Frei«-Berufler fürchten die Freiheit Kammerversammlung
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BERUFSSTäNDISCHES<br />
nenen Fotografen und Fernsehteams<br />
zu verbergen. Der Staatsanwalt wirft<br />
ihm vor, durch Fahrlässigkeit den Tod<br />
eines Menschen verursacht zu haben.<br />
Denn er habe für <strong>die</strong> Narkose in der<br />
Zeitzer Zahnarztpraxis unter Vernachlässigung<br />
seiner Sorgfaltspflicht ein<br />
Gerät benutzt, das für <strong>die</strong> maschinelle<br />
Beatmung eines Kleinkindes unzulässig<br />
und ungeeignet war. Todesursache:<br />
Hirntod nach protrahierter Reanimation<br />
mit Verdacht auf Komplikationen<br />
während der Narkose.<br />
Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage<br />
wegen fahrlässiger Tötung beim<br />
Amtsgericht. Dort sah man sogar Anhaltspunkte<br />
für eine Körperverletzung<br />
mit Todesfolge, ein wesentlich schwerwiegender<br />
Vorwurf mit erheblich höherem<br />
Strafmaß im Falle einer Verurteilung.<br />
Die Sicht des Anästhesisten<br />
Diesen Vorwurf jedoch nimmt der Beschuldigte,<br />
der sich zur Sache vorerst<br />
nicht äußert, nicht widerspruchslos<br />
hin. Über seine Verteidigung lässt er<br />
erklären, dass er den Tod des kleinen<br />
Hannes zutiefst bedauere. Ihm sei bewusst,<br />
dass alle, <strong>die</strong> nicht persönlich<br />
betroffen sind, das Leid der Eltern<br />
nicht ermessen können. »Als Facharzt<br />
für Anästhesie hat der Angeklagte in<br />
rund 30 Jahren zahlreiche operationen,<br />
auch operationen an Kindern,<br />
sorgfältig begleitet. Dabei ist es bis<br />
zum 14.01.2009 zu keinem einzigen<br />
Narkosezwischenfall gekommen«, so<br />
der Wortlaut der Erklärung.<br />
Mit der rechtlichen Verschärfung<br />
des Vorwurfs, sich bewusst über medizinische<br />
Standards hinweggesetzt zu<br />
haben, sei den Eltern des verstorbenen<br />
Kindes mutmaßlich wenig ge<strong>die</strong>nt. Ihnen<br />
sei nochmals versichert, dass er<br />
das Leben ihres Kindes unter gar keinen<br />
Umständen gefährden wollte.<br />
Dass er sich wegen Körperverletzung<br />
mit Todesfolge nun vor einem Schwurgericht<br />
zu verantworten habe, stelle<br />
ihn in der Eingangsinstanz auf eine<br />
Stufe mit Angeklagten, <strong>die</strong> des Totschlags<br />
oder des Mordes hinreichend<br />
verdächtig seien.<br />
Er weist es als unzulässige rechtli-<br />
672 · ZKN mitteiluNgeN · 11 | 2010<br />
che Konstruktion zurück, dass <strong>die</strong><br />
Staatsanwaltschaft <strong>die</strong> Einwilligung<br />
der Eltern in <strong>die</strong> Behandlung ihres Sohnes<br />
für unwirksam und damit den<br />
ärztlichen Heileingriff für eine vorsätzlich<br />
begangene rechtswidrige Körperverletzung<br />
hält, aus der sich das Risiko<br />
des Todes zwangsläufig entwickelt habe.<br />
»Richtig ist, dass bei Wegfall des<br />
Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung<br />
jeder ärztliche Heileingriff tatbestandlich<br />
eine – rechtswidrige – Körperverletzungshandlung<br />
darstellt.<br />
Diese ist jedoch nicht automatisch eine<br />
Vorsatztat«, erklärt <strong>die</strong> Verteidigerin<br />
für ihren Mandanten, und ergänzt,<br />
dass sich der Unfallfahrer, der unter<br />
bewusster – wenn auch geringer –<br />
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit<br />
ein Schulkind anfährt<br />
