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Berliner Kurier 22.11.2018

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34 PANORAMA BERLINER KURIER, Donnerstag, 22. November 2018*<br />

Hundertfacher Mord an Patienten<br />

Der Killer<br />

Er sitzt bereits lebenslang<br />

in Haft,nun steht Niels<br />

Högel wieder vorGericht:<br />

Er soll 100 Menschen<br />

umgebracht haben.<br />

ekeltsich vor<br />

sichselbst<br />

Todespfleger Niels Högel spricht ausführlich über seine Taten, kann sich aber nicht an alle erinnern<br />

Fotos: Getty,dpa<br />

Oldenburg – Wieder fanden<br />

sich weit über 100 Menschen in<br />

der Oldenburger Kongresshalle<br />

ein, in die das Landgericht die<br />

Verhandlung gegen den Todespfleger<br />

Niels Högel aus Platzgründenverlagert<br />

hatte. 100 Patientensoll<br />

der ehemalige Krankenpfleger<br />

zwischen Februar<br />

2000 und Juli 2005 umgebracht<br />

haben. Nun kam heraus: Die<br />

Dunkelziffer könnte sogar noch<br />

höher liegen.<br />

„Ich habe keine Erinnerung<br />

daran, dass ich eine Pause gemacht<br />

hätte“, sagte Högel. Zwischen<br />

den Taten, die ihm vorgeworfen<br />

werden,liegen zum Teil<br />

mehrereMonate, genug Zeit für<br />

weitere Verbrechen. Es seien<br />

ihm aber insgesamt mehr Reanimationen<br />

gelungen als gescheitert,<br />

wollte er klarstellen.Heute<br />

fühle er angesichts seiner Taten<br />

Scham und Ekel vor sich selbst.<br />

Er sei empathielos und eiskalt<br />

gewesen, sagt er. Damals habe<br />

ihn der Tod der Patienten allerdings<br />

nicht berührt.<br />

Bereits amersten Prozesstag<br />

hatte Högel, der bereits wegen<br />

sechs anderer Taten lebenslang<br />

in Haft sitzt, die ungeheuerlichen<br />

Vorwürfe gegen ihn<br />

Am Klinikum in Oldenburgführte Niels Högel einige seiner Taten aus. Christian<br />

Marbach (r.) ist Sprecher der 120 Nebenkläger.Sein Opa warein Opfer Högels.<br />

grundsätzlich eingeräumt. Nach<br />

Ansicht der Ermittlerspritzte er<br />

seinen Opfern Medikamente in<br />

tödlicher Dosis, um sie danach<br />

wiederbeleben zu können. Dadurch<br />

wollte er seine Kollegen<br />

mit seinen Reanimationskünsten<br />

beeindrucken. Ihm sei es allein<br />

um den Nervenkitzel und<br />

die Anerkennung gegangen,<br />

nicht darum, Patienten gezielt<br />

zu töten –oder sie gar von ihrem<br />

Leid zu erlösen, betonte Högel.<br />

Die genaue Zahl seiner Taten<br />

lässt sich nicht mehr klären. Bei<br />

manchen Patienten provozierte<br />

er mehrmals beinahe tödliche<br />

Zwischenfälle und holte sie zurück<br />

ins Leben. Viele von denen,<br />

die nicht überlebten, wurden<br />

eingeäschert, so dass die Ermittler<br />

Rückstände der todbringenden<br />

Medikamente nicht mehr<br />

nachweisen konnten.<br />

Wie schwierig die Wahrheitssuche<br />

in der wohl größten<br />

Mordserie in der deutschen<br />

Nachkriegsgeschichte werden<br />

wird, zeigte sich gestern: Die<br />

Richter befragten Högel erstmals<br />

ausführlich zu den einzelnen<br />

Taten. An einigeseiner Opfer<br />

erinnerte er sich genau, an<br />

andere nach eigener Darstellung<br />

gar nicht. Dass er diese getötet<br />

haben könnte, schloss er<br />

aber auch nicht aus. „Ich kann<br />

mir keinen anderen vorstellen,<br />

der sowas tut.“<br />

Zum ersten Mal soll er eine PatientinimFebruar<br />

2000 auf der<br />

Oldenburger Intensivstation getötet<br />

haben. An seinenmutmaßlich<br />

ersten Mord habe er keine<br />

Erinnerung, sagte Högel. Und<br />

ob dieser tatsächlich sein erster<br />

gewesen sei, könne er auch<br />

nicht sagen. Die zweite Tat, die<br />

ihm die Staatsanwaltschaft zu<br />

Last legt, bestreitet er vehement.<br />

„Das ist einer der wenigen Patienten,<br />

bei denen ich sagen kann,<br />

dass ich da keine Manipulation<br />

vorgenommen habe.“ Dazu im<br />

Widerspruch steht allerdings,<br />

dass Experten Rückstände eines<br />

bei anderen Taten verwendeten<br />

Medikaments im Körper des<br />

Mannes fanden. Zudem warHögel<br />

bei der Reanimation anwesend,<br />

obwohl er gar keinen<br />

Dienst hatte.<br />

„Es ist wichtig, dass wir unvoreingenommen<br />

aufklären, was<br />

gewesen ist“, sagte der Vorsitzende<br />

Richter Sebastian Bührmann.<br />

Am Ende müsse das Gericht<br />

in jedem einzelnen Fall<br />

entscheiden, ob der Angeklagte<br />

schuldig sei. Auch deshalb sind<br />

allein für die Aussage des Angeklagten<br />

drei weitere Verhandlungstage<br />

eingeplant.

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