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"Jedes Sorbenherz ein Fels" Die Geschichte der Domowina - MDR

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Abteilung Künstlerisches Wort<br />

Redaktion: Kathrin Aehnlich<br />

Regie: Nikolai von Koslowski<br />

"<strong>Jedes</strong> <strong>Sorbenherz</strong> <strong>ein</strong> Fels"<br />

<strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong><br />

Feature von Matthias Körner<br />

Archivaufnahme: Moje serbske wuznaće<br />

Darüber:<br />

Sprecher: Fabian Busch<br />

Zitatorin: Petra Hartung<br />

Sendemanuskript<br />

1


Sprecher:<br />

"M<strong>ein</strong> sorbisches Bekenntnis" des sorbischen Dichters Jakub Bart-Ćišinski.<br />

Unser Land ist wirklich kl<strong>ein</strong>, m<strong>ein</strong> Freund,<br />

kl<strong>ein</strong> auch unser Volk, das sorbische, wie<br />

<strong>ein</strong> winzig Inselchen, vom Meer umspült.<br />

Und doch, ich glaub' es fest, niemals<br />

werden s<strong>ein</strong>e Wogen überfluten,<br />

unsern Erdstrich, Dörfer nicht und Höfe.<br />

O, dass jedes <strong>Sorbenherz</strong> <strong>ein</strong> Fels doch<br />

wäre, standhaft in <strong>der</strong> fremden Flut.<br />

Ansage:<br />

"<strong>Jedes</strong> <strong>Sorbenherz</strong> <strong>ein</strong> Fels"<br />

<strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong><br />

Feature von Matthias Körner<br />

Atmo: Verlesen von sorbischen Flurnamen, endend mit Struga Satkula:<br />

Prizarska droga, Tsupcanska scazka, Lindobarska reka, Njackarowa reka,<br />

mlynska, nowa reka, Sprewa, mala Sprewica, blusnica, sreb’enca, stara<br />

munska , Struga, Satkula<br />

Sprecher:<br />

Struga und Satkula, zwei kl<strong>ein</strong>e Bäche, kaum auszumachen in <strong>der</strong> Landschaft,<br />

nichts Beson<strong>der</strong>es eigentlich, wären sie nicht mit dem Schicksal <strong>ein</strong>es ganzen<br />

Volkes, den Sorben und Wenden, verknüpft. <strong>Die</strong> Struga ist das Wahrzeichen<br />

<strong>der</strong> Gegend um Weißwasser und Schleife. Sie mündet in die Spree und<br />

durchfließt mit ihr das Siedlungsgebiet <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>sorben, die sich selbst als<br />

Wenden bezeichnen. Ihre Hauptstadt ist Cottbus, nie<strong>der</strong>sorbisch Chóśebuz.<br />

<strong>Die</strong> Satkula ist das Wahrzeichen <strong>der</strong> Obersorben, <strong>der</strong>en Hauptstadt ist Bautzen,<br />

obersorbisch Budyšin.<br />

<strong>Die</strong> Unterscheidung in Wenden und Sorben hat k<strong>ein</strong>en ethnischen Hintergrund.<br />

"Sorben" ist <strong>der</strong> wissenschaftlich korrekte Begriff. Als "Wenden" bezeichneten<br />

<strong>ein</strong>st Franken, Germanen und auch die Römer summarisch alle slawischen<br />

2


Stämme zwischen O<strong>der</strong> und Elbe. Waren es Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts noch<br />

170.000, so pendelt die geschätzte Zahl <strong>der</strong> Sorben heute bei rund 60.000.<br />

Manchmal erinnern nur noch Flurnamen an die sorbische Vergangenheit.<br />

Atmo: Verlesen von sorbischen Flurnamen:<br />

po pastwe, pastwarska, po malej pastwe, Drozynska, landojska droga,<br />

Tsupcanska droga,Smogorojska droga, kuparska droga, Luzican, borsky mlyn<br />

Sprecher:<br />

Als die sorbische Sprache im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t zu verstummen drohte, riefen<br />

Männer wie Jan Arnošt Smoler <strong>ein</strong>e Bewegung ins Leben, die "Serbske<br />

wozrodźenje", die sorbische Wie<strong>der</strong>geburt. Getragen wurde sie vor allem von<br />

Pfarrern und Lehrern. Smoler gründete 1847 in Bautzen den sorbischen Kultur-<br />

und Wissenschaftsver<strong>ein</strong> Maćica Serbska.<br />

In <strong>der</strong> Folge bildeten sich zahlreiche Kultur-, Gesangs-, Lehrer- und<br />

Wirtschaftsver<strong>ein</strong>e, evangelische und katholische sorbische Ver<strong>ein</strong>e, 1888 kam<br />

<strong>der</strong> Zentrale sorbische Bauernverband und 1880 die nie<strong>der</strong>sorbische<br />

Schwester <strong>der</strong> Maćica Serbska hinzu. Immer wie<strong>der</strong> gab es Versuche, die<br />

Zersplitterung <strong>der</strong> Ver<strong>ein</strong>e zu überwinden, auch um <strong>ein</strong> größeres politisches<br />

Gewicht zu bekommen. Aber erst 1912 gelang es schließlich.<br />

Zwischen Struga und Satkula, in "Wojerecy" zu deutsch Hoyerswerda, trafen<br />

sich am 13. Oktober 60 Vertreter aus 31 Ver<strong>ein</strong>en, um die <strong>Domowina</strong> zu<br />

gründen.<br />

O-Ton Roschmann:<br />

Wir stehen hier gerade vor <strong>ein</strong>em Modell des Gesellschaftshauses, so wie es<br />

sich im Jahre 1912 in Hoyerswerda präsentierte. Hier, in diesem Haus, hatte<br />

auch <strong>der</strong> Hoyerswerdaer Wendische Bauernver<strong>ein</strong> s<strong>ein</strong>en Sitz und deshalb<br />

kam es höchstwahrsch<strong>ein</strong>lich in diesem Gebäude zur Gründung, denn dieser<br />

Wendische Bauernver<strong>ein</strong> aus Hoyerswerda war ja <strong>der</strong> Gastgeber für diese 31<br />

sorbischen Ver<strong>ein</strong>e, die sich hier versammelt hatten.<br />

3


Sprecher:<br />

Elke Roschmann ist stellvertretende Museumsleiterin des Hoyerswerdaer<br />

Stadtmuseums. Sie führt durch <strong>ein</strong>e Ausstellung zum 100-jährigen Jubiläum<br />

<strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>. Das "echte" Gesellschaftshaus ist aus dem Schlossfenster zu<br />

sehen und ist gerade Baustelle.<br />

Warum aber gründete sich die <strong>Domowina</strong> ausgerechnet in Hoyerswerda?<br />

In dem kl<strong>ein</strong>en Ackerbürgerstädtchen war im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t die sorbische<br />

Tracht alltägliche Selbstverständlichkeit. Hinzu kam <strong>ein</strong> an<strong>der</strong>er Symbolwert:<br />

Hoyerswerda lag an <strong>der</strong> Grenze zwischen Sachsen und Preußen und von<br />

Ober- und Nie<strong>der</strong>lausitz, hatte also "Brückencharakter" auch zwischen Nie<strong>der</strong>-<br />

und Obersorben.<br />

Atmo: Chorprobe des sorbischen Gesangsver<strong>ein</strong>s "Lipa Serbska" in<br />

Panschwitz-Kuckau<br />

O-Ton Roschmann:<br />

Es gibt heute noch <strong>ein</strong>en Ver<strong>ein</strong>, <strong>der</strong> damals schon Gründungsmitglied war und<br />

zwar ist das <strong>ein</strong> Gesangsver<strong>ein</strong> aus Panschwitz-Kuckau, die Lipa Serbska, und<br />

<strong>der</strong> hat sich wie<strong>der</strong>gegründet und führt auch heute noch die Traditionen dieses<br />

ursprünglichen Gesangsver<strong>ein</strong>es fort.<br />

Das ist noch die ursprüngliche Ver<strong>ein</strong>sfahne, die wird dort sehr in Ehren<br />

gehalten, die war auch schön <strong>ein</strong>geschweißt in Folie. Also das ist wirklich <strong>ein</strong><br />

ganz wertvolles Stück.<br />

Atmo: Gesangsver<strong>ein</strong> o<strong>der</strong> Osterreiter<br />

Sprecher:<br />

Auch <strong>der</strong> heutige Vorsitzende <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> David Statnik fühlt sich <strong>der</strong><br />

Tradition verbunden und durfte zum letzten Osterfest als Kreuzträger in <strong>der</strong><br />

Spitze des Prozessionszuges reiten. Der noch nicht <strong>ein</strong>mal Dreißigjährige ist<br />

<strong>der</strong> zweitjüngste Vorsitzende in <strong>der</strong> langen <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>.<br />

4


O-Ton Statnik:<br />

(In diesem Osterreiterzug, da bin ich <strong>der</strong> Kreuzträger, das ist <strong>ein</strong>e Aufgabe, die<br />

mir die älteren Osterreiter anvertraut haben.)<br />

Ich bin Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>ein</strong>es Ver<strong>ein</strong>s mit über 7.000 Mitglie<strong>der</strong>n. Was ist<br />

<strong>Domowina</strong>? <strong>Die</strong> <strong>Domowina</strong> ist die Interessenvertretung <strong>der</strong> Sorben. <strong>Die</strong> Sorben,<br />

das ist <strong>ein</strong>e <strong>der</strong> vier autochthonen Min<strong>der</strong>heiten in Deutschland.<br />

<strong>Die</strong> gesetzlich genannten autochthonen Min<strong>der</strong>heiten, sind die Dänen, die<br />

Friesen, die Sinti und Roma und wir Sorben, die wir uns noch unterteilen in die<br />

Oberlausitzer Sorben und die Nie<strong>der</strong>lausitzer Sorben, also die Obersorben und<br />

die Nie<strong>der</strong>sorben, allgem<strong>ein</strong> gelten wir aber als <strong>ein</strong> Volk. Es sind zwei<br />

sprachliche Idiome, in Cottbus spricht man <strong>ein</strong>en Dialekt, <strong>der</strong> sehr nahe am<br />

Polnischen ist, rund um Bautzen spricht man <strong>ein</strong>e Sprache, die eher dem<br />