und tödlich verletzt, in der Regel wegen<br />
fahrlässiger Tötung verantworten<br />
müsse. »Die Rechtsprechung legt an<br />
den Arzt keine strengeren Maßstäbe<br />
an«, meint sie.<br />
Der Bericht der Mutter<br />
ob das Landgericht Halle dem folgen<br />
wird, bleibt abzuwarten.<br />
Zunächst er-<br />
»Die haben<br />
mich ausgelacht,<br />
weil ich so<br />
viel Angst<br />
hatte und<br />
ein ungutes<br />
Gefühl …«,<br />
sagt <strong>die</strong><br />
Mutter<br />
scheint zum ProzessauftaktHannes’<br />
Mutter als<br />
Zeugin im Gerichtssaal.<br />
Die<br />
46-Jährige ist<br />
von den Ereignissen,<br />
<strong>die</strong> bald<br />
zwei Jahre zurückliegen,psychisch<br />
noch immer<br />
schwer gezeichnet,<br />
macht<br />
aber insgesamt<br />
den Eindruck einer<br />
besorgten<br />
und bemühten<br />
Mutter, <strong>die</strong> beispielsweise<br />
keine<br />
der Pflichtuntersuchungen<br />
beim<br />
Kinderarzt versäumt<br />
hatte. Die seit dem Tod ihres<br />
Jüngsten arbeitsunfähige Frau erzählt,<br />
dass man sie im Kindergarten auf <strong>die</strong><br />
schwarzen Punkte an den Zähnen des<br />
Zweijährigen aufmerksam gemacht<br />
habe. Bei mehreren Visiten bei der<br />
Hauszahnärztin im Herbst 2008 wollte<br />
er jedoch den Mund nicht aufmachen.<br />
So habe sie eine Überweisung zu einem<br />
Zahnarzt-Kollegen in Zeitz bekommen,<br />
wo <strong>die</strong> Behandlung der kariösen<br />
Zähne unter Narkose erfolgen<br />
sollte. »Niemand hat mir abgeraten«,<br />
berichtet <strong>die</strong> Frau, und dass sie <strong>die</strong> Behandlung<br />
ihres Jungen lieber im Krankenhaus<br />
wollte. Dort war aber in absehbarer<br />
Zeit kein Termin frei. »Die haben<br />
mich ausgelacht, weil ich so viel<br />
Angst hatte und ein ungutes Gefühl …«,<br />
sagt sie nun.<br />
Nach Rücksprache mit ihrem Mann,<br />
der den Prozess als Nebenkläger verfolgt,<br />
hatten <strong>die</strong> Eltern dann zugestimmt,<br />
Hannes unter Narkose in der<br />
Praxis behandeln zu lassen. Ein Gespräch<br />
beim Anästhesisten fand statt,<br />
aber der vereinbarte Behandlungstermin<br />
am 17.12.2008 musste abgesagt<br />
werden, weil Hannes erkrankt war.<br />
Vier Wochen später war es dann soweit.<br />
In der Zahnarztpraxis wurde der<br />
Junge ins Behandlungszimmer geleitet,<br />
<strong>die</strong> Mutter blieb im Wartezimmer.<br />
Als <strong>die</strong> Praxismitarbeiterin später telefonisch<br />
Patienten umbestellte, habe<br />
sie gedacht: »Da stimmt doch was<br />
nicht!«, berichtet sie vor Gericht.<br />
Durch <strong>die</strong> Glastür zum Behandlungszimmer<br />
habe sie schemenhaft etwas<br />
gesehen, »als wenn der Zahnarzt<br />
eine Herzdruckmassage macht«. Doch<br />
erst viele Minuten später sei ein Notarzt<br />
gekommen …<br />
Bericht der Kinderärztin<br />
Hannes sei als Patient »relativ ängstlich«<br />
gewesen, erinnert sich anschließend<br />
im Zeugenstand <strong>die</strong> den Jungen<br />
von Geburt an betreuende Kinderärztin<br />
und bestätigt, dass dessen Zähne in<br />
einem »sehr schlechten Zustand« waren.<br />
Dass bei ihm eine Behandlung der<br />
Karies unter Narkose geplant war, habe<br />
sie gewusst und seine oP-Fähigkeit<br />
bescheinigt. Vom Gericht nach den<br />
Auswirkungen einer unbehandelten<br />
Karies aus kinderärztlicher Sicht be-