, in einem versteckten Winkel in den Bergen und in einem<br />

Verbindungspunkt des Widerstands. Er versprach mir, darüber nachzudenken und wir sollten am<br />

übernächsten Tag noch einmal darüber reden. Als Treffpunkt wurde die Kneipe in direkter Nähe<br />

zu seinen Eltern - sie wohnten Rue de l’Entrepôt - vereinbart. Ich sollte ihn nie wiedersehen.<br />

Es war am 6. oder 7. September. Etwas vor der vereinbarten Uhrzeit hatte ich mich etwas entfernt<br />

von der Kneipe postiert, um Ausschau zu halten. Paul war nicht dort und er kam auch nicht. Als<br />

ich in die Rue de l’Entrepôt abbog, sah ich, dass auf der anderen Straßenseite, vor dem<br />

Wohnungsgebäude seiner Eltern ein Citroën Traction Avant geparkt stand. Ohne den Schritt zu<br />

beschleunigen, ging ich weiter und achtete darauf, nicht zurückzublicken. Am Ende der Straße<br />

nahm ich die andere Richtung und sah, wie drei Zivilisten aus dem Gebäude kamen, in den<br />

Wagen einstiegen und davon fuhren. Ich wartete noch eine Weile, ging dann hinein zur Loge der<br />

Concierge, die mich warnte: «Gehen Sie nicht hinauf! Es gab eine Hausdurchsuchung.” Sie gingen<br />

nur zu dritt hinauf, präzisierte sie noch. Also waren sie alle fort, ohne eine Falle zu stellen. Auf der<br />

Etage angekommen, traf ich auf Frau Durrenberger in Tränen und den jüngeren Brüder unter<br />

Schock. Es waren Beamten der Polizeipräfektur, im Sold der deutschen Polizei, die alles<br />

durchsucht hatten, nachdem sie erfolglos in seinem Zimmer im Quartier Latin nach Waffen und<br />

Dokumenten gefahndet hatten. Sie hatten das Kommissariat, zu dem Paul nach seiner Festnahme<br />

in der Polizeipräfektur gebracht wurde, genannt. Er durfte ein Paket in Empfang nehmen. Sein<br />

Bruder brachte es ihm noch am gleichen Abend, ohne ihn sehen oder mit ihm reden zu können.<br />

Mehr konnte ich nicht in Erfahrung bringen.<br />

Am übernächsten Tag, in aller Frühe, nahm ich im Bahnhof Austerlitz den Zug nach Vendôme,<br />

wo ich ausstieg im Bahnhof, der mir so ruhig wie im vergangenen April vorkam. Ohne mich zu<br />

beeilen begab ich mich zu meinen Vettern Wollbrett. Unterwegs begegneten mir einige Panzer des<br />

Sonderkommandos, das in diesem Sektor einquartiert war. Abgesehen vom Erscheinen eines<br />

jungen Leutnants aus Karlsbad am späten Abend, dessen Einheit ein Zimmer im großen Haus<br />

meiner Vettern in Beschlag genommen hatten, verlief alles gut während der drei folgenden<br />

Wochen, in denen ich mich, wie im vergangenen Frühjahr, erholte. Ich erzählte ihnen nichts,<br />

weder über meine Aktivitäten noch über die Gefahr, der ich in Paris gerade noch entwischt war.<br />

Die Frau meines Vetters erwartete ihr drittes Kind. Wir waren alle mit den Ereignisse in Italien<br />

beschäftigt: Abdankung des Königs Viktor-Emmanuel nach der Landung der Alliierten auf der<br />

Halbinsel, die Festnahme und die Befreiung Mussolinis durch die Fallschirmjäger unter Otto<br />

Skorzeny.<br />

Die Durrenbergers hatten mir versprochen, mich über alles, was der Vater auf seinen Dienstreisen<br />

durchs ganze Land über Paul erfahren sollte, zu informieren. So fügten sich die Puzzleteilchen<br />

allmählich zusammen. Die Männer wurden von einer Sekretärin im Kabinett des Polizeipräfekten<br />

angezeigt. Paul und seine Verbündeten wurden der Gestapo ausgeliefert. Sie wurden beschuldigt,<br />

einen deutschen Soldat bewusstlos geschlagen und seiner Waffen beraubt zu haben Sie wurden im<br />

Lager zu Fresnes unter strengster Bewachung eingesperrt. Sie sollten einem Kriegsgericht<br />

überstellt werden…<br />

Erst als ich 1945 aus der Deportation heimkehrte, vernahm ich, dass Paul grausam gefoltert, dann<br />

zum Tode durch Erschießen verurteilt worden war. Vor Gericht hatte er noch den Mut gehabt,<br />

seinen Richtern zuzuschreien, dass er nicht mehr oder weniger Terrorist war als die preußischen<br />

Studenten, die gegen die Besatzung unter den Truppen Napoleons agiert hatten und, dass er, wie<br />

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