Tschechischen zugeneigt ist.<br />

Sprecher:<br />

Wie gelang es <strong>ein</strong>er solchen Min<strong>der</strong>heit inmitten <strong>ein</strong>es fremden Volkes ihre<br />

Kultur durch die Zeiten zu bringen, durch Jahrhun<strong>der</strong>te mit Kriegen, Diktaturen,<br />

Krisen und Germanisierungswellen? Ist das nicht gelebte Migration und<br />

könnten sie damit nicht Bestandteil je<strong>der</strong> Politiker-Sonntags-Rede s<strong>ein</strong>? Wer<br />

o<strong>der</strong> was ist die Heimat dieses Volkes? Ist es tatsächlich die "<strong>Domowina</strong>",<br />

<strong>der</strong>en Name sich aus dem sorbischen Wort "domownja" Heimat ableitet?<br />

Als Grundanliegen sahen die Gründungsväter:<br />

Zitatorin:<br />

<strong>Die</strong> wendische Kultur <strong>der</strong> Ober- und Nie<strong>der</strong>lausitz in ihrer Eigenart, in Sprache,<br />

Sitte und Tracht zu erhalten, wissenschaftlich und geistig zu heben.<br />

Atmo: Johannisreiten, Vorbereitung <strong>der</strong> Ranken<br />

Sprecher:<br />

<strong>Die</strong> Sorbische <strong>Geschichte</strong> ist reich an Traditionen. Es ist <strong>der</strong> 24. Juni, <strong>der</strong><br />

Johannistag, in dem Nie<strong>der</strong>lausitzer Dorf Casel. Wie seit Urzeiten wird hier <strong>ein</strong><br />

sorbischer Fruchtbarkeitsbrauch, das Johannisreiten, vorbereitet.<br />

5


<strong>Die</strong> Mädchen des Dorfes flechten Ranken aus tausenden von Kornblumen, die<br />

sie am Vortag gesammelt haben. <strong>Die</strong>se Ranken nähen sie an den blauen<br />

Baumwollanzug des Johann, bis er wie in <strong>ein</strong>er Ritterrüstung aus Kornblumen<br />

steckt.<br />

Atmo: Ankleide-Mädchen:<br />

Das ist <strong>ein</strong> sorbisches Sonnenwendfest. Es ist nach dem kirchlichen Johannis,<br />

<strong>der</strong> Täufer, benannt. Der bringt ja die Fruchtbarkeit für die Län<strong>der</strong>eien mit.<br />

Und das ist so, dass er, <strong>der</strong> Johann, wenn er fertig ist, dann dementsprechend<br />

das Fruchtbarkeitssymbol ist … und wird dann am Ende von den umliegenden<br />

Bauern hat man früher gesagt und heute sind es halt mutige junge Leute, die<br />

ihn dann vom Pferd reißen und versuchen, von s<strong>ein</strong>em Fruchtbarkeitspanzer<br />

etwas zu erhaschen.<br />

Atmo: Blasmusik<br />

Sprecher:<br />

Der Johann heißt in diesem Jahr Danilo und steht ganz still, um k<strong>ein</strong>e<br />

Nadelstiche zu provozieren.<br />

Dann setzen die Mädchen dem Johann die Krone, geflochten aus Binsen und<br />

Seerosen, auf und geleiten ihn, <strong>der</strong> hoch zu Ross sitzt, auf den Reitplatz. Dort<br />

müssen die Zuschauer nach <strong>ein</strong>em Ritual den Johann vom Pferd reißen und<br />

sich möglichst <strong>ein</strong> Stück <strong>der</strong> Krone erbeuten.<br />

Atmo: Reitplatz und Fall des Johann<br />

Sprecher:<br />

<strong>Die</strong> erbeuteten Teile <strong>der</strong> Krone in <strong>der</strong> Guten Stube aufgehängt, garantieren <strong>ein</strong><br />

Jahr lang Glück. Wer nur Kornblumen erwischt, kann auch die aufbewahren,<br />

allerdings ist <strong>der</strong>en Glückskraft etwas geringer.<br />

Am Vormittag fand in <strong>der</strong> Kirche <strong>ein</strong> Gottesdienst statt. Der sollte auch das<br />

Interesse <strong>der</strong> Besucher auf den aus dem 14. Jahrhun<strong>der</strong>t stammenden<br />

Sakralbau lenken, denn die Dorfbewohner kämpfen noch immer um den Erhalt<br />

ihrer Kirche.<br />

6


O-Ton Roggan:<br />

Seit dem man entdeckt hat, dass die ersten christlichen Kirchen gerade hier in<br />

<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz eben nicht von Deutschen gebaut wurden, die hierher kamen<br />

mit ihrem Glauben und ihren Heeren, son<strong>der</strong>n das waren, wir würden heute<br />

sagen, bekehrte slawische Fürstensöhne.<br />

Auch da müsste man tatsächlich das Ganze mal ins Auge fassen, umdrehen<br />

und die Kulturgeschichte hier ganz neu begreifen.<br />

Zitatorin:<br />

Dr. Alfred Roggan, langjähriges Mitglied <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> und pensionierter<br />

Denkmalschützer, forscht nach den Spuren des slawischen Volkes.<br />

Sprecher:<br />

Etwa um 600, im Zuge <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ung, kamen sie von Osten. Friedlich<br />

bezogen verschiedene slawische Stämme das Gebiet zwischen Ostsee und<br />

Erzgebirge. In <strong>der</strong> heutigen Ober- und Nie<strong>der</strong>lausitz ließen sich die Milzener<br />

und Lusizer nie<strong>der</strong>. Unfrieden brachte die deutsche Ostexpansion im 10.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t in <strong>der</strong>en Folge die slawischen Stämme unterworfen wurden.<br />

Im 12. und 13. Jahrhun<strong>der</strong>t folgten dem Ruf:<br />

Zitatorin:<br />

Auf ins Sorbenland! Hier fließen reichlich Milch und Honig!<br />

Sprecher:<br />

… tausende deutsche Bauern. Man sagt, die Sorben verschmolzen mit den<br />

Deutschen, aber letztlich war es <strong>ein</strong> Abschmelzen des Sorbischen. Nur in <strong>der</strong><br />

Lausitz behüteten sie ihre Kultur und ihre Sprachen. Mit <strong>der</strong> Reformation<br />

bekam in den Gottesdiensten das gepredigte Wort größere Bedeutung.<br />

Atmo:<br />

Blättern in <strong>der</strong> Bibel und Sorbisch gelesene Textstelle aus <strong>der</strong> Bergpredigt<br />

7


Sprecher:<br />

Wollte man mit <strong>der</strong> Predigt die Leute erreichen, musste man ihre Sprache<br />

sprechen. Luthers "Dem Volke aufs Maul schauen" galt auch hier. Wenngleich<br />

Luther selbst die Sorben als “die schlechteste aller Nationen“ ansah. Dennoch<br />

wurden 90 Prozent <strong>der</strong> Sorben evangelisch. Nur die zum Bautzener Domstift<br />

und dem Kloster Marienstern gehörenden Län<strong>der</strong>eien blieben katholische<br />

Enklaven. 1548 kam es zur Übersetzung von Luthers Neuem Testament ins<br />

Sorbische. Es war die erste Übersetzung in <strong>ein</strong>e an<strong>der</strong>e Sprache überhaupt<br />

und zugleich die Geburtsstunde <strong>der</strong> sorbischen Schriftsprache. 1574 erschien<br />

Luthers Katechismus in Nie<strong>der</strong>sorbisch und 1597 in Obersorbisch.<br />

Atmo:<br />

Sorbisches Vaterunser<br />

O-Ton Roggan:<br />

Burg hat dann <strong>ein</strong>e ganz bedeutsame Son<strong>der</strong>entwicklung genommen. Und die<br />

hängt mit <strong>der</strong>, eigentlich größten Katastrophe <strong>der</strong> letzten tausend Jahre<br />

zusammen, die es so im deutschen Raum gab, dem 30-jährigen Krieg.<br />

Ein ganzes Volk war in s<strong>ein</strong>er Entwicklung um Jahrhun<strong>der</strong>te zurückgeworfen.<br />

Nur eben Burg nicht. Das ist das Seltsame, dass man sie nicht erklären kann,<br />

warum Burg nie von <strong>ein</strong>em f<strong>ein</strong>dlichen Soldaten betreten wurde, das war fünf<br />

Kilometer weiter in Werben schon ganz an<strong>der</strong>s.<br />

Sprecher:<br />

Für das sorbische Volk bedeutete <strong>der</strong> 30-jährige Krieg in s<strong>ein</strong>en Auswirkungen<br />

neben unsäglichem menschlichem Leid <strong>ein</strong>e Zerstückelung s<strong>ein</strong>es Sprach- und<br />

Kulturgebietes. Wie Inseln lagen nun sorbische Siedlungsgebiete inmitten des<br />

deutschen "Meeres".<br />

Zugleich nahm <strong>der</strong> Germanisierungsdruck in Brandenburg zu, so ordnete <strong>der</strong><br />

Kurfürst 1667:<br />

Zitatorin:<br />

"die gänzliche Abschaffung <strong>der</strong>er wendischen Prediger"<br />

8


Sprecher:<br />

… an und ließ alle sorbischen Bücher und Manuskripte vernichten. Das<br />

Lübbener Konsistorium gab 1668 <strong>ein</strong>e Denkschrift heraus<br />

Zitatorin:<br />

"Wie in hiesigem Markgrafentume die gänzliche Abschaffung <strong>der</strong> wendischen<br />

Sprache am ehesten beför<strong>der</strong>t werden könne".<br />

Sprecher:<br />

In <strong>der</strong> Oberlausitz dagegen setzten sich Vertreter <strong>der</strong> pietistischen Bewegung,<br />

zu denen auch <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Herrnhuter Brü<strong>der</strong>gem<strong>ein</strong>de, Graf Zinzendorf,<br />

gehörte, für die Verbreitung religiöser Schriften in sorbischer Sprache <strong>ein</strong>. Im<br />

