ahoi! norderney Magazin #28
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Roaring Twenties<br />
Norderney und das TV-Ereignis des Jahres<br />
Vor ein paar Jahren haben wir uns schon einmal mit der Renaissance der Serie beschäftigt<br />
und dem durch Streaming-Anbieter wie Sky oder Netflix befeuerten „Binge Watching“ Phänomen<br />
- dem förmlichen Verschlingen kompletter Serien-Staffeln in einem stundenlangen Medienmarathon.<br />
Damals standen bei uns wie auch bei den befragten Norderneyern kaum nationale<br />
Produktionen auf der Liste der Favoriten. Inzwischen gibt es eine Reihe grandioser<br />
deutscher Serien von internationalem Format - vom mitreißenden Kiez-Drama „4 Blocks“ bis<br />
zum gefeierten Mystery-Thriller „Dark“. Das TV-Ereignis des Jahres steht einem breiten Publikum<br />
noch bevor. Nach der Erstausstrahlung beim Bezahlsender Sky im vergangenen Jahr zeigt<br />
die ARD ab dem 30. September 2018 frei empfangbar die ersten 16 Folgen einer der besten<br />
deutschen Fernsehproduktionen aller Zeiten: „Babylon Berlin“.<br />
Inspiriert von Volker Kutschers Romanvorlage<br />
„Der nasse Fisch“ zeichnet „Babylon Berlin“ vor<br />
dem Hintergrund eines Kriminalfalls und damit<br />
verbundener politischer Verwicklungen ein<br />
- wie nie zuvor gesehen - überzeugend wirkendes<br />
Bild der Roaring Twenties, der Goldenen<br />
Zwanziger Jahre in Berlin. Für die mit einem<br />
Budget von etwa 40 Millionen Euro bislang teuerste<br />
deutsche Serienproduktion haben die Regisseure<br />
Achim von Borries, Henk Handloegten<br />
und Tom Tykwer die Atmosphäre der Weimarer<br />
Republik lebendig werden lassen - mit all ihren<br />
Spannungen. Das aufwändige Setting wirkt<br />
ebenso unverbraucht wie die Gesichter der<br />
Hauptdarsteller Liv Lisa Fries und Volker Bruch.<br />
In Nebenrollen erscheinen mit Akteuren wie<br />
Matthias Brandt oder Lars Eidinger die Crème de<br />
Crème der deutschen Schauspielzunft.<br />
Als Zuschauer von „Babylon Berlin“ und als<br />
Inselfan stellt man sich unwillkürlich vor, wie<br />
es auf Norderney zugegangen sein mag in den<br />
1920er Jahren. Das Kurtheater erhält zu dieser<br />
Zeit eine erste Filmvorrichtung. Die Deutsche<br />
Lufthansa startet einen Seebäder Flugdienst. Im<br />
Inselosten entsteht der 9-Loch-Dünengolfplatz<br />
und nach Aufgabe des Damenbadestrands<br />
herrscht am Wasser ein Miteinander von Männern<br />
und Frauen. Auf der Kaiserwiese wird<br />
Tennis gespielt und am Kurplatz eröffnet Europas<br />
erstes Meerwasser-Wellenschwimmbad.<br />
Mit der Tradition eines Königlichen Seebades<br />
reißt auch in der jungen Demokratie der Zustrom<br />
prominenter Feriengäste aus Politik und<br />
Gesellschaft nicht ab - wie zum Beispiel die<br />
Besuche des damaligen Außenministers und<br />
Friedensnobelpreisträgers Gustav Stresemann<br />
1924, 1925 und 1927 belegen. Ein Stück der<br />
Berliner Weltläufigkeit scheint offensichtlich<br />
auch auf Norderney spürbar gewesen zu sein.<br />
Die Ereignisse in „Babylon Berlin“ spielen 1929,<br />
noch vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise.<br />
Neben Pomp und Glamour und aller Freizügigkeit<br />
bleiben die Brüchigkeit der Gesellschaft<br />
und ihre schwelenden Konflikte unterschwellig<br />
jederzeit spürbar. Während in den Bars und<br />
Clubs noch Showtime angesagt ist, steht das<br />
Land vor dem Showdown in einer Phase historischer<br />
Weichenstellungen. In einem Interview<br />
mit der Zeit (www.zeit.de) spricht Regisseur<br />
Tom Tykwer von einem diffusen Gefühl der<br />
Bedrohung, das er darstellen wollte - und das<br />
er auch gegenwärtig wieder spüre. „Das Gefühl,<br />
dass die Demokratie angeschossen ist, dass sie<br />
humpelt.“ So gesehen bleibt „Babylon Berlin“<br />
nicht nur eine spannende und unterhaltsame<br />
Serie, sondern auch eine wichtige.<br />
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