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KIRRMANNS SCHWUR

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Dienststelle. Während der schlaflosen Stunden der vergangenen Nacht hatte ich die Zeit, mir<br />

einen Erklärungsversuch zusammenzureimen. Vielleicht gab es doch eine Möglichkeit,<br />

davonzukommen, denn bei meiner Festnahme hatte ich keinen Flüchtling bei mir. Ich konnte<br />

ihnen also meine Geschichte erzählen und diese Geschichte hatte ich bereits - für alle Fälle -<br />

vorbereitet: der Trick mit dem Mädel. Anfang des Krieges hatte ich in Zabern ein Mädchen<br />

kennengelernt und sie später in das Geheimnis meiner Flucht im April 1941 eingeweiht. Im Juli 42<br />

war es mir gelungen, ihr eine Nachricht zukommen zu lassen, sie über meinen Fluchtversuch und<br />

einen Besuch bei ihr zu informieren. Die Botschaft wurde weitergeleitet, denn ich erhielt sofort<br />

eine Antwort von ihr, indem sie an geflüchtete Freunde in der besetzten Zone schrieb, sich über<br />

meinen Fluchtversuch wunderte und mir davon abriet. Als die Gendarmen mich an dem Morgen<br />

in Drieuze vernahmen, nannte ich also meinen richtigen Namen und erklärte ihnen, dass ich die<br />

Gelegenheit, die die Ferien mir boten, wahrnehmen wollte, um meine «Braut» in Zabern<br />

aufzusuchen; seit der Mobilmachung in Juni 1940 war ich ohne Nachricht von ihr. Das war<br />

ziemlich gewagt, denn logischerweise würden sie meine Aussagen überprüfen und konnten dabei<br />

meine Flucht im April 1941 aufdecken, was für mich die Internierung bedeuten würde. Für mich<br />

war ein solches Risiko viel weniger schwerwiegend als die Entlarvung als Glied in einer<br />

Fluchtorganisation. Die Feldgendarmen tippten ihren Bericht in diesem Sinn und riefen in meinem<br />

Beisein die Gestapo in Metz an, um nähere Befehle zu meiner Überführung einzuholen.<br />

Ich hatte noch nicht begriffen, was nun eigentlich passiert, was wohl schiefgelaufen war. Erst ein<br />

Monat später, als ich wieder in Nancy eingetroffen war - wie ich dahin kam, erzähle ich später -,<br />

erfuhr ich, dass Diedenhofer wohl gemerkt hatte, dass die Wachmannschaften und die<br />

Patrouillezeiten geändert worden waren. In aller Eile hatte er Alarm geschlagen, um mich<br />

zurückzuhalten. Zu spät, denn ich war bereits seit mehreren Stunden unterwegs und man konnte<br />

mich nicht mehr vor der Grenze einholen. Dazu muss man wissen, dass zu der Zeit keine Autos<br />

und nur wenige Busse mit Holzvergaser zur Verfügung standen und die Fahrräder mit<br />

abgefahrenen Reifen konnten kaum zur Beschleunigung der Informationsvermittlung beitragen.<br />

Von einem Gendarmen wurde ich in einen Schuppen geführt, den er sorgfältig abschloss. Ich<br />

hatte noch nichts gegessen, nichts getrunken bei drückender Hitze. Als ich den Deckel hochhob,<br />

stieg aus der Latrine ein scheußlicher Geruch auf. Der Gendarm, ein Lothringer Zwangssoldat,<br />

hatte mir, bevor er mich einsperrte, eine Zigarette gegeben und angezündet. Das gab mir auch<br />

Mut, ihn um Wasser zu bitten. Er stimmte zu, kam aber erst abends spät und reichte mir eine<br />

Flasche durch die Gitterstäbe. Ich trank nur schluckweise, bevor ich mich auf die einfache Liege,<br />

unter eine beschmutzte Decke legte.<br />

Ich weiß nicht mehr, wann man mich anderntags wecken kam, um mich zur Gendarmerie zu<br />

führen. Angeblich hatte ich Recht auf ein komplettes Frühstück - Kaffee, Milch, Butterbrote -, das<br />

mir unwillig und gehässig von der Ehefrau des Gendarmerieobersten aufgedeckt wurde und ich<br />

im Stehen verspeisen dürfte. Darauf befahl der wachhabende Gendarm mir, die Hosenträger<br />

abzulegen, und erklärte mir, dass diese Maßnahme mich daran hindern sollte, fortzulaufen und<br />

die Flucht zu ergreifen. Großzügig versprach er, mir keine Handschellen anzulegen, aber mich<br />

beim ersten Anzeige eines Fluchtversuchs sofort zu erschießen. Wir fuhren im Auto zum Bahnhof<br />

von Drieuze, wo wir den Bus nach Metz nahmen. Dort, nachdem ich wieder in den Besitz meiner<br />

Hosenträger gekommen war, begleitete der Gendarm mich zur Gestapo, die in einem großen<br />

Polizeikommissariat, auch Polizeigefängnis genannt, untergebracht war. Während der Stunden<br />

Wartezeit vor meiner Vernehmung, konnte ich mir ein Bild machen von dem, was sich im<br />

Vernehmungsraum abspielte. Lärm von Schlägen, Schreien, Stöhnen… Dann und wann wurde ein<br />

blutender Verhafteter mit blauen Flecken und Blutergüssen abgeführt. Ein neuer wurde<br />

hineingebracht. Es handelte sich um Fälle für die sogenannte “politische“ Polizei, also die S.D.<br />

Sonderdienst, anderer Name der Gestapo: Dienstverweigerer, Saboteure, Flüchtlinge… . aber<br />

keine Verbrecher des gemeinen Rechts, denn die wurden vor dem ordentlichen Gericht<br />

vernommen und verurteilt und ins Gefängnis eingesperrt. Was mir auffiel war die Nationalität:<br />

sehr viele Polen. In Lothringen, vor dem Zusammenbruch in 1940 eine Gegend mit vielen<br />

Bergwerken und Stahlindustrie, gab es in der Tat eine große polnische Gemeinschaft. Bei der<br />

Annektierung aufgegriffen wurden diese Polen nicht in die Freie Zone abgesetzt, wie es für viele<br />

ansässige Moselaner der Fall war, sondern fielen den systematischen Verfolgungen vor Ort zum<br />

Opfer, nur weil sie als Polen geboren waren. Mehrere von ihnen waren im Nebenraum eingesperrt<br />

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