Ringen <strong>der</strong> beiden Konfessionen in <strong>der</strong> Oberlausitz subventionierten die<br />

protestantisch dominierten Oberlausitzer Landstände von 1668 bis 1728 sogar<br />

die Herausgabe sorbischer Kirchenbücher,<br />

Zitatorin:<br />

"damit die wendischen Untertanen nicht in unchristlichen Aberglauben und<br />

Katholizismus zurückfallen".<br />

Sprecher:<br />

<strong>Die</strong> katholische Seite hielt dagegen. Derart erlebte die sorbische Sprache in <strong>der</strong><br />

Oberlausitz <strong>ein</strong>e erste För<strong>der</strong>politik. In <strong>der</strong> - und das ist <strong>der</strong> historische<br />

Unterschied zu heute - ging es nicht um den Erhalt <strong>der</strong> Sprache, son<strong>der</strong>n die<br />

Be<strong>ein</strong>flussung durch die sorbische Sprache.<br />

Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts brachten die Napoleonischen Kriege erneut <strong>ein</strong>e<br />

Zäsur. In <strong>der</strong> Schlacht bei Bautzen am 20. und 21. Mai 1813 siegte Napoleon<br />

noch <strong>ein</strong> letztes Mal. Den Preis dafür beschrieb <strong>der</strong> sorbische Schriftsteller Jurij<br />

Winger:<br />

Zitatorin:<br />

Das gesamte Bautzener Land von s<strong>ein</strong>en Bergen bis in die Nie<strong>der</strong>ung, welches<br />

sonst fruchtbar und volkreich war, hatte sich im Laufe zweier Tage in <strong>ein</strong>e Öde<br />

verwandelt.<br />

9


Sprecher:<br />

Der nächste ganz große Krieg, <strong>der</strong> 1. Weltkrieg, kostete all<strong>ein</strong> in <strong>der</strong><br />

Amtshauptmannschaft Bautzen über 3000 Männer das Leben, darunter waren<br />

viele Sorben wie auch <strong>der</strong> für den <strong>Domowina</strong>vorsitz vorgesehene Franz Kral.<br />

Gefallen für Volk und Vaterland. Nur für welches Volk? Und fürs Vaterland?<br />

Nach dem Krieg fuhr Arnošt Bart, <strong>der</strong> Gründungsvorsitzende <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>,<br />

extra nach Paris zu den Friedensverhandlungen, um sich bei den<br />

Siegermächten für <strong>ein</strong>e Autonomie <strong>der</strong> Sorben <strong>ein</strong>zusetzen. <strong>Die</strong> Autonomie<br />

erreichte Bart nicht. Bei s<strong>ein</strong>er Rückkehr im Oktober 1919 wurde er verhaftet<br />

und in Leipzig wegen "Hochverrats" zu drei Jahren Festungshaft verurteilt. Der<br />

<strong>Domowina</strong> gelang es in den Nachkriegsjahren, sich als Organisationen zu<br />

erneuern, und es war auch ihr Verdienst, dass in <strong>der</strong> Weimarer Verfassung<br />

immerhin das Lippenbekenntnis stand:<br />

Zitatorin:<br />

… die fremdsprachigen Volksteile des Reiches dürfen durch die Gesetzgebung<br />

und Verwaltung nicht in ihrer freien volkstümlichen Entwicklung, beson<strong>der</strong>s<br />

nicht im Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht sowie bei <strong>der</strong> inneren<br />

Verwaltung und <strong>der</strong> Rechtspflege be<strong>ein</strong>trächtigt werden.<br />

Sprecher:<br />

1926 verabschiedete die <strong>Domowina</strong> <strong>ein</strong>e Resolution gegen die Aberkennung<br />

des Sorbischen als Kultursprache durch die sächsische evangelische Synode.<br />

Aber es blieb nicht viel Zeit für politische For<strong>der</strong>ungen, denn die<br />

Machtergreifung <strong>der</strong> Nazis gefährdete die Existenz <strong>der</strong> Sorben grundlegend.<br />

Slawen zählten in <strong>der</strong> faschistischen Rassenideologie zu den "Min<strong>der</strong>wertigen".<br />

Bereits 1933 wurde <strong>der</strong> Chefredakteur <strong>der</strong> Tageszeitung "Serbske Nowiny" aus<br />

<strong>der</strong> Redaktion "entfernt" und es kam zu Verhaftungen von Sorben weil<br />

Zitatorin:<br />

<strong>Die</strong> Beziehungen zu an<strong>der</strong>en slawischen Nationen, vor allem den Tschechen,<br />

nicht mehr geduldet werden.<br />

10


Sprecher:<br />

Allerdings arrangierten sich die meisten Sorben mit dem System und viele<br />

unterstützten es auch aktiv als "wendische Deutsche".<br />

O-Ton Schurmann:<br />

<strong>Die</strong> Sorben/Wenden waren praktisch Staatsbürger des Deutschen Reiches und<br />

als solche waren sie ins System integriert. Das ist auch <strong>der</strong> Unterschied zu den<br />

Juden und Sinti und Roma, zu an<strong>der</strong>en Min<strong>der</strong>heiten in Deutschland, die<br />

gewissermaßen ausgegrenzt wurden.<br />

Zitatorin:<br />

Dr. Peter Schurmann arbeitet in <strong>der</strong> Zweigstelle des Sorbischen Instituts in<br />

Cottbus. S<strong>ein</strong> Forschungsschwerpunkt ist die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Sorben und<br />

Wenden.<br />

O-Ton Schurmann:<br />

<strong>Die</strong> Sorben waren integriert in das System, also die haben genauso die<br />

Aufgabe gehabt in <strong>der</strong> Wehrmacht zu dienen. Und von daher haben sie im<br />

Großen und Ganzen auch <strong>ein</strong>e staatstragende Rolle gespielt. Natürlich hat sich<br />

das neue System, wie‘s vorher <strong>der</strong> Fall war, eben auch nach 1933, mit<br />

Trachtenmädels, wie man so schön sagt, geschmückt. Also, die waren dann<br />

bei irgendwelchen Höhepunkten unter an<strong>der</strong>em auch in Nürnberg anwesend,<br />

das wir so ‘ne Bil<strong>der</strong> haben mit Trachtenmädels. Das wird dann späterhin ab<br />

1937 spätestens ab 1939 an<strong>der</strong>s. Da wird die Tracht als solche auch als nicht<br />

mehr existent erklärt. Man spricht nicht von <strong>der</strong> wendischen Tracht, son<strong>der</strong>n<br />

höchstens noch von <strong>der</strong> Bauerntracht o<strong>der</strong> Tracht des Spreewaldes.<br />

Zitatorin:<br />

Der Herr Amtshauptmann zu Bautzen eröffnete mir heute, den 18. März 1937<br />

mündlich nachfolgendes:<br />

"Da sich die <strong>Domowina</strong> innerhalb <strong>der</strong> gestellten Frist nicht bereit erklärt hat,<br />

den ihr bereits im November 1936 vorgelegten Satzungsentwurf <strong>der</strong> Behörden<br />

anzunehmen, müssen in Zukunft alle öffentlichen und geschlossenen<br />

Veranstaltungen und Versammlungen <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> und aller ihr<br />

11


angeschlossenen Organisationen als gegen die Erhaltung <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Ruhe, Sicherheit und Ordnung angesehen und deshalb auf Grund allgem<strong>ein</strong>er<br />

Polizeibefugnis verboten und notfalls aufgelöst werden. Eine Bekanntmachung<br />

dieser Eröffnung in <strong>der</strong> wendischen Presse darf nicht erfolgen."<br />

M<strong>ein</strong>e Anfrage, ob dieser Bescheid <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> noch schriftlich zugestellt<br />

würde, wurde vern<strong>ein</strong>t.<br />

Bautzen, am 18. März 1937<br />

gez. P. Nedo<br />

Sprecher:<br />

<strong>Die</strong>se interne Mitteilung des <strong>Domowina</strong>-Vorsitzenden Pawoł Nedo, deutsch<br />

Paul Nedo, markierte auch den endgültigen Bruch Nedos mit den Nazis. Er<br />

hatte sich konsequent geweigert, die <strong>Domowina</strong> zu <strong>ein</strong>em bloßen Kulturver<strong>ein</strong><br />

umzuwandeln und die Sorben als "wendisch sprechende Deutsche" zu<br />

deklarieren. Dabei war <strong>der</strong> 1908 geborene Nedo zunächst durchaus von den<br />

Nazis angetan. Er studierte von 1928 bis 1932 in Leipzig, wurde dort<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> des Verbandes sorbischer Studenten und im Juli 1933 ernannte<br />

ihn <strong>der</strong> Kreiskulturwart <strong>der</strong> NSDAP zum "Fachberater für wendische<br />

Kulturfragen" des Bautzener Parteibezirkes. Er wurde Anwärter <strong>der</strong> SA und bei<br />

den Novemberwahlen 1933 warb er bei den Sorben für den<br />

Nationalsozialismus. Das hielt die Nazis nicht ab, die sorbische Sprache in <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit zu verbieten. Auf den Landkarten wurden alle slawisch<br />

anmutenden Orte und Bezeichnungen "<strong>ein</strong>gedeutscht". Himmler, <strong>der</strong><br />

Reichsführer SS, plante, in Polen <strong>ein</strong>e "min<strong>der</strong>wertige Bevölkerung" als<br />

"führerloses Arbeitsvolk" anzusiedeln, zu denen er auch die Sorben und<br />

Wenden zählte. Der Chef <strong>der</strong> Sicherheitspolizei Heydrich plante, jene<br />

auszuschalten, die<br />

Zitatorin:<br />

<strong>ein</strong>e endgültige Lösung des Wendenproblems verhin<strong>der</strong>n.<br />

12


Sprecher:<br />

Daher sollten "leitende Persönlichkeiten <strong>der</strong> Wenden" aus <strong>der</strong> Lausitz entfernt<br />

werden. <strong>Die</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> Pläne verhin<strong>der</strong>te die Kriegsnie<strong>der</strong>lage<br />

Nazideutschlands.<br />

Wie<strong>der</strong> waren Sorben in <strong>ein</strong>em Krieg geblieben, wie<strong>der</strong> für Volk und Vaterland.<br />

<strong>Die</strong> Kämpfe um die sorbischen Dörfer waren im Frühjahr 1945 hart. <strong>Die</strong><br />

ver<strong>ein</strong>igten polnischen und sowjetischen Truppen mussten bei <strong>ein</strong>er<br />

