4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Ha- bilitations
4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Ha- bilitations
4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Ha- bilitations
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
DISSERTATIONEN UND HABILITATIONEN DISSERTATIONS AND HABILITATIONS<br />
hinwegtäuschen. Das Ergebnis des Statebuilding, ein<br />
liberaler Staat mit konkurrenzdemokratischen Verfahren<br />
<strong>und</strong> marktwirtschaftlicher Ausrichtung, ist vorgegeben,<br />
die Selbstverfügung afghanischer Akteure war<br />
damit negiert. Aufgr<strong>und</strong> der Angst, dass ein Staat die<br />
‚falsche’ Entwicklungsrichtung nimmt, wird er so<br />
erstaunlicherweise depolitisiert. Die ethnische Quotierung<br />
trug dazu bei <strong>und</strong> verschärfte die ohnehin stark<br />
ethnisierten Konfliktlinien in Afghanistan.<br />
Obendrein wurden so die wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen<br />
Beziehungen vernachlässigt, die sich im Staat<br />
abbilden: Wie wirtschaftliche Fortschritte verteilt<br />
werden, ist ausschlaggebend dafür, welche Bevölkerungsgruppen<br />
sich politisch engagieren können. Indem<br />
die Intervention aber marktliberaler Ideologie folgt,<br />
begünstigt sie wachsende ökonomische Ungleichheit –<br />
<strong>und</strong> dadurch neben politischen <strong>und</strong> religiösen neue<br />
soziale Konfliktlinien. Das zentrale Ziel des Statebuilding,<br />
die Gewalt im Staat zu monopolisieren, ist<br />
schließlich nicht zu erreichen, wenn externes Militär<br />
diese Monopolisierung forcieren soll. Dem Gewaltmonopol<br />
fehlt es immer an Legitimität, wenn es extern<br />
abgesichert werden muss, weil ihm die ideelle Zustimmung<br />
ebenso abgeht wie eine wirksame Durchsetzung.<br />
Woher kommen die gedanklichen Gr<strong>und</strong>lagen, auf<br />
denen diese Form der Intervention basiert? Diese<br />
Arbeit schlüsselt die Konzepte der Sicherheit <strong>und</strong> der<br />
Entwicklung auf. Die Politik des Statebuilding, wie sie<br />
heute in so unterschiedlichen Regionen wie dem Balkan,<br />
in Afrika, aber eben auch in Afghanistan oder<br />
dem Irak betrieben wird, beruht demnach auf einer<br />
fixen Vorstellung vom Staat. Dieser wird als universelle<br />
Form gesellschaftlicher Organisation betrachtet,<br />
ohne seine historische Genese oder die Tatsache zu<br />
beachten, dass die ‚Durchstaatlichung’ der Welt durch<br />
den kolonialen Export dieser Herrschaftsform erst<br />
entst<strong>and</strong>. Der Staat wird zum alleinigen Sicherheitsgaranten<br />
hypostasiert, <strong>and</strong>ere Herrschaftsmodi gelten als<br />
konkurrierend <strong>und</strong> damit gefährlich. Auch für Entwicklung<br />
ist der Staat von zentraler Bedeutung für die<br />
Verregelung wirtschaftlichen H<strong>and</strong>elns. Während<br />
Entwicklung im Kern mit Wachstum gleichgesetzt<br />
wird, bleiben soziale Funk<strong>tionen</strong> wie etwa Bildung,<br />
Ges<strong>und</strong>heitsversorgung etc., die sich aus dem Wachstum<br />
ergeben, nachgeordnet. Im zeitgenössischen<br />
(westlichen) Verständnis soll der Staat das Wachstum<br />
nicht behindern, also möglichst wenig eingreifen,<br />
gleichwohl soll er den (rechtlichen) Rahmen dafür<br />
vorgeben. Diese Merkmale sind Ausgangspunkt für<br />
ein analytisches Konzept, das für Afghanistan <strong>und</strong><br />
<strong>and</strong>ere Interventionsfälle anwendbar ist. Sicherheit<br />
wird darin als vom historischen Kontext abhängig <strong>und</strong><br />
im sozialen Austausch erst konstituiert begriffen,<br />
während Entwicklung als ‚sukzessive Reduktion existenzieller<br />
Risiken’ gefasst wird.<br />
Auf Afghanistan angewendet zeigt sich, dass Herrscher<br />
