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SPORTaktiv Winterguide 2018

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ST. MORITZ UND DIE ENGLISCHE WETTE<br />

Wenn der Kellner aussieht wie ein Admiral,<br />

lässt sich der Preis des Dargebotenen<br />

schon erahnen. Die 25 Euro für<br />

ein Gläschen Champagner sind es aber<br />

wert. Zu dem standesgemäßen Getränk<br />

gibt es nämlich einen traumhaften Ausblick<br />

dazu. Über den zugefrorenen St.<br />

Moritzersee auf die schneebedeckten<br />

Gipfel von Piz Rosatsch und Piz Surlej,<br />

zwei Bergen der Berninagruppe. Eine<br />

leichte Verbeugung und weg ist der<br />

Herr mit dem Silbertablett und der uniformähnlichen<br />

Livree. Zugetragen hat<br />

sich die Szene im Hotel Badrutt’s Palace,<br />

dem teuersten Hotel der Schweiz, im<br />

Herzen von St. Moritz. Bei strahlendem<br />

Sonnenschein. Na klar, würde Johannes<br />

Badrutt jetzt sagen. Der Schweizer Hotelier,<br />

der im April seinen 200. Geburtstag<br />

feiern würde, ist nicht nur Vater des<br />

Hotelgründers Caspar Badrutt, jenes<br />

Hotel in dem wir den Schaumwein bewusst<br />

langsam genießen. Er ist auch der<br />

Vater des modernen Wintertourismus.<br />

Das Engadin war im Vergleich zu Luzern<br />

oder Interlaken schwer erreichbar,<br />

Der schwarze Blitz.<br />

In Cortina holte Toni<br />

Sailer 1956 dreimal<br />

Olympia-Gold mit<br />

Rekordvorsprüngen<br />

und gewann im<br />

selben Jahr auch in<br />

seiner Heimatstadt<br />

Kitzbühel bei den<br />

Hahnenkamm-<br />

Rennen.<br />

Badrutt wollte es aber bekannt machen.<br />

Also wettete er mit englischen Gästen.<br />

Er lud sie auf einen Winterurlaub in<br />

sein „Kulm Hotel St. Moritz“ ein. Zudem<br />

versprach er ihnen, dass sie auch im<br />

Winter hemdsärmelig auf der Terrasse<br />

sitzen könnten. Wenn nicht, so würde er<br />

auch die Reisekosten von London nach<br />

St. Moritz übernehmen. Badrutt gewann<br />

aber, die Engländer verbreiteten daheim<br />

die Botschaft, der Wintertourismus war<br />

geboren.<br />

Auch heute noch wirbt St. Moritz<br />

mit 320 Sonnentagen im Jahr und<br />

tatsächlich regiert hier gefühlt der Sonnenschein.<br />

Das zieht. Die Quote der<br />

Reichen und Schönen ist so hoch wie<br />

die Dreitausender ringsum. Der Winter<br />

spielt hier eine Riesenrolle. Die Olympischen<br />

Winterspiele waren hier zu Gast,<br />

Weltmeisterschaften sowieso. Dank der<br />

Engländer gab es schon früh Curlingbahnen,<br />

wurde auf dem „Cresta Run“<br />

Skeleton gefahren, gibt es die einzige<br />

Naturbobbahn der Welt. Ein Zimmer<br />

im Winter zu bekommen ist schwer –<br />

nicht nur wegen des Preises. Dabei haben<br />

die Liftanlagen großteils schon viele<br />

Winter erlebt und wirken für das österreichische<br />

Auge geradezu nostalgisch.<br />

CORTINA – KRIEG, OLYMPIA UND JAMES BOND<br />

Geschichtsträchtiges hat natürlich<br />

auch Cortina d’Ampezzo zu bieten. Allein<br />

schon im Namen, wenngleich sich<br />

Cortina aus dem Lateinischen ableitet<br />

und bloß den ummauerten Friedhof<br />

meint. Spektakulärer ist da schon die<br />

– nicht bestätigte – These, Cortina sei<br />

eine „Außenstelle“ des Orakels von<br />

Delphi gewesen und „Ampez“ stamme<br />

von den Namen Apollo und Pythia. So<br />

entstehen Legenden. Der 5000-Einwohnerort<br />

im norditalienischen Belluno<br />

war schon im 19. Jahrhundert<br />

eine der ersten Blüten des Tourismus,<br />

als er von Bergbegeisterten aller Herren<br />

Länder „entdeckt“ wurde. Der<br />

österreichisch-ungarische Adel kam<br />

genauso wie das gehobene Bürgertum<br />

Frankreichs und Englands. Noble<br />

Gäste lieben noble Dinge, „Perle der<br />

Dolomiten“ und „Königin der Alpen“<br />

wurde Cortina getauft, Luxushotels<br />

wurden gebaut, die erste Skischule.<br />

Bis der Erste Weltkrieg die Dolomiten<br />

zum fürchterlichen Schlachtfeld und<br />

danach zum Ziel von „Kriegertourismus“<br />

machte.<br />

Ab 1924 wurden die ersten Bergbahnen<br />

gebaut, ein Aufschwung, der<br />

in den Olympischen Spielen von 1956<br />

und Toni-Sailer-Festspielen (3 x Gold)<br />

gipfelte. Der mondäne Ruf von Ski<br />

und Party steigerte sich weiter, bis<br />

Cortina in den 1970er-Jahren in einem<br />

Atemzug mit St. Moritz und Kitzbühel<br />

genannt wurde und sogar Film-Agent<br />

James Bond anzog, der 1981 für „For<br />

Your Eyes Only“ im weinroten Lotus<br />

(mit Ski-Dachträger!) durch den Ort<br />

kurvte. Regelmäßig ist der Skiweltcup<br />

auf der legendären „Olimpia delle Tofane“<br />

zu Gast, mit dem „Tofana-Schuss“<br />

zwischen den zwei markanten Felspfeilern.<br />

2021 kommt auch die Ski-WM<br />

wieder unter die weltberühmte Gipfelgruppe<br />

der „Cinque Torri“ zurück.<br />

Und welcher Ort kann schon behaupten,<br />

dass nach ihm ein Automodell benannt<br />

ist? In England wurde von 1962<br />

bis 1982 das Mittelklassemodell Ford<br />

„Cortina“ gefertigt.<br />

Foto: www.tonisailer.com<br />

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