Gegenoffensive zunächst wie<strong>der</strong> zurückweichen. Entsprechend leidvoll war es<br />

für die Zivilbevölkerung. Und mancher versuchte, bei den Besatzern mit s<strong>ein</strong>er<br />

sorbischen Herkunft Sympathie zu wecken und sich vom Deutschs<strong>ein</strong> im<br />

wahrsten Sinn des Wortes freizusprechen.<br />

Schon zwei Tage nach <strong>der</strong> Kapitulation gründete sich die <strong>Domowina</strong> in <strong>der</strong><br />

Oberlausitz am 10. Mai 1945 in Crostwitz neu.<br />

Im gleichen Jahr bejubelte Jurij Winar, Komponist und Vorsitzen<strong>der</strong> des<br />

Kulturbundes <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>, das erste sorbische Chorkonzert gem<strong>ein</strong>sam mit<br />

Sowjetsoldaten im Stadttheater Bautzen.<br />

Atmo Archiv: Chorkonzert historische Aufnahme<br />

Sprecher:<br />

In <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz beargwöhnten die neuen Machthaber die Sorben zunächst.<br />

For<strong>der</strong>te doch <strong>der</strong> 1945 in Prag gegründete Wendische Nationalausschuss mit<br />

Unterstützung <strong>der</strong> Prager Regierung die Einglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lausitz in die<br />

Tschechoslowakei. Für viele Sorben war das durchaus erstrebenswert, suchten<br />

sie nach ihren Erfahrungen mit Nazideutschland <strong>ein</strong> besseres Vaterland.<br />

<strong>Die</strong> SED musste dagegenhalten, um ihren Einfluss in den sorbischen Gebieten<br />

nicht zu gefährden; außerdem wollte man <strong>der</strong> Sowjetunion in <strong>der</strong> sogenannten<br />

Nationalitätenpolitik nacheifern. 1950 schrieb dann auch die brandenburgische<br />

Regierung in <strong>ein</strong>er Verordnung, die<br />

Zitatorin:<br />

… staatliche För<strong>der</strong>ung in Bezug auf Sprache, kulturelle Betätigung und<br />

Entwicklung festzulegen.<br />

13


Sprecher:<br />

Schließlich wurde 1949, bei <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> DDR, die staatsbürgerliche<br />

Gleichberechtigung <strong>der</strong> Sorben in <strong>der</strong> Verfassung verankert.<br />

Atmo Archiv: (Wilhelm Pieck in Bautzen (08/09.07.1950)<br />

Nach dieser kurzen Begrüßung spricht jetzt <strong>der</strong> Präsident <strong>der</strong> DDR Wilhelm<br />

Pieck.<br />

(Dankt für Begrüßung)<br />

M<strong>ein</strong> Gruß gilt vor allem <strong>der</strong> sorbischen Bevölkerung, den Männern und Frauen<br />

und <strong>der</strong> Jugend, die sich in <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>, dem Bund <strong>der</strong> Lausitzer Sorben,<br />

ihre große Heimat-Organisation geschaffen haben. M<strong>ein</strong> Gruß gilt <strong>der</strong> Leitung<br />

<strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>, <strong>der</strong> ich die Einladung zu verdanken habe, am großen<br />

sorbischen Volkstreffen teilzunehmen, zu dem sie sich in diesen Tagen, wie ich<br />

höre in <strong>der</strong> Zahl von 150.000, versammelt haben. (Beifall)<br />

Sprecher:<br />

Kultur und Sprache för<strong>der</strong>te die DDR sehr großzügig. Es gab regelmäßig das<br />

Festival <strong>der</strong> sorbischen Kultur und die Bundeskongresse <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>.<br />

Politisch war die <strong>Domowina</strong> entschärft, man ordnete sie <strong>der</strong> Nationalen Front<br />

unter und ihre Funktionäre wie <strong>der</strong> langjährige Vorsitzende Jurij Groß, waren<br />

SED-Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Atmo Archiv: (Gespräch mit dem Ersten Sekretär des Bundesvorstandes <strong>der</strong><br />

<strong>Domowina</strong>, Jurij Groß, anlässlich des 75-jährigen Bestehens <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>)<br />

Jurij Groß:<br />

Ich möchte hier an die Worte erinnern, die <strong>der</strong> Generalsekretär <strong>der</strong> SED und<br />

Vorsitzende des Staatsrates <strong>der</strong> DDR, Genosse Erich Honecker, am<br />

vergangenen Donnerstag beim Empfang <strong>ein</strong>er Delegation <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> im<br />

Staatsrat und Auszeichnung mit dem großen Stern <strong>der</strong> Völkerfreundschaft<br />

folgende Worte sagte – ich zitiere:<br />

<strong>Die</strong> DDR ist durch unsere gem<strong>ein</strong>same Arbeit – das ist nämlich schon <strong>ein</strong>e<br />

gem<strong>ein</strong>same Tradition – für das Glück <strong>der</strong> Menschen zu unserem<br />

sozialistischen Vaterland. Hier leben wir mit<strong>ein</strong>an<strong>der</strong>, hier arbeiten wir<br />

mit<strong>ein</strong>an<strong>der</strong> zum Wohle aller Bürger sorbischer Nationalität.<br />

14


Sprecher:<br />

Ist Opportunismus die Überlebensstrategie <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>?<br />

O-Ton Schurmann:<br />

Also, es wird immer kritische Stimmen geben, ob das z. B. die Weimarer Zeit<br />

o<strong>der</strong> die Nazizeit, o<strong>der</strong> die DDR Zeit o<strong>der</strong> die heutige Situation anbetrifft. Das<br />

muss man knallhart sagen. Das ist so. Aber sie hatte <strong>ein</strong>schränkend k<strong>ein</strong>e<br />

Alternative, sie konnte sich aus diesem System nicht heraushalten. Weil ich<br />

sag immer wie<strong>der</strong>, du brauchst die deutsche Mehrheitsbevölkerung, die<br />

deutschen Institutionen und Parteien und Organisationen als Unterstützer, um<br />

das Sorbische/Wendische zu för<strong>der</strong>n und zu unterstützen, und da musst du<br />

praktisch Kompromisse machen.<br />

Sprecher:<br />

<strong>Die</strong> Suche nach <strong>ein</strong>em Vaterland bestimmt immer wie<strong>der</strong> die <strong>Geschichte</strong>,<br />

Geschicke und Handeln dieser Min<strong>der</strong>heit, denn an<strong>der</strong>s als zum Beispiel die<br />

dänische Min<strong>der</strong>heit in Deutschland, haben die Sorben k<strong>ein</strong> Heimatland, das<br />

sie unterstützt, für sie Lobbyarbeit betreibt o<strong>der</strong> in existentiellen Krisen<br />

"heimholen" kann.<br />

Bräuche und Sprache geraten heute durchaus unter <strong>ein</strong> ökonomisches Kalkül,<br />

so unter dem ernsthaft diskutierten Motto: Mehrwert von Min<strong>der</strong>heiten.<br />

Touristisch vermarktet ergibt sich für Außenstehende <strong>der</strong> Eindruck von <strong>ein</strong>er<br />

Ostereier bemalenden fröhlich jauchzenden Trachtentruppe. Wer guckt schon<br />

hinter die Fassade?<br />

Atmo Archiv: ("Was ist denn heut' bei Findigs los?")<br />

Guten Morgen Kin<strong>der</strong>, habt ihr euch schon mal überlegt, wo <strong>der</strong> Osterhase<br />

morgen s<strong>ein</strong>e Eier verstecken könnte? Und ist euer Frühlingsrasen<br />

aufgegangen?<br />

Unserer ist schön geworden und auch die bemalten Ostereier. Aber nicht so<br />

schön wie die von Claudia und Karina.<br />

Macht doch nichts, Peggy! Wo die Mädchen zu Hause sind, im Bezirk Cottbus,<br />

wird <strong>der</strong> Brauch vom Ostereierbemalen beson<strong>der</strong>s gepflegt. In Rohne zum<br />

15


Beispiel treffen sich um die Osterzeit Mädchen und Jungen in <strong>der</strong> sorbischen<br />

Stube.<br />

Sprecher:<br />

Muster und Maltechniken <strong>der</strong> sorbischen Ostereier sind traditionell bestimmt<br />

und territorial unterschiedlich. <strong>Die</strong> "garantiert echten" sorbischen Ostereier in<br />

den Körben <strong>der</strong> Souvenirläden halten sich da nicht unbedingt dran. Daneben<br />

steht oft <strong>ein</strong>e Puppe in angeblicher Spreewaldtracht. Mitunter auf <strong>ein</strong>em<br />

Spreewaldkahn platziert. So wie sich manche Deutsche mit <strong>ein</strong>er<br />

Spreewaldtracht als Kostüm schmückt, um ganz “echt“ die Touristen mit dem<br />

Kahn durch den Spreewald zu staken.<br />

O-Ton Oppermann:<br />

Unsere Spreewaldtracht, auch wenn sie noch so schön ist, ist k<strong>ein</strong> Kostüm,<br />

son<strong>der</strong>n wirklich <strong>ein</strong>e Tracht, die man mit Stolz und unwahrsch<strong>ein</strong>licher<br />

Hingabe trägt und natürlich auch pflegen muss, die über 100 Jahre meistens<br />

weitergereicht wird.<br />

Sprecher:<br />

Ramona Oppermann stammt aus <strong>ein</strong>em alt<strong>ein</strong>gesessenen Bootshaus im<br />

Spreewaldort Burg. Auch sie stakt ab und an Touristen über die Fließe des<br />

Spreewaldes. Eigentlich ist sie Geschäftsführerin in <strong>der</strong> Peitzer Edelfisch<br />

GmbH. Ihr Abitur hat sie am heutigen Nie<strong>der</strong>sorbischen Gymnasium abgelegt.<br />

O-Ton Oppermann:<br />

Zu den Festtagen, wie auch zu bestimmten Kahnfahrten trage ich Tracht. So<br />

<strong>ein</strong>e Tracht zieht man nicht in 5 Minuten an, son<strong>der</strong>n man braucht mindestens<br />

1 Stunde zur Vorarbeit. Das heißt, jedes Stück wird <strong>ein</strong>zeln gebügelt und gelegt.<br />

Über den Rock wird das Halstuch gelegt und da ist es ganz wichtig, dass man<br />

die linke Seite über die rechte legt, damit <strong>der</strong> Mann in den “Hals“ gucken kann.<br />

