RE KW 25
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Hommage an einen Großen seiner Zunft<br />
Christine Schneider würdigt ihren Urgroßonkel mit einem Vortrag<br />
Zeitlebens musste er ums finanzielle Überleben kämpfen, heute<br />
erzielen seine Gemälde bei Auktionen Preise von über 200 000<br />
Euro: Rudolf Wacker, ein Maler mit Wurzeln im Außerfern, war<br />
ein außergewöhnlicher Künstler und zählte zu den Größten seiner<br />
Zunft, die Österreich im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat.<br />
Obwohl er, so lange er lebte, diese Anerkennung nie erfuhr. Seine<br />
Urgroßnichte Christine Schneider würdigte ihn und sein Schaffen<br />
nun bei einem Vortrag in der Bücherei Reutte.<br />
Von Jürgen Gerrmann<br />
RUNDSCHAU Seite 20<br />
Christine Schneider stellte in der Bücherei<br />
in Reutte den lange verkannten<br />
Künstler Rudolf Wacker vor. Sein Werk<br />
hat viele Bezüge zum Außerfern.<br />
Wackers Großvater war Bauer<br />
in Obergarten, sein Vater angesehener<br />
Baumeister in Bregenz (er<br />
schuf dort unter unter anderem<br />
das Postgebäude und den ersten<br />
Bau des Voralberg-Museums, wo<br />
zurzeit eine große Ausstellung<br />
„Wacker im Krieg“ läuft). Und daher<br />
sei es für ihn auch kein Problem<br />
gewesen, Kunst zu studieren:<br />
„Das konnte sich damals nicht<br />
jeder leisten“, betonte Christine<br />
Schneider.<br />
Über Wien kam der 1893 geborene<br />
Wacker kurz vor dem 1. Weltkrieg<br />
nach Weimar – „an eine der<br />
modernsten Akademien, an der<br />
anders als anderswo auch Frauen<br />
studieren durften.“ 1914 schaffte<br />
er den Abschluss bei seinem zunächst<br />
verehrten Professor Albin<br />
Egger-Lienz, von dem er sich später<br />
loslöste.<br />
Nach dem Attentat von Sarajewo<br />
zog er freiwillig in den Krieg.<br />
Schon bald litt er jedoch unter<br />
dem „Drill und dem Stumpfsinn<br />
der Ausbildung“, wie Christine<br />
Schneider deutlich machte: „Die<br />
Künstlerkollegen haben ihm einfach<br />
gefehlt.“ Kurzum: „Dieser<br />
Krieg hat sein ganzes Leben geprägt<br />
und verändert.“<br />
Die Reuttenerin schilderte auch<br />
den Alltag im Gefangenenlager in<br />
Tomsk in Sibirien, in das ihn die<br />
Zarenarmee nach seiner Gefangennahme<br />
1915 brachte: „Er hatte zwar<br />
als Offizier leichtere Bedingungen<br />
und erhielt sogar Sold. Aber man<br />
war dort nie allein, hatte keine Privatsphäre,<br />
ist nie zur Ruhe gekommen.“<br />
Das habe bei vielen zu psychischen<br />
Störungen geführt, die<br />
später als „Stacheldrahtkrankheit“<br />
bezeichnet worden seien. Was ihn<br />
gequält habe, habe er des Nachts<br />
versucht, mit Zeichnungen zu verarbeiten:<br />
„Expressionistisch, auch<br />
als Absage an seinen Lehrer.“<br />
Nach der Oktoberrevolution<br />
durfte sich Wacker sogar frei in<br />
der Stadt bewegen und fand dort<br />
wie bei seinen Kameraden im Lager<br />
auch sogar Abnehmer für seine<br />
Zeichnungen. Das Museum in<br />
Tomsk war das erste überhaupt,<br />
das einen Wacker ankaufte.<br />
1920 kehrte er zurück nach Bregenz.<br />
Laut Christine Schneider<br />
bedeutete dies „Hoffnung auf eine<br />
neue Zukunft, Erotik, Leidenschaft,<br />