dort immer versuchen mussten, die extern vorausgesetzte<br />
Staatlichkeit nachholend zu konsolidieren.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der wirtschaftlich begrenzten internen<br />
58<br />
Fähigkeiten machten sie sich dafür die weltpolitische<br />
Rivalität des Britischen <strong>und</strong> des Zarenreichs, später<br />
zwischen den USA <strong>und</strong> der Sowjetunion zunutze. Dies<br />
prägte den Herrschaftsmodus, der regional unterschiedliche<br />
Formen indirekter Herrschaft aufwies, die<br />
meist nur temporär stabil waren. So waren die jeweiligen<br />
Machthaber immer nur so mächtig wie die Finanztöpfe<br />
groß waren, aus denen sie schöpfen konnten. Ein<br />
abstraktes Verständnis vom Staat, den zu erhalten ein<br />
von partikularen Interessen unabhängiges Ziel ist,<br />
entwickelte sich so nur ansatzweise. Die weltgesellschaftliche<br />
Einbettung von Politik bringt externe Faktoren<br />
in die lokale Konstellation ein <strong>und</strong> verwebt sie<br />
mit diesen – umgekehrt erlaubt die lokale Politik,<br />
externe Entwicklungen zu nutzen beziehungsweise sie<br />
politisch einzubinden. So war die Souveränität Afghanistans<br />
zwar garantiert, weil sie als internationale<br />
Rechtsnorm galt, gleichwohl waren die Türen für<br />
externe Einflussnahme weit geöffnet. Auch wenn die<br />
terroristischen Anschläge den Best<strong>and</strong> westlicher<br />
Staaten nicht gefährdeten, wurden die Taliban durch<br />
Securitization schnell zum wichtigsten Ziel im Kampf<br />
gegen den Terrorismus. Die langfristige ordnungspolitische<br />
Zielsetzung, einen Staat aufzubauen, der selbstständig<br />
für Sicherheit sorgen sollte, wurde sowohl für<br />
Sicherheit als auch Entwicklung zur gedanklichen<br />
Plattform. Legitimität sollten diesem Staat durch einen<br />
erkennbaren <strong>und</strong> weitreichenden Entwicklungsschub<br />
verschafft werden. Damit ging aber eine weitgreifende<br />
Modernisierung einher, die die gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse völlig neu zu strukturieren strebt. Sie<br />
produziert Gewinner <strong>und</strong> Verlierer, wobei die mit den<br />
Interventen kooperierenden Eliten gewinnen, während<br />
der größere Teil der Bevölkerung zunächst weder<br />
profitiert noch ideell am neuen Staat beteiligt ist.<br />
Dabei waren der Staat, aber auch seine externen militärischen<br />
Unterstützer, zunächst unfähig, Sicherheit<br />
für die Mehrheit herzustellen. Dies liegt vor allem an<br />
Allianzen der Intervention mit Gewaltunternehmern<br />
<strong>und</strong> lokalen Milizen, welche die aus den vorangegangenen<br />
Kriegen resultierende Fragmentierung aufrechterhielten.<br />
Der Sicherheitssektorreform fehlen deshalb<br />
wesentliche Merkmale, auch wenn mit sich verschlechternder<br />
Sicherheitssituation der Aufbau der<br />
afghanischen Nationalarmee (ANA) immer dringlicher<br />
vorangetrieben wurde. Deren Finanzierung auf Dauer<br />
ist jedoch ungeklärt.<br />
Die Frage ist offen, wie nachhaltig der Aufbau solcher<br />
abhängigen Strukturen, insbesondere in einem<br />
gut bewaffneten Gewaltmilieu, sein kann, wenn die<br />
Gelder zurückgehen werden. Die Rentenfinanzierung<br />
entkoppelt auch die zivile Administration von der<br />
Bevölkerung; die staatliche Elite verfolgt längst eigene<br />
Interessen. Die Durchdringung von Staat <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />
in Afghanistan historisch ohnehin nicht<br />
ausgeprägt, wird so dauerhaft verhindert. In einem<br />
komplementären Prozess hat sich eine Opiumrentiersgruppe<br />
gebildet, deren Interessen zumindest teilweise<br />
mit denen der Staatsklasse konvergieren <strong>und</strong> die<br />
deswegen punktuell kooperieren. Was im Westen als