Ja und die Burger tragen dann noch <strong>ein</strong>e schöne große Haube, die aus drei<br />

Teilen besteht. Da sind natürlich sehr viele Nadeln gesteckt. <strong>Die</strong> Burger Haube<br />

ist die größte, die es in unserer Region gibt.<br />

16


Je<strong>der</strong> Ort, jede Gegend hier im Spreewald hat auch ihre eigenen Trachten. Und<br />

früher erkannte man die Mädchen beim Tanz, aus welchem Dorf sie waren.<br />

O-Ton Duschka:<br />

Ich hab dann vor 15 Jahren mich selbstständig gemacht. Und da sind wir<br />

freitags immer auf den Wochenmarkt nach Peitz gefahren und da kamen auch<br />

die alten Schottas und verlangten alles auf Wendisch:<br />

Gurka. (wendisch)<br />

Also das heißt, gib mir <strong>ein</strong>e Gurke.<br />

Und da habe ich se das gegeben. Und da ham se das auf Wendisch gefragt<br />

wie viel Geld ich kriege:<br />

Pinäse. Pinäse heißt Geld.<br />

Und da hab ich se das dann gesagt und die haben mir das Geld gegeben, und<br />

ich hab se das dann rausgegeben.<br />

’Moi Bog, wo kennst du denn die Sprache her?‘<br />

Und das war für mich auch so <strong>ein</strong> Erlebnis auf dem Markt. Und das ging viele<br />

Jahre. Aber da sind halt viel ältere schon ausgestorben.<br />

Sprecher:<br />

Neben dem bemalten Osterei und dem Trachtenmädel gehört unbedingt die<br />

Gurke zum Klischee des Spreewaldes. Lutz Duschka ist "Gurken"-Bauer.<br />

Kenner sagen, bei ihm schmecken die Gurken am besten.<br />

O-Ton Duschka:<br />

Und wir legen noch nach alten Spreewaldrezepten, m<strong>ein</strong>e Mutter die aus<br />

Drachhausen stammt, hat ja von m<strong>ein</strong>er Oma die Rezepte übernommen, und<br />

legen wir neun verschiedene Sorten Gurken <strong>ein</strong>.<br />

Und dann hatte ich als junger Mann mit 18 <strong>ein</strong> ganz tolles Erlebnis. Ich kam in<br />

die Arztpraxis. Setzte mich dorthin. Waren viele wendisch gekleidete Omas,<br />

wie m<strong>ein</strong>e Oma, die war auch wendisch gekleidet. Und dann kam <strong>der</strong> Doktor<br />

r<strong>ein</strong>, <strong>der</strong> war relativ jung. Und dann sagten die wendischen Omas:<br />

(sagt es wendisch, dann deutsch)<br />

Und das heißt:<br />

17


Son jungscher Schnösel, auf Deutsch. Und ja, <strong>der</strong> Arzt ging rin. Und dann kam<br />

die Oma dran und dann rief <strong>der</strong> Arzt zurück:<br />

(wendisch)<br />

Und das heißt: Tante komm r<strong>ein</strong>.<br />

Und Tante ist nicht r<strong>ein</strong>gekommen, Tante ist abgehauen, weil sie den Arzt<br />

schlecht gemacht hat.<br />

Atmo:<br />

Telefonanruf: Marka Maćijowa meldet sich (sorbische Begrüßung)<br />

Sprecher:<br />

Marka Maćijowa, deutsch Maria Matschie, ist die Geschäftsführerin des<br />

<strong>Domowina</strong>-Verlages.<br />

O-Ton Maria Matschie:<br />

Das ist ganz richtig, dass das so gemacht wird, dass man sich zum Beispiel am<br />

Telefon in sorbischer Sprache meldet, denn wir sind <strong>ein</strong> sorbisches Volk. Hier<br />

wird auch sorbisch gesprochen in Sachsen und Brandenburg. Und je<strong>der</strong>, <strong>der</strong><br />

zum Beispiel <strong>ein</strong>e Institution anruft, <strong>der</strong> weiß, das ist <strong>ein</strong>e sorbische Institution<br />

und er wird wohl durchaus damit leben können, dass er in Sorbisch begrüßt<br />

wird.<br />

Sprecher:<br />

Der <strong>Domowina</strong>-Verlag wurde 1958 als Volkseigener Betrieb in Bautzen<br />

gegründet. Er war und ist sozusagen das publizistische Herz <strong>der</strong> Sorben. Zu<br />

s<strong>ein</strong>em Programm gehört schöngeistige Literatur ebenso wie wissenschaftliche<br />

und dokumentarische. Bis heute bietet <strong>der</strong> Verlag <strong>der</strong> sorbischen<br />

Nationalliteratur die Basis, allen politischen Einflussnahmen in s<strong>ein</strong>er<br />

<strong>Geschichte</strong> zum Trotz.<br />

O-Ton Maria Matschie:<br />

In <strong>der</strong> Gründungsgeschichte steckt natürlich auch <strong>ein</strong> bisschen die Tradition<br />

<strong>der</strong> Organisation o<strong>der</strong> des Ver<strong>ein</strong>s <strong>Domowina</strong>. Und <strong>der</strong> Name, <strong>der</strong> wurde auch<br />

auf Wunsch <strong>der</strong> Organisation <strong>Domowina</strong> mit übernommen.<br />

18


Es ist nicht deckungsgleich. Wir haben heute im herausgeberischen Sinne<br />

k<strong>ein</strong>e Verbindung zur <strong>Domowina</strong>. Wir sind selbständig. In <strong>der</strong> DDR-Zeit war es<br />

allerdings so, dass die Organisation <strong>Domowina</strong> die Tageszeitung "Nowa Doba"<br />

herausgegeben hat und auch die Kulturzeitschrift und dadurch natürlich auch<br />

Einfluss auf die Besetzung von Chefredakteursstellen hatte und dadurch auch<br />

Einfluss auf den Inhalt. Das ist heute nicht mehr.<br />

Sprecher:<br />

<strong>Die</strong> in <strong>der</strong> DDR vom Schriftstellerverband herausgegebene Zeitschrift "Neue<br />

Deutsche Literatur" widmete ihre Märzausgabe von 1967 <strong>der</strong> sorbischen<br />

Literatur.<br />

Atmo Archiv:<br />

(<strong>Die</strong> Zeitschrift "Neue Deutsche Literatur" thematisiert in ihrer Märzausgabe die<br />

sorbische Literatur / (O-Ton) Werner Neubert (Chefredakteur <strong>der</strong> Zeitschrift)<br />

würdigt die Gem<strong>ein</strong>samkeiten <strong>der</strong> deutschen und sorbischen Literatur bei <strong>der</strong><br />

Gestaltung des werdenden neuen Menschenbildes in <strong>der</strong> sozialistischen<br />

Literatur <strong>der</strong> DDR / 3'44" (O-Ton) Kurt Krenz (Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>) in<br />

s<strong>ein</strong>er Rede hebt er die Unterstützung, För<strong>der</strong>ung und Gleichstellung <strong>der</strong><br />

sorbischen Literatur in <strong>der</strong> DDR durch die SED hervor //)<br />

Sprecher:<br />

Aus diesem ideologischen Phrasennebel tauchte <strong>ein</strong> Dichter von Rang auf: Kito<br />

Lorenc. Er besingt den sorbischen Fluss Struga.<br />

Poetisch thematisiert Kito Lorenc <strong>ein</strong>e <strong>der</strong> großen Bedrohungen: <strong>Die</strong> Kohle<br />

unter den sorbischen Füßen. <strong>Die</strong> Tagebaue in <strong>der</strong> Lausitz verschlangen bisher<br />

etwa 100 Dörfer. Der Braunkohlenabbau setzte auch <strong>der</strong> Struga zu, die längst<br />

<strong>ein</strong> kanalisiertes "künstliches" Gewässer ist. Ein Orakel für das<br />

Nie<strong>der</strong>sorbische?<br />

Atmo:<br />

Lesung Kito Lorenc<br />

19


Sprecher:<br />

<strong>Die</strong> DDR siedelte die Bewohner <strong>der</strong> vom Tagebau betroffenen Dörfer ohne<br />

soziale o<strong>der</strong> ethnische Rücksichten um. So fanden sich die Leute <strong>ein</strong>es ganzen<br />

Dorfes in <strong>der</strong> Stadt Spremberg in zwei Hochhäusern wie<strong>der</strong>. Da verging sehr<br />

schnell jede sorbische Identität. Aber nicht nur <strong>der</strong> Verlust von Dörfern und<br />

Land wurde <strong>ein</strong> Problem, auch die zugezogenen Arbeiter <strong>der</strong> Kraftwerke und<br />

Brikettfabriken. Sie bildeten die zweite Übersiedlungswelle nach den<br />

Umsiedlern aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Deutsch wurde zur<br />

Umgangssprache in <strong>der</strong> Arbeitsbrigade, wobei mancher 5 Mark in die<br />

Brigadekasse zahlen musste, <strong>der</strong> sorbisch sprach. Auch im Bus zur Arbeit<br />

redete man deutsch, im Dorfladen und dann auch zu Hause in <strong>der</strong> Familie.<br />

Zitatorin: (o<strong>der</strong> Archiv-Ton)<br />

…vertraue unendlich ich<br />

Den Zwanzigjährigen heute,<br />

wie schön, dass niemand<br />

uns abnehmen kann<br />

das Denken, auch nicht<br />

die nach uns, für die wir<br />

denken sollten nur soweit,<br />

dass sie auf Erden<br />

denken noch können<br />

(aus Struga, Kito Lorenc)<br />

Sprecher:<br />

<strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> Titel von Kito Lorenc im <strong>Domowina</strong>-Verlag ist groß, die s<strong>ein</strong>er<br />

sprachmächtigen möglichen Leser ist kl<strong>ein</strong>. Als Sorbe zählt zwar, wer sich dazu<br />

bekennt, egal ob er des Sorbischen mächtig ist, aber deswegen kann er die<br />

Bücher von Kito Lorenc und Co. noch nicht lesen. <strong>Die</strong> Hochrechnungen<br />

schwanken zwischen 40.000 und 60.000 sorbisch sprechenden Sorben. Bei<br />

nie<strong>der</strong>sorbischen Büchern liegt die Auflage des <strong>Domowina</strong>-Verlages bei 200<br />

bis 300 je Titel. K<strong>ein</strong> Vorzeichen für <strong>ein</strong> gutes Geschäft.<br />