Kraft, Aufbruch, Neubeginn“.<br />
Im Winter besuchte er oft<br />
seine Familie in Bichlbach.<br />
RINGEN UMS ÜBERLE-<br />
BEN. Wirtschaftlich ging es ihm<br />
allerdings sehr schlecht. Das Familienvermögen<br />
war wegen des<br />
Kaufs von Kriegsanleihen total<br />
vernichtet: „Es war ein ständiges<br />
Ringen ums Überleben, geprägt<br />
von Hungern und Frieren. Es war<br />
kein Geld für Farben da. Erst 1924<br />
konnte er das erste Bild in Bregenz<br />
verkaufen.“<br />
Durch seine intensiven Kontakte<br />
nach Deutschland (unter anderem<br />
zu Otto Dix) entwickelte sich Wacker<br />
hin zur „Neuen Sachlichkeit“:<br />
„Die gab es bis dahin in Österreich<br />
gar nicht.“ In Bregenz sei seine<br />
Kunst auch nicht gut angekommen<br />
und als „chaotisch bolschewistisch“<br />
abqualifiziert worden. Nur<br />
der Kurator der Albertina habe das<br />
Können und die Bedeutung Wa-<br />
AUSSERFERNER<br />
SEIT 1922<br />
NACHRICHTEN<br />
„Das Fenster“ – so lautet der Titel des Bildes, das Rudolf Wacker 1931 gemalt hat<br />
und das zur Zeit in der Ausstellung „Wacker im Krieg“ im Vorarlberg Museum zu<br />
sehen ist. Den Christus ohne Arme rechts brachte er 19<strong>25</strong> von einem Besuch bei<br />
den Verwandten in Reutte mit.<br />
RS-Fotos: Gerrmann<br />
ckers erkannt und 1927 das erste<br />
Bild angekauft. Heute befinden<br />
sich in dieser bedeutenden Sammlung<br />
in Wien 14 seiner Werke.<br />
Das Jahr 1929 brachte mit dem<br />
Tod seiner Mutter und der Geburt<br />
seines Sohnes Romedius zwei einschneidende<br />
Ereignisse. Doch in<br />
seiner Kunst machen sich mehr<br />
und mehr Spuren der Resignation<br />
breit: beschädigte Heiligenfiguren<br />
und auf dem Dachboden gelandete<br />
Engel (viele davon aus Bichlbach<br />
oder anderen Orten des Außerferns)<br />
tauchen immer mehr als<br />
Motiv auf. Selbst der künstlerische<br />
Höhepunkt (Wacker vertrat Österreich<br />
bei der Biennale 1934 in<br />
Venedig mit den „Zwei Köpfen“)<br />
ist mit dem demolierten Haubenstock<br />
von Angst vor der Zukunft<br />
geprägt.<br />
VERZWEIFLUNG. Durch<br />
eine enge Freundschaft mit einem<br />
Lehrer aus Lindau spürte er schon<br />
1930, was sich da in Deutschland<br />
zusammenbraute. Christine<br />
Schneider: „Alles lief auf die Ver-<br />
nichtung des freien Geistes hinaus.<br />
Daher vernichtete er später auch<br />
den gesamten Briefwechsel mit seinem<br />
Freund.“<br />
Die Verzweiflung spricht auch<br />
überdeutlich aus Wackers Spätwerk,<br />
in dem sich der entmündigte<br />
Mensch widerspiegelt: „Er malt<br />
nur noch Puppen, nackt, mit leeren<br />
Augen, mit Sprüngen. Oder<br />
im Stechschritt, mit ,deutschem<br />
Gruß’.“<br />
1938 marschieren die Nazis in<br />
Österreich ein. Bald kommt die<br />
Gestapo zur Hausdurchsuchung.<br />
Der starke Raucher erleidet einen<br />
ersten Herzanfall, beim Verhör ein<br />
paar Tage später folgt der zweite.<br />
Davon erholt er sich nicht mehr.<br />
Er stirbt am 19. April 1939 in seinem<br />
Elternhaus.<br />
Eines seiner letzten Gemälde<br />
zeigt einen Herbststrauß mit ersterbenden<br />
Blumen. Und einen<br />
Christus ohne Arme. Aus dem Außerfern.<br />
www.rundschau.at<br />
20./21. Juni 2018