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KIRRMANNS SCHWUR

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wurde, ohne dass Letzterer wusste, dass Fischer der Verantwortliche für die gesamte Zone Süd<br />

war. Ich sollte François erst nach der Befreiung der Lager wiedersehen. Auch er war im Lager<br />

Flossenbürg im Transit, bevor auch ich dort landete. Noch heute halten wir eine echte und<br />

brüderliche Freundschaft aufrecht.<br />

Als François abgeführt wurde, warf Mathieu einen Blick auf meine Karte und auf die Liste, die er<br />

in der Hand hielt: «Links!». Das Wort fiel wie ein Fallbeil. Während ich zusammen mit anderen<br />

Linken zum Lkw geführt wurde, fragte ich mich völlig verängstigt, was dieser Dreckskerl noch<br />

alles wusste und was diese Liste genau zu bedeuten hatte.<br />

Die Planen wurden hermetisch abgeschlossen. Zusammengedrängt im Dunkeln war es<br />

unmöglich, herauszufinden, wohin wir verfrachtet wurden. Nach einigen Minuten hielt der Lkw<br />

an und die hintere Plane wurde hochgehoben. Wir wurden gezwungen, herunter zu springen, und<br />

unter lautem Schreien und Rufen durch einen weit geöffneten Torbau getrieben. Wir befanden uns<br />

auf dem Innenhof des Gefängnisses “92“, neben der Kaserne. Bis abends wurden weitere Linke,<br />

verhaftete Kameraden, per Lkw angefahren. Bei einbrechender Nacht wurden die etwa<br />

vierhundert Männer und Frauen in die Kasernengebäude geführt. Eine Nacht, ein Tag… Ein<br />

neues Aussortieren während der darauffolgenden Nacht. Die Vichy-Polizei notierte die<br />

Personalien der Verhafteten. Keiner konnte nachvollziehen, nach welchen Kriterien eine<br />

übergroße Mehrheit in derselben Nacht und anderntags wieder freigelassen wurde. Nur eins<br />

stand fest: alle auf der Liste von Mathieu und alle Juden wurden endgültig festgenommen. Zum<br />

Ausgleich kamen noch etwa hundert andere dazu, sodass wir am vierten Tag, Männer und Frauen<br />

getrennt, ungefähr hundertzwanzig waren. Die Frauen in einer, die Männer in drei Stuben, weiter<br />

von denselben Soldaten der Luftwaffe bewacht, bekamen endlich von den Gefängniswärtern<br />

Essen zugeteilt.<br />

Wir verbrachten mehrere Tage im Gefängnis und machten gegenseitige Bekanntschaft. Dann und<br />

wann erschien die Gestapo und führte den einen oder den anderen zum Verhör ab. Einer wurde<br />

vernommen, um sicherzugehen, dass er Jude war: Dreyfus, ein charmanter Student im ersten Jahr<br />

Medizin. Er sollte an Erschöpfung in Auschwitz sterben. Ein Professor der Fakultät der Medizin,<br />

Dr. Kayser, wurde vom deutschen Militärarzt untersucht, um die von ihm erwähnte Tuberkulose<br />

zu überprüfen. Er wurde freigelassen. Wir ahnten, dass draußen weitere Ermittlungen und<br />

Maßnahmen durchgeführt wurden. Eines Tages, während wir mit den Wächtern plauderten,<br />

stürmte die Gestapo herein, täuschte Erstaunen vor, als sie uns eine Zigarette rauchend auffanden,<br />

und forderten uns auf, alle Zigaretten und Tabak herauszugeben, unter der Drohung einer<br />

späteren Durchsuchung. Die Vorräte tauchten aus den Taschen und den Kartons auf. Nur Hering<br />

und ich wurden «durchsucht». Hering wurde mit einem heftigen Schlag ins Gesicht traktiert, dass<br />

er zu Boden ging, nur weil er eine leere Streichholzschachtel bei sich hatte. Der Gestapomann, der<br />

mich durchsuchte, spürte meine stählernen Muskeln unter der Kleidung und sah mich prüfend an.<br />

Ich zeigte mich unerschrocken. Er fand nichts. Eine Weile nachdem sie fort waren, noch unter dem<br />

Eindruck ihres Versuchs, uns zu terrorisieren, fragte ich meinen Kameraden: «Meine Herren,<br />

möchte jemand von Ihnen eine Zigarette?». Bevor sie in die Zelle kamen, hatte ich gehört, was auf<br />

dem Flur gesprochen wurde und hatte noch gerade ein großes Päckchen schwarzer Tabak samt<br />

Blättchen und Streichhölzer ins Stroh verstecken können. Man tat alles was man konnte, um sich<br />

selbst und den anderen die Stimmung zu heben. Trotzdem quälte mich die Unsicherheit über<br />

mein Los. Jeder von uns machte sich Sorgen. Je nach Umständen und Ereignissen konnte es<br />

sowohl zur Verhaftung und Deportation als auch zur Erschießung als Geisel führen. Die<br />

Gutmütigkeit der Wärter hatte nichts zu bedeuten. Obwohl sie uns bedauerten, gaben sie uns zu<br />

verstehen, dass ihnen das Kriegsgericht drohte, wenn es zu einer Flucht kommen sollte, und sie<br />

demzufolge, bevor es zum Kriegsgericht käme, eher schießen würden.<br />

Seit unserer Verhaftung war eine Woche vergangen. Am 1. oder 2. Dezember wurden wir brutal,<br />

innerhalb weniger Minuten aus unseren Zellen geholt und mit Pack und Sack zum Innenhof<br />

gebracht, nicht zur Toilette sondern in zwei große, durch den Mittelflur von einander getrennte<br />

Stuben geführt. In diesem Gebäude mit nur einem von zwei Wachposten bewachten Ausgang<br />

verblieben wir mehrere Wochen.<br />

Wir machten nähere Bekanntschaft miteinander. Vor der Verhaftung hatte ich nur zwei der<br />

Genossen gekannt, meinen Kameraden an der Fakultät, Didier Hermann, und Josef Flesch, alias<br />

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