SPORTaktiv Winterguide 2018
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Die Landung des<br />
Hubschraubers<br />
ist jedes Mal ein<br />
Heckmeck. Kurz<br />
kommt Hektik auf.<br />
ABS-Rucksack „für den Fall der Fälle“<br />
umgeschnallt und ein Lawinenpiepserl.<br />
Zunächst ein ungutes Gefühl, denn Erfahrung<br />
null. Pull the handle? Aber wie<br />
und wann? Kurze Einschulung.<br />
Die Partie um die restlichen Skifahrer,<br />
allesamt dem Vernehmen nach Halbprofis<br />
oder von Powdermagazinen und<br />
ein paar Skiguides der Skischule Kappl,<br />
zieht voran und wir finden uns alsbald<br />
am Alblittkopf auf 2640 Metern Seehöhe.<br />
Der Open Faces Freeride Contest<br />
an der Bergflanke gegenüber war Tage<br />
davor abgesagt worden – zu viel Neuschnee,<br />
Lawinengefahr! Unter kundiger<br />
Anleitung der Locals und des deutschen<br />
Freeride-Pros Bene Höflinger stechen<br />
wir im Skigebiet in die markierten (aha!)<br />
und sicheren (uff!) Tiefschneehänge. Der<br />
Pulver ist frisch, wie im Traum, metertief.<br />
Die Hänge breit, die Ski erst recht<br />
und selbst der <strong>SPORTaktiv</strong>-Anfänger<br />
kommt mehr oder weniger mühelos in<br />
dieses schwerelose Gleiten. Es schaut<br />
zwar nicht so gut aus wie bei den Profis,<br />
fühlt sich aber „mindestens“ so flowig<br />
an. Zwischendurch gibt es Tipps für<br />
die Skiführung und den Körperschwerpunkt.<br />
Ich sauge alles wissbegierig auf.<br />
Ein, zwei (harmlose) Stürze baue ich geschickt<br />
zwischen die Instruktionen ein.<br />
Frau Holle schüttelt weiter die Polster,<br />
es schneit aus vollen Bezügen. (Tags darauf<br />
wird das ganze Tal gesperrt, auch der<br />
Arlberg ist dann wegen der Schneemas-<br />
„<br />
SIND WIR NICHT|<br />
SCHNELL GENUG, ODER|<br />
WAGT SICH|EINER|<br />
BEIM SELFIE ZU NAHE AN DIE|<br />
ROTORBLÄTTER, SCHIMPFT|<br />
|DER PILOT WIE EIN|<br />
ROHRSPATZ. ZU RECHT.|<br />
sen zu.) Kappl lässt trotz der Unmengen<br />
an Schnee sicheres Freeriden zu. Wenn<br />
man das Hirn einschaltet, den Guides<br />
folgt und selbst kein unnötiges Risiko<br />
eingeht. An einer Stelle im freien Gelände<br />
ist so viel Schnee, dass wir gar nicht<br />
bemerken, dass wir über das Dach einer<br />
Holzhütte fahren. Im letzten Moment<br />
schreit ein Guide, an der Vorderseite wären<br />
wir fast vom Dachfirst gestürzt. Wir<br />
machen viele Runs, jauchzen, auch bei<br />
der abenteuerlichen Abfahrt bis ins Tal,<br />
fernab der Pisten und vorbei an Hotels,<br />
Einfamilienhäusern und staunenden<br />
Einheimischen, die aus ihren Garagen<br />
laufen. Ups, tja, verfahren. Das gehört<br />
beim Freeriden wohl dazu.<br />
Fazit: Skifahren im echten Tiefschnee<br />
ist einfach geil. Bitte mehr davon!<br />
Auf nach Livigno<br />
Wenig später ergibt sich für den Pulverschnee-Rookie<br />
eine nächste Möglichkeit.<br />
Livigno ruft, Heliskiing. Da lässt man<br />
sich nicht lange bitten. Der Lead-Guide<br />
unseres Heliskiing-Abenteuers im<br />
Norden Italiens heißt Francesco. Den<br />
Hinweis, sich dem Helikopter nur gebückt<br />
zu nähern, unterstreicht der Italiener<br />
mit ernstem Blick: „If you touch<br />
the rotor, no good.“ Was die wirbelnden<br />
Rotorblätter mit einem Skihelm bzw.<br />
dem Köpfchen darunter machen, malen<br />
wir uns gar nicht erst aus. Die Sicherheitshinweise<br />
prägen wir uns umso<br />
besser ein.<br />
Vier Leute quetschen sich hinten<br />
auf die Bank. Dort ist es so eng, dass<br />
man kaum die Sicherheitsgurte ertastet,<br />
weil man schon draufsitzt. Vorne, links<br />
neben dem Piloten, sitzt der Guide. In<br />
unserem Fall ist das niemand Geringerer<br />
als Stephan Görgl. Der Ex-ÖSV-Rennfahrer<br />
trägt jetzt Rauschebart, veranstaltet<br />
Abenteuer wie dieses und hat ein<br />
paar Partner und Freunde nach Livigno<br />
eingeladen. Was das für die Abfahrt<br />
bedeutet, wenn uns ein Weltcupsieger<br />
anführt? Der Flug selbst ist herrlich und<br />
turbulenzfrei, weil das Wetter perfekt<br />
ist und den Blick auf die Traumkulisse<br />
zwischen Ortler und der Bernina-Gruppe<br />
freigibt. Der Heli landet auf knapp<br />
3200 Metern und immer noch blickt<br />
man zu Riesen wie dem Piz Bernina<br />
(4049 Meter) auf. Unsere Landeplätze<br />
heißen u. a. Pizzo Filone und Corno di<br />
Capra. Deren Gipfel sind schroff, die<br />
Flanken echt steil.<br />
Ein mulmiges Gefühl in der Magengegend<br />
macht sich beim „Normalo“ in<br />
der Gruppe breit. Die Lawinengefahr ist<br />
niedrig (Stufe zwei), dennoch haben wir<br />
Lawinenrucksack und Pieps dabei. „Ich<br />
fahre voraus und gebe Zeichen, dann<br />
kommt ihr mit Abstand nach“, sagt<br />
Görgl und zieht die erste Spur zwischen<br />
die Felsen. Eine Augenweide. Beim Anfänger<br />
vermischt sich viel Respekt mit<br />
ein bissl Angst. Die Knie sind weich wie<br />
Foto: Simon Rainer<br />
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