20


O-Ton Maria Matschie:<br />

Wir versuchen mit unseren Produkten Erlöse in nicht unbeträchtlicher Zahl zu<br />

erwirtschaften, aber mit diesen Erlösen kann man die Produktion nicht<br />

finanzieren.<br />

Sprecher:<br />

In den 40 Jahren DDR spielte man sich auf<strong>ein</strong>an<strong>der</strong> <strong>ein</strong>: die Sorben in ihren<br />

Dörfern, die <strong>Domowina</strong> als politisch harmlose Organisation und die SED als<br />

"die führende Kraft des Volkes". Und wohl niemand nahm die ideologischen<br />

Floskeln noch ernst. <strong>Die</strong> <strong>ein</strong>e Seite sang fröhliche Lie<strong>der</strong> und die an<strong>der</strong>e<br />

verlautbarte Grußadressen. Mit "Hirn und Herz" sollte <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> SED<br />

gefolgt werden. <strong>Die</strong> Worte ihres Generalsekretärs Erich Honecker zum 60.<br />

Jahrestag <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> werden wohl in k<strong>ein</strong> sorbisches Herz o<strong>der</strong> Hirn<br />

vorgedrungen s<strong>ein</strong>.<br />

Atmo Archiv: (Grußadresse Erich Honeckers zum 60. Jahrestag <strong>der</strong><br />

Gründung <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>)<br />

Liebe Genossen und Freunde, das Zentralkomitee <strong>der</strong> Sozialistischen<br />

Einheitspartei Deutschlands entbietet euch zum sechzigsten Jahres Tag eurer<br />

Organisation die herzlichsten Glückwünsche.<br />

Unter <strong>der</strong> Führung <strong>der</strong> Arbeiterklasse und ihrer Partei ist die <strong>Domowina</strong> zu<br />

Beginn des siebenten Jahrzehnts ihrer Existenz fester Bestandteil <strong>der</strong><br />

nationalen Front. Das Zentralkomitee schätzt das Bemühen <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong>, alle<br />

Sorben von <strong>der</strong> Richtigkeit unseres Weges beim Aufbau des Sozialismus <strong>der</strong><br />

entwickelten sozialistischen Gesellschaft zu überzeugen und zum bewussten<br />

und zum bewussten aktiven Handeln für das Glück und Wohlergehen <strong>der</strong><br />

Arbeiterklasse und aller Werktätigen zu führen.<br />

Sprecher:<br />

Damit nichts aus <strong>der</strong> Balance kam und je<strong>der</strong> die ihm zugewiesene Rolle spielte,<br />

wachte Erich Mielkes Staatssicherheit, auch mit Hilfe sorbischer offizieller und<br />

inoffizieller Mitarbeiter. Aber dann kam das Jahr 1989. Plötzlich stand alles<br />

infrage: die <strong>Domowina</strong>, die Stellung <strong>der</strong> Sorben im künftigen Land, das auch<br />

noch k<strong>ein</strong> Deutscher definieren konnte. Und es gab heftige "innersorbische"<br />

21


Aus<strong>ein</strong>an<strong>der</strong>setzungen bis hin zu erneuten Autonomiefor<strong>der</strong>ungen für die<br />

Lausitz. Im November 1989 konstituierte sich die Sorbische Volksversammlung,<br />

es gab den Sorbischen Runden Tisch und Deklarationen, die <strong>ein</strong> Buch von<br />

etwa 500 Seiten füllen. Es war die hohe Zeit <strong>der</strong> Demokratie.<br />

Atmo Archiv: Hans Modrow<br />

Ansagerin: <strong>Die</strong> <strong>Domowina</strong>, <strong>der</strong> 1912 gegründete Dachverband <strong>der</strong> Sorben und<br />

nach 1949 Interessenvertretung <strong>der</strong> sorbischen Bevölkerung auf dem<br />

Territorium <strong>der</strong> DDR, hat erst kürzlich erklärt, dass sie sich erneuern wird.<br />

Darum ging es beim heutigen Treffen mit Hans Modrow. Nach <strong>der</strong> Beratung<br />

erklärte <strong>der</strong> Ministerpräsident:<br />

Modrow: <strong>Die</strong> Absicht war, dass wir die Gesamtkonzeption <strong>der</strong><br />

gesellschaftlichen Entwicklung in <strong>der</strong> DDR im Prozess demokratischer<br />

Erneuerung auch sehen in <strong>der</strong> selbstverständlich festen Einbindung <strong>der</strong><br />

sorbischen Bürger in <strong>der</strong> Lausitz, und die Regierung hatte sich ja bereits auf<br />

<strong>der</strong> Grundlage <strong>ein</strong>er Stellungnahme <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> mit diesem Problem<br />

beschäftigt und wir haben heute auf dieser Grundlage die Diskussion<br />

fortgesetzt.<br />

Sprecher:<br />

In <strong>ein</strong>er Protokollnotiz schreibt <strong>der</strong> Einigungsvertrag fest:<br />

Zitatorin:<br />

1. Das Bekenntnis zum sorbischen Volkstum und zur sorbischen Kultur ist frei.<br />

2. <strong>Die</strong> Bewahrung und Fortentwicklung <strong>der</strong> sorbischen Kultur und <strong>der</strong><br />

sorbischen Traditionen werden gewährleistet.<br />

3. Angehörige des sorbischen Volkes und ihre Organisationen haben die<br />

Freiheit zur Pflege und zur Bewahrung <strong>der</strong> sorbischen Sprache im öffentlichen<br />

Leben.<br />

22


Sprecher:<br />

Am Ende blieb die <strong>Domowina</strong> und wandelte sich von <strong>ein</strong>er zentralistischen<br />

Organisation zurück in <strong>ein</strong>en Dachverband sorbischer Ver<strong>ein</strong>e und die<br />

Rigorosität <strong>der</strong> Demokratie mit ihren For<strong>der</strong>ungen nahm ab.<br />

Hieß es im Dezember 1989 noch:<br />

Zitatorin:<br />

... wie <strong>ein</strong>e fette große Heuschrecke schiebt sich <strong>der</strong> Bagger durch unsere<br />

Heimat und verschlingt alles, worunter Kohle liegt ...<br />

Sprecher:<br />

umschreibt <strong>der</strong> heutige <strong>Domowina</strong>-Vorsitzende das so:<br />

O-Ton Statnik:<br />

Als <strong>Domowina</strong> stehen wir weiter zu unserer Grundaussage, dass wir im Grunde<br />

erst <strong>ein</strong>mal gegen die Abbaggerung sorbischen Bodens sind. Denn damit<br />

gefährden wir natürlich die sorbische Existenz, damit gefährden wir erst <strong>ein</strong>mal<br />

die sorbische Substanz. Nun ist diese Diskussion aber nicht auf diese <strong>ein</strong>fache<br />

Weise zu lösen. Denn hinter <strong>der</strong> Braunkohle steht natürlich <strong>ein</strong> ganz großes<br />

Interesse, steht <strong>ein</strong> wirtschaftliches Interesse dahinter. Braunkohle heißt nicht<br />

nur Verlust, Braunkohle heißt auch Infrastruktur, Braunkohle heißt auch Arbeit.<br />

Daher haben wir uns als <strong>Domowina</strong> dazu entschlossen, diesen Satz: Wir sind<br />

gegen Braunkohle, fortzuführen, aber wenn es die Region, wenn es die<br />

betroffenen Menschen wünschen o<strong>der</strong> wenn es <strong>der</strong> Entschluss ist, dass<br />

abgebaggert wird, möchten wir das Maximale für die Sprache rausholen. Ich<br />

denke das ist <strong>ein</strong>e sehr intelligente Lösung.<br />

Zitatorin:<br />

Erst die Fremde lehrt uns, was wir an <strong>der</strong> Heimat besitzen.<br />

Sprecher:<br />

heißt es beim durchs Sorbenland "gewan<strong>der</strong>ten" Theodor Fontane. Heimat ist<br />

auch und gerade Sprache. Heute sorgen <strong>der</strong> Mitteldeutsche Rundfunk und <strong>der</strong><br />

Rundfunk Berlin Brandenburg dafür; dass über die Tagebaue hinweg zu den<br />

23


Umgesiedelten in ihr fremdes Zuhause mit <strong>der</strong> sorbischen Sprache <strong>ein</strong><br />

Stückchen Heimat dringt. Aus dem Studio Bautzen von <strong>MDR</strong> 1 Radio Sachsen<br />

kommt täglich <strong>ein</strong> Frühprogramm in sorbischer Sprache, und die sorbische<br />

Jugendsendung ist nach dem Flüsschen Satkula benannt.<br />

<strong>Die</strong> Tradition <strong>ein</strong>es sorbischen Programms im Mitteldeutschen Rundfunk reicht<br />

bis ins Jahr 1927 zurück, als die MIRAG - die Mitteldeutsche Rundfunk<br />

Aktiengesellschaft - im Februar den Komponisten Bjarnat Krawc vorstellte und<br />

s<strong>ein</strong>e Lie<strong>der</strong> aufführte.<br />

Atmo: Radio<br />

Liebe Hörerinnen und Hörer, es ist sehr angenehm daran zu denken, dass<br />

unsere sorbische Redaktion heute schon ihren 10. Jahrestag feiern kann. Es<br />

ersch<strong>ein</strong>t uns heute selbstverständlich, dass unsere sorbischen Bürger durch<br />

unseren Rundfunk die Sendungen in sorbischer Sprache hören können, wir<br />

können uns etwas an<strong>der</strong>es kaum mehr vorstellen. Und doch war es <strong>ein</strong>mal<br />

an<strong>der</strong>s.<br />

…() Und unsere sorbische Redaktion bemüht sich, die Kontakte zwischen<br />

Hörern und Redaktion noch lebendiger zu machen. So möchte ich den 10.<br />

Jahrestag <strong>der</strong> sorbischen Redaktion zum Anlass nehmen, den Redakteuren<br />

alles Gute zu Wünschen.<br />

Sprecher:<br />

Mit <strong>der</strong> "Wende" sind auch die sorbischen Sendungen vom ideologischen<br />

