KIRRMANNS SCHWUR
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Amerikaner in Marokko landeten. Ich kann mich noch an eins unserer wöchentlichen Diners bei<br />
ihm erinnern, ein Essen im Mai 1942, bei dem eine Diskussion mit dem Sohn des Straßburger<br />
Bankiers Asch und dessen (katholischer) Frau lief. Der Abt war fest davon überzeugt, dass die<br />
Engländer uns Madagaskar, das sie gerade mit Gewalt eingenommen hatten, nie zurückgeben<br />
würden, während Asch und ich ihm erklärten, dass die Briten die Bucht Diego Suarez unbedingt<br />
brauchten, um ihre Präsenz im Indischen Ozean zu stützen, denn die Japaner hatten ihnen dort<br />
schwere Niederlagen zugefügt.<br />
Kurz gesagt: der Krieg machte keine Fortschritte. Großbritannien kämpfte immer noch allein<br />
gegen die Deutsch-Italienische Allianz. An der Universität, unter dürftigen materiellen<br />
Bedingungen und in einer dürftigen Atmosphäre, arbeitete ich weiter an den Vorbereitungen<br />
meiner Licence der Rechtswissenschaften. Ich hätte zwar ein gutes Mietzimmer in einem Neubau<br />
am Stadtrand beziehen können, aber in den Stunden vor und nach den Vorlesungen war ich nicht<br />
oft dort, denn die Versorgung mit Lebensmitteln nahm den größten Teil meiner Freizeit in<br />
Anspruch, auch wenn ich der glückliche Besitzer eines Fahrrads war, das meine Eltern über die<br />
Binnengewässer hatten herüberschmuggeln lassen. Trotz des guten Willens der Sozialeinrichtung<br />
der Universität erhielt man mit den in der Mensa ausgehändigten Lebensmittelscheinen nur die<br />
fürs Überleben strikt notwendige Nahrung. Wie viele andere Alleinstehende hatte auch ich<br />
ständig ein Hungergefühl im Bauch. Überdies - ich möchte es hier einmal für immer sagen, in aller<br />
Bescheiden- und Offenheit - interessierten mich das Studium und die berufliche Zukunft nur an<br />
zweiter Stelle, jedenfalls solange wir unter der Gewaltherrschaft der Angreifer leben mussten. Die<br />
Mehrheit meiner Kameraden, Jungen und Mädchen, ob nun aus dem Elsass oder aus der<br />
Auvergne, reagierten nach außen hin völlig anders, büffelten verbissen weiter und, wenn das<br />
Thema zur Sprache kam, schienen sie sich gar nicht um das Los unseres Staates zu sorgen.<br />
Dritter Sonntag im Juni 1941. Ich weiß nicht mehr, ob es nun am 20. oder am 22. Juni war, aber<br />
das ist nicht so wichtig. Der Morgen der Sommersonnenwende war strahlend. Ich lag im Bett,<br />
wach seit fünf Uhr morgens, spürte das fast ständige Hungergefühl im Bauch und überlegte, ob<br />
ich meine zwei Zweibackstücke jetzt oder erst später essen sollte. Einen Rundfunkempfänger hatte<br />
ich noch nicht, brauchte ich auch nicht immer, denn das Gerät der Nachbarn im Stockwerk über<br />
mir brüllte mir regelmäßig die Nachrichten herunter. In den Sechs-Uhr-Nachrichten von Radio<br />
Vichy kam die Meldung: «Seit heute Morgen um drei Uhr ist Deutschland in den Krieg gegen<br />
Sowjetrussland eingetreten»!<br />
Mit einem Satz, einem Freudensprung, war ich aus dem Bett. Der Konflikt nahm eine neue<br />
Wendung und der Hunger war mir vergangen! Seit Herbst 1940, Ende Oktober, als ich mich noch<br />
in Heidelberg aufhielt, hatte ich keine Aussichten mehr auf ein mögliches Kriegsende, sah nicht<br />
wie Deutschland den Krieg noch gewinnen könnte. Nazi-Deutschland hatte England nicht erobern<br />
können, trotz der “Vorinvasion“ in Norwegen am 9. April 1940, wodurch die Neutralität des<br />
Landes zunichte ging. Auf der anderen Seite wusste ich noch weniger, wie Deutschland den Krieg<br />
verlieren sollte, denn - jedenfalls vor dem 22. Juni 1942 - war Nazi-Deutschland auf der Ostflanke<br />
durch das Schild des Hitler-Stalin-Pakts vom 23. August 1939 geschützt. Jetzt nahm die Situation<br />
eine, nach meiner Ansicht entscheidende Wende, denn sofort nach dieser Meldung in den<br />
Nachrichten hatte ich die Vorahnung, die Sicherheit, dass der Russlandfeldzug als<br />
Abnutzungskrieg verheerende (ver - Heer - Ende, wie das Wort es sagt) Folgen haben würde. Die<br />
späteren Ereignisse sollten dies bestätigen.<br />
So verging die Zeit, aufgeteilt zwischen der Universität und der Versorgung mit Lebensmitteln,<br />
zwischen dem heimlichen Radiohören (ich hatte einen Empfänger gefunden) und den Gesprächen<br />
mit den Flüchtlingen aus Elsass-Lothringen in der «Académie de Billards», Place Chapelle de<br />
Jaude («Académie des Bobards», Akademie der Lügenmärchen - dixit Prof. Vincent). Im Lauf des<br />
zweiten Halbjahrs 1941, umgeben von einer betrügerischen Atmosphäre des rein intellektuellen<br />
Widerstands, kam ich allmählich zu der Überzeugung, dass ich später, nach dem Krieg, noch für<br />
den Rest meines Lebens ausreichend Elsässern begegnen würde und es in jenem Augenblick<br />
sinnvoller wäre, die Gelegenheit zu nützen, um weitere und tiefere Kontakte mit anderen<br />
Landsleuten zu knüpfen, mit Franzosen, die sich sowohl sich aus der Auvergne als auch aus den<br />
anderen Teilen Frankreichs in Clermont zahlreich zusammengefunden hatten.<br />
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