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Berliner Kurier 08.11.2018

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*<br />

REPORT<br />

Von<br />

JULIA HAAK<br />

Wie wird Erinnerung<br />

weitergegeben?<br />

Der <strong>Berliner</strong><br />

Regisseur<br />

Rick Minnich wollte mehr darüber<br />

erfahren. Er hat einen<br />

Film über Martin Greenfield<br />

gedreht, der Auschwitz überlebte<br />

und später Schneider von<br />

Barack Obama wurde.<br />

Im Film ist Martin Greenfield<br />

erst mal ein netter älterer Herr<br />

in einem guten Anzug. Er hält<br />

ein Maßband in der Hand und<br />

zeigt seine Werkstatt. An seinem<br />

90. Geburtstag im vergangenen<br />

August steht er dann<br />

zwischen lauter bekannten<br />

Menschen in einem noblen<br />

New Yorker Club. Colin Powell,<br />

der ehemalige amerikanische<br />

Außenminister, hält eine<br />

Rede, und Michael Bloomberg,<br />

früher New Yorks Bürgermeister<br />

und in zwei Jahren möglicherweise<br />

demokratischer<br />

Kandidat für die amerikanische<br />

Präsidentschaft, gratuliert<br />

Martin Greenfield. Es gibt<br />

auch eine Sequenz, die Greenfield<br />

und seine Frau vor dem<br />

Weißen Haus zeigt, als sie dort<br />

eingeladen sind.<br />

Martin Greenfield ist nicht irgendwer.<br />

Er ist Barack Obamas<br />

Schneider und der anderer US-<br />

Präsidenten vor ihm. Greenfield<br />

ist Teil der US-amerikanischen<br />

Elite.<br />

Im selben Film spielt auch die<br />

Rampe des Vernichtungslagers<br />

in Auschwitz eine<br />

Rolle. Es fällt<br />

Auch der frühereUS-<br />

Präsident Barack Obama<br />

nahm die Dienste von<br />

Greenfield in Anspruch.<br />

schwer, sich den alten Herrn<br />

an diesem Ort vorzustellen –<br />

ein jüdischer Junge, 1944, im<br />

Alter von 15 Jahren. Aber genau<br />

dort, auf der Rampe, war<br />

Martin Greenfield zu jener<br />

Zeit. Er hat diesen Ort überlebt,<br />

genauso wie den Todesmarsch<br />

nach Gleiwitz (heute Gliwice)<br />

und das Konzentrationslager<br />

in Buchenwald.<br />

Das reicht schon. Mehr Bilder<br />

braucht man nicht, um zu<br />

sehen, wie weit der Weg eines<br />

Menschen sein kann.<br />

80 Jahre sind seit den Novemberpogromen<br />

von 1938<br />

vergangen. In Berlin wird es in<br />

dieser Woche Gedenkveranstaltungen<br />

im Abgeordnetenhaus<br />

und auf dem Gelände der<br />

Topographie des Terrors geben.<br />

Am Denkmal für die ermordeten<br />

Juden Europas werden<br />

die Namen der 55696 ermordeten<br />

<strong>Berliner</strong> Juden verlesen.<br />

Und der Mitteldeutsche<br />

Rundfunk zeigt am Donnerstag<br />

einen Film über Martin Greenfield.<br />

„Der Schneider der Präsidenten“<br />

– so heißt dieser Film.<br />

Rick Minnich, 50 Jahre alt,<br />

Deutsch-Amerikaner aus Berlin,<br />

hat ihn gemacht. In seiner<br />

Wohnung in Prenzlauer Berg<br />

sieht es nach Familienleben<br />

aus. Überall stehen Regale mit<br />

Kisten und Kästen, in denen<br />

die Familie ihre Habseligkeiten<br />

verstaut hat. Rick Minnich<br />

hat fünf Kinder, zum Teil sind<br />

sie erwachsen und ausgezogen.<br />

Aber der Platz ist noch immer<br />

beengt. Seinen Arbeitsplatz hat<br />

Minnich im Schlafzimmer,<br />

dort sitzt ter oft voreinem gro-<br />

ßen Bildschirm<br />

und sieht<br />

seine Fotos durch.<br />

Auch die<br />

Greenfielderauf<br />

seinem<br />

Fotos hat Rechner im Schlafzimmer.<br />

Die meisten<br />

sind indiesem Som-<br />

als<br />

mer entstanden,<br />

er mit<br />

Martin<br />

Greenfields<br />

Sohn<br />

und dessen Kinquer<br />

durch<br />

dern<br />

Europa<br />

nach den<br />

Spuren des Vaters<br />

und Großvaters<br />

gesucht<br />

hat. Rick Minnich<br />

klickt durch die Bilder auf<br />

seinemBildschirm.„Hier ist<br />

Jay, Martins Sohn, in Budader<br />

Ankunft.<br />

pest, gleich nach<br />

Hier ist das Viertel mit der Sy-<br />

wir nicht<br />

nagoge, indie sind<br />

reingekommen. Dies sind die<br />

Bilder aus der Ukraine, wo<br />

Martin geborenwurde–in<br />

einem Dorfmit dem Namen<br />

Pavlovo. Und<br />

hier<br />

sind wir in<br />

Regisseur Rick Minnichhat einen Film über den<br />

Präsidenten-SchneiderMartinGreenfield gedreht<br />

Auschwitz und in Weimar“, sagt<br />

Rick Minnich.<br />

Mit den Fotos hat er die Reise<br />

und die Dreharbeiten dokumentiert.<br />

Auch wenn dies noch<br />

kein Film ist, der eine Geschichte<br />

erzählt: Man begreift<br />

beim Durchsehen der Fotos sofort,<br />

was die Porträtierten auf<br />

den Bildern gerade tun.<br />

Maße<br />

eines<br />

Lebens<br />

Viele Nachkommen von Holocaust-Überlebenden<br />

machen<br />

sich auf eine Spurensuche in<br />

Europa. Das ist seit Jahrzehnten<br />

so. Jede Generation interessiert<br />

sich von Neuem. Die<br />

Menschen wollen wissen, wo<br />

ihre Familien herkommen, wo<br />

ihr Ursprung ist. Sie wollen<br />

verstehen, was ihren Vätern,<br />

Müttern, Großeltern passiert<br />

ist, warum sie so sind, wie sie<br />

sind. In vielen Familien<br />

schweigen die Überlebenden<br />

allerdings. Sie erzählen ihren<br />

Kindern und Enkeln nicht viel<br />

über das Grauen, das sie erlebten.<br />

So war es auch bei den<br />

Greenfields. Der Vater hatte<br />

hin und wieder Albträume.

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