Ballast befreit. Berichtet wird über alle Bereiche des sorbischen Lebens vom<br />

Theater über das Nationalensemble bis hin zu den Aktivitäten <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong><br />

und den Neuersch<strong>ein</strong>ungen des <strong>Domowina</strong>-Verlages.<br />

<strong>Die</strong> finanziellen Mittel <strong>der</strong> Sorben verwaltet im neuen Vaterland die "Stiftung für<br />

das sorbische Volk", Zuwendungsgeber sind <strong>der</strong> Bund und die Län<strong>der</strong> Sachsen<br />

und Brandenburg.<br />

O-Ton Maria Matschie:<br />

Ich würde sagen, dass die allermeisten Sorben froh sind, dass die Wende<br />

gekommen ist, dass sie jetzt auch frei von ideologischen Zwängen leben<br />

können. Das ist im Verlag natürlich auch ganz wichtig. Nach <strong>der</strong> Wende<br />

24


wurden auch die sorbischen Strukturen und die Finanzierung <strong>der</strong> sorbischen<br />

Institutionen neu geordnet. Ich denke das Modell, was mit <strong>der</strong> "Stiftung für das<br />

sorbische Volk" gefunden wurde, ist in Ordnung. Aber es krankt an <strong>ein</strong>er ganz<br />

entscheidenden Sache, dass über Jahre und Jahrzehnte die Finanzierung über<br />

die Stiftung mehr o<strong>der</strong> weniger gleich geblieben ist, dass nur ganz am Anfang<br />

<strong>ein</strong>e Summe von 40 Millionen DM, also 20 Millionen Euro, zur Verfügung stand.<br />

Von dieser Summe träumen wir heute.<br />

Sprecher:<br />

Immer wie<strong>der</strong> wird <strong>der</strong> Vergleich mit dem Cottbuser Staatstheater<br />

herangezogen, das als EINE deutsche Kultur<strong>ein</strong>richtung etwa so viele<br />

För<strong>der</strong>mittel bekommt wie das GESAMTE sorbische Volk, nämlich knappe 17<br />

Millionen Euro.<br />

Größere politische Einflussmöglichkeit und damit natürlich auch Mitsprache bei<br />

finanziellen Entscheidungen <strong>der</strong> Parlamente sehen manche Sorben in <strong>ein</strong>er<br />

direkten parlamentarischen Vertretung, etwa durch <strong>ein</strong>e Partei o<strong>der</strong> die<br />

Umwandlung <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> in <strong>ein</strong>e an<strong>der</strong>e Rechtsform. Bisher sind die<br />

sorbischen Abgeordneten Vertreter <strong>der</strong> jeweiligen Partei und nicht <strong>der</strong> Sorben.<br />

Eine Partei ist gegründet, aber praktisch bedeutungslos, und <strong>der</strong> Vorstand <strong>der</strong><br />

<strong>Domowina</strong> hat die Umwandlung abgelehnt. <strong>Die</strong> Diskussion darüber unter<br />

Mitglie<strong>der</strong>n und Nichtmitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> bleibt.<br />

O-Ton Jürgen Matschie:<br />

K<strong>ein</strong>er hat <strong>ein</strong>e Vision, wie‘s weitergeht. <strong>Die</strong> Probleme, die da sind, werden<br />

eigentlich ignoriert. Man kämpft um das Geld. Für mich wäre, was sicherlich<br />

nicht populär ist, für mich wäre <strong>ein</strong>e Möglichkeit, die <strong>Domowina</strong><br />

zurückzustutzen auf das, was sie ist, <strong>ein</strong> Ver<strong>ein</strong>, <strong>der</strong> eigentlich nur berechtigt ist,<br />

das Geld auszugeben, was auch da ist. Dann würde sozusagen <strong>der</strong> Wille <strong>der</strong><br />

Mitglie<strong>der</strong> auch repräsentiert werden.<br />

Sprecher:<br />

Jürgen Matschie ist Fotograf. "Doma" – "Zu Hause", heißt <strong>ein</strong>es s<strong>ein</strong>er Bücher<br />

mit Fotografien aus <strong>der</strong> Lausitz und "Brunica - Leben mit <strong>der</strong> Kohle" <strong>ein</strong><br />

an<strong>der</strong>es. S<strong>ein</strong>e Bil<strong>der</strong> erzählen <strong>Geschichte</strong>n vom sorbischen Dorfleben über<br />

25


viele Jahre. Er ist in <strong>ein</strong>em "gemischtsprachigen" Elternhaus aufgewachsen.<br />

Der sorbisch sprachige Vater war meistens in Bautzen arbeiten und die Mutter<br />

sprach deutsch.<br />

O-Ton Jürgen Matschie:<br />

Nach dem Krieg ist die jüngere Generation im Prinzip im Deutschen<br />

aufgewachsen. Für mich war selbstverständlich, dass man <strong>ein</strong>en Teil von<br />

Gesprächen von <strong>der</strong> Familie nicht verstand. Das war k<strong>ein</strong> Problem eigentlich,<br />

das war nicht alles für uns bestimmt. Das war so.<br />

Schlimmer war, wenn man in <strong>ein</strong>en an<strong>der</strong>en Haushalt geschickt wurde und die<br />

wussten, das ist <strong>der</strong> und <strong>der</strong> und die <strong>ein</strong>en sorbisch ansprachen und man nicht<br />

wusste, was die wollten. Da hat man sich dann geschämt. (lacht)<br />

Auch jetzt am Tisch, wenn die Kin<strong>der</strong> kommen, die Frau redet mit den Kin<strong>der</strong>n<br />

Sorbisch und ich Deutsch. Wenn ich 80 Prozent verstehe, ist das sozusagen<br />

gut. Von Kindheit an bin ich ja gewohnt, dass manches an mir vorbeigeht.<br />

Wobei ich ja im Deutschen ja auch nicht alles verstehe. (lacht)<br />

Sprecher:<br />

Wird <strong>ein</strong> Volk s<strong>ein</strong>er Sprache beraubt, verliert es s<strong>ein</strong>e Kultur und schließlich<br />

sich selbst. Sprache braucht jedoch <strong>ein</strong>en Ort, an dem sie gehegt und gepflegt<br />

wird, damit sie auch mit dem Lauf <strong>der</strong> Zeit mithalten kann.<br />

Atmo:<br />

Maibaum<br />

Sprecher:<br />

Inmitten von Leipzig wird in <strong>der</strong> Walpurgisnacht <strong>ein</strong>e alte sorbische Tradition<br />

gepflegt. Studenten heben hinter dem Plattenbau ihres Internats <strong>ein</strong>e Grube für<br />

den Maibaum aus. Sie studieren am 1951 gegründeten Institut für Sorabistik.<br />

Sie haben den Brauch beim Umzug vom ältesten sorbischen Internat in den<br />

anonymen Plattenbau mitgenommen. Auch Leipzig hat sorbische Traditionen.<br />

Der Stadtname entwickelte sich aus <strong>der</strong> alten sorbischen Siedlung Lipsk,<br />

abgeleitet ist dieser Name vom sorbischen "lipa", was Linde bedeutet - jene<br />

Linde, die stark verwurzelt das Symbol <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> ist. Und im Jahr 1716<br />

26


gründeten Theologen die "Wendische Priestergesellschaft"; die später als<br />

"Sorabia" Einlass in die Sektionen <strong>der</strong> Universität fand.<br />

Atmo: Maibaumaufstellen, Akkordeonspieler<br />

Sprecher:<br />

Der Maibaum wird herangetragen. Allen voran bahnt sich <strong>ein</strong> Akkordeonspieler<br />

den Weg. Nicht so <strong>ein</strong>fach ist das Aufstellen, es bedarf <strong>ein</strong>iger Erfahrung,<br />

Geschick und Muskelkraft. Tanzend werden die bunten Bän<strong>der</strong> um den Stamm<br />

gewickelt.<br />

Atmo: Maibaumaufstellen<br />

(Maibaum aufstellen<br />

Maibaum steht: Ah! Oh! Klatschen, Pfiffe<br />

Bän<strong>der</strong> werden um den Maibaum gewickelt: Singen,<br />

Am Ende: St<strong>ein</strong>e festklopfen)<br />

Sprecher:<br />

Sorabistik ist die Lehre von <strong>der</strong> Sprache, Kultur, Literatur und <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong><br />

Lausitzer Sorben. <strong>Die</strong>se universitäre Beachtung ist <strong>ein</strong>e große Errungenschaft<br />

für das kl<strong>ein</strong>e Volk. Aber nicht nur für die Forschung ist das Institut wichtig,<br />

auch für den praktischen Erhalt <strong>der</strong> Sprache, da es die <strong>ein</strong>zige<br />

Ausbildungsstätte für das Lehramt Sorbisch ist.<br />

O-Ton Tobias Geis:<br />

Ich muss lei<strong>der</strong> halt schon sagen, dass die Ausbildung am Institut, wenn ich<br />

jetzt sehe, was konkret an <strong>der</strong> Schule gefor<strong>der</strong>t wird, dass man da eigentlich<br />

eher schlecht vorbereitet wird. Es wird auf Sprachwissenschaft großen Wert<br />

gelegt, auf <strong>ein</strong>em Niveau, wo <strong>ein</strong> Normalsterblicher maximal <strong>ein</strong>en sehr<br />

geringen Nutzen davon hat.<br />

27


Sprecher:<br />

Tobias Geis ist <strong>ein</strong>er <strong>der</strong> Studenten des Instituts für Sorabistik. Er absolviert<br />

gerade s<strong>ein</strong> Referendariat am Nie<strong>der</strong>sorbischen Gymnasium in Cottbus für die<br />

Fächer Nie<strong>der</strong>sorbisch und Englisch.<br />

O-Ton Tobias Geis:<br />

<strong>Die</strong> obersorbischen Studenten sind meist Muttersprachler und die aus <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lausitz sind alles Leute, die das als Zweit- o<strong>der</strong> Fremdsprache gelernt<br />

haben.<br />

Also das ist schon <strong>ein</strong> großer Unterschied. Ich würde das mit Nie<strong>der</strong>ländisch<br />

und Deutsch vergleichen und in <strong>der</strong> Unterrichtspraxis gibt es kaum<br />

Unterschiede, weil es so ist, dass die Anzahl <strong>der</strong> obersorbischen Studenten<br />

höher ist. Sieht dann so aus, dass meist in Obersorbisch unterrichtet wird und<br />

für die Nie<strong>der</strong>sorben sieht es dann so aus: friss o<strong>der</strong> stirb.<br />

Das ist sozusagen die Min<strong>der</strong>heit in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit. Und das wird auch vom<br />

Leipziger Institut für Sorabistik nicht wirklich berücksichtigt, nicht angemessen<br />

berücksichtigt.<br />

Sprecher:<br />

Verschönern die Sprachwissenschaftler das Dach <strong>ein</strong>es maroden Hauses<br />

anstatt für <strong>ein</strong> solides Fundament zu sorgen? Bei <strong>ein</strong>er Befragung Bautzener<br />

Schüler verlangten fast zwei Drittel, dass Sorben im Beis<strong>ein</strong> Deutscher deutsch<br />

reden. Reden die Sorben unter<strong>ein</strong>an<strong>der</strong> Sorbisch, wird das akzeptiert. Man<br />

kommt nicht zu<strong>ein</strong>an<strong>der</strong> über die sprachliche Grenze.<br />

Im öffentlichen Bild werden deutsch-sorbische Konflikte gern vermieden. In<br />

<strong>ein</strong>em Son<strong>der</strong>heft von 2011, <strong>der</strong> Zeitschrift für sorbische Sprache und Kultur<br />

Lětopis", berichtet Cordula Ratajczak, die auch die Schülerbefragungen<br />

durchführte, wie ihr als Redakteurin und Mo<strong>der</strong>atorin <strong>ein</strong>es regionalen<br />

Fernsehsen<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Oberlausitz im deutschen Programm sorbische Worte,<br />

selbst <strong>ein</strong>fache Grußformeln, verboten wurden. Aufgrund zahlreicher<br />

Beschwerden sei das dem Zuschauer nicht zumutbar.<br />

Atmo: Hexenbrennen<br />

28


Wir haben uns heute hier versammelt, um dich, du hässliche Hexe, zu<br />

verurteilen und zu verbrennen<br />

(sorbisch)<br />

Du grausame Hexe hast das ganze Jahr über uns armen Studenten den<br />

Gesandten <strong>der</strong> GEZ auf den Hals gehetzt. Je<strong>der</strong> zweite von uns ist in ihre<br />

listigen Fallen getappt. Brenne, du Lu<strong>der</strong>!<br />

Du dummes Hexenweib, du hast im Winter unsere Heizkörper verhext, statt<br />

wolliger Wärme gab’s klirrende Kälte. Nur wegen dir, du hässlich Hexe …<br />

… auf Grund dieser bösen Taten, die du begangen hast verurteilen wir dich<br />

zum Tode! (sorbisch)<br />

Sprecher:<br />

Eine "Hexe" kommt ins Spiel. Aus Holz gezimmert und mit alten Sachen<br />

behangen, verkörpert sie das Böse. Das, so <strong>der</strong> Brauch, wird mit ihr auf dem<br />

Hexenfeuer verbrannt. Aber so <strong>ein</strong>fach lässt sich das Böse nicht besiegen.<br />

Kurz vor dem Anzünden kommt <strong>ein</strong> Anruf <strong>der</strong> Feuerwehr. <strong>Die</strong><br />

Waldbrandwarnstufe wurde heraufgesetzt, das offene Feuer verboten. Siegt<br />

Vorschrift über Tradition?<br />

Atmo: Hexenbrennen<br />

(So frage ich euch das Volk soll diese Hexe verbrannt werden, auf dass ihre<br />

Untaten aufhören?<br />

(Lärm)<br />

Aber die Hexe hat noch <strong>ein</strong>en allerletzten Streich begangen, sie ist im<br />

Ordnungsamt vorbei geflogen und hat die Waldbrandstufe drei ausgerufen.<br />

Deshalb. Zerhackt sie!)<br />

(Zerhacken <strong>der</strong> Hexe)<br />

Sprecher:<br />

<strong>Die</strong> Stadt Forst wehrt sich, ins sorbische Siedlungsgebiet aufgenommen zu<br />

werden, aus Kostengründen für die dann vorgeschriebenen zweisprachigen<br />

Schil<strong>der</strong>. Auch die Friesen haben <strong>ein</strong>e zweisprachige Beschil<strong>der</strong>ung<br />

durchgesetzt. <strong>Die</strong>se Zweisprachigkeit ist mehr als <strong>ein</strong>e Spielerei, sie ist <strong>ein</strong><br />

29


Spiegelbild des Nationalbewussts<strong>ein</strong>s. So ist es nicht verwun<strong>der</strong>lich, wenn über<br />

Nacht auf <strong>ein</strong>sprachig deutschen Schil<strong>der</strong>n <strong>ein</strong> anonymer Aufkleber die<br />

bohrende Frage stellt: A serbsce? Und auf sorbisch?<br />

O-Ton Maria Matschie:<br />

Sorbisch ist in Sachsen Amtssprache. Man kann hier auch aufs Gericht gehen<br />

und verlangen, dass die Verhandlung in Sorbisch geführt wird. Das gab‘s<br />

durchaus, es werden dann amtlich bestellte Dolmetscher mit herangezogen<br />

und es wird dann ins Deutsche übersetzt.<br />

Lei<strong>der</strong> wird das zu wenig gemacht. <strong>Die</strong> Wertschätzung des Sorbischen würde<br />

auch steigen, wenn nicht, sobald man so etwas macht, nicht wie<strong>der</strong> <strong>ein</strong><br />

Geschrei anfangen würde: Warum macht ihr denn das, ihr könnt doch alle<br />

deutsch.<br />

Aber wir wollen in unserer Muttersprache auch schreiben und sprechen und<br />

uns öffentlich verständigen.<br />

Sprecher:<br />

Statistisch haben 30 Prozent <strong>der</strong> Deutschen durch ihre Vorfahren slawisches<br />

Blut in den A<strong>der</strong>n und fühlen sich dennoch urdeutsch. Und mancher "Ursorbe"<br />

hat deutsche Wurzeln und mancher Kronprinz, König und neureiche<br />

Bürgerliche hat das Sorbische mit <strong>der</strong> Muttermilch bekommen: Seit 1750 <strong>ein</strong>e<br />

Sorbin als Amme das Kind <strong>ein</strong>er stillunfähigen Gräfin am Dresdner Hof rettete,<br />

nahmen die Wettiner sorbische Ammen, und bei den reichen Berlinern waren<br />

die Wendinnen aus dem Spreewald als Ammen und Kin<strong>der</strong>mädchen beliebt.<br />

So findet man auf historischen Fotografien Wendinnen in Tracht<br />

kin<strong>der</strong>wagenschiebend unter den Linden.<br />

Zitatorin:<br />

Trotz aller Konservierungsmittel weicht die dem Aussterben geweihte<br />

wendische Nationalität beständig vor dem Deutschtum zurück und wird binnen<br />

kurzer Zeit gänzlich verschwunden s<strong>ein</strong>, obwohl die "Slawischen Blätter" sich<br />

angelegentlichst um die Nie<strong>der</strong>lausitzer Stammesgenossen kümmern, worüber<br />

die wendischen Bauern sich sehr wun<strong>der</strong>n werden, sollten sie <strong>ein</strong>mal davon<br />

hören.<br />

30


Sprecher:<br />

<strong>Die</strong>se Prophezeiung Franz Maurers ist 150 Jahre her. Noch ist sie nicht<br />

Wirklichkeit, wenn auch die Gefahr nicht gebannt ist.<br />

O-Ton Schurmann:<br />

Nach <strong>der</strong> Sprachenkarte ist das Nie<strong>der</strong>sorbische <strong>ein</strong>e <strong>der</strong> gefährdetsten<br />

Kl<strong>ein</strong>sprachen in Europa.<br />

Zitatorin:<br />

Ich bin als Sorbe in <strong>der</strong> DDR geboren. Mit vielleicht fünf Jahren habe ich<br />

Deutsch gelernt. Vorher wurde in unserer Familie nur sorbisch gesprochen, in<br />

<strong>der</strong> Nachbarschaft auch.<br />

Sprecher:<br />

Der das von sich sagt, ist Jahrgang 1959, heißt Stanislaw Tillich und ist<br />

Ministerpräsident des Freistaates Sachsen. Das "So wahr mir Gott helfe" bei<br />

s<strong>ein</strong>er Vereidigung sprach er sorbisch.<br />

O-Ton Statnik:<br />

Er ist praktisch Nachbar. Man kennt ihn auch vor s<strong>ein</strong>er hohen Funktion. Er<br />

kann gerade nicht etwas Beson<strong>der</strong>es für die Sorben machen, denn er ist<br />

Ministerpräsident aller. Der Herr Ministerpräsident hat es ermöglicht fünfmal in<br />

<strong>der</strong> Lausitz zu s<strong>ein</strong>. Im persönlichen Gespräch hat er mir gesagt: Es fällt ihm<br />

schwer, mit mir deutsch zu sprechen. Ob er Mitglied <strong>der</strong> <strong>Domowina</strong> ist, weiß ich<br />

nicht. Kann s<strong>ein</strong>, dass er in <strong>der</strong> Ortsgruppe Panschwitz-Kuckau unterwegs ist,<br />

wenn nicht, hat er <strong>ein</strong>en Grund beizutreten.<br />

Sprecher o<strong>der</strong> historische Aufnahme in Sorbisch<br />

O, dass jedes <strong>Sorbenherz</strong> <strong>ein</strong> Fels doch<br />

wäre, standhaft in <strong>der</strong> fremden Flut,<br />

jede Hand <strong>ein</strong> Schild und Liebe je<strong>der</strong><br />

Atemzug, und unser bleibt was unser<br />

sei, das Land, das Leben und das Lied.<br />

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Geist des Volkes aber, <strong>der</strong> die Glie<strong>der</strong>,<br />

die versprengten alle, heiß mit Leben<br />

füllen muss, sie stärkend und ver<strong>ein</strong>end:<br />

Liebe nennt den Namen, heißt ihn Treue<br />

Zu <strong>der</strong> Vätersprache, ihrer Erde.<br />

Glaub auch du, m<strong>ein</strong> Freund: wir bleiben Sorben!<br />

Absage<br />

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