... der Steirer land ... Ausgabe 04 2018
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Kulturverband organisierte in den großen Städten<br />
Sammlungen und so bekamen wir Bücher, Gewand,<br />
Spielsachen und Puppen geschenkt. Bis an<br />
die Decke stapelten sich die Schachteln in meinem<br />
kleinen Büro, aber wir wollten diese nicht einfach<br />
verteilen, son<strong>der</strong>n die Kin<strong>der</strong> überraschen.<br />
Einfaches Papier war rasch organisiert. Meine Kolleginnen<br />
und ich verbrachten viele Nachmittage<br />
und Nächte damit, für jedes einzelne Kind unserer<br />
Schule ein Päckchen zu richten. Man stelle<br />
sich das vor: Der Christbaum war damals schon<br />
das schönste Geschenk, niemand erwartete ein<br />
Paket und die Kin<strong>der</strong> freuten sich schon allein<br />
über den Lichterglanz und darüber, dass es vielleicht<br />
an diesem Tag etwas „Besseres“ zu essen<br />
gab. Es war so weit, <strong>der</strong> letzte Schultag vor dem<br />
Heiligen Abend. In je<strong>der</strong> Klasse warteten unzählige<br />
Packerln darauf, von den Mädchen in Empfang<br />
genommen zu werden. Mit großen, glänzenden<br />
Augen standen sie davor, wussten erst gar nicht,<br />
wie ihnen geschieht, und unendlich groß war die<br />
Freude über jedes einzelne Stück. Auch die Eltern<br />
wussten uns hinterher nicht genug zu danken. Für<br />
mich und meine Mitstreiter war es jede Minute,<br />
die wir investiert hatten, wert. Dieses kleine Weihnachtswun<strong>der</strong><br />
durften wir einige Jahre wie<strong>der</strong>holen,<br />
dann fing es den Menschen wie<strong>der</strong> besser zu<br />
gehen an und endlich fanden die Kin<strong>der</strong> daheim,<br />
unter dem Christbaum, Glück und Freude. Die Zeit<br />
schritt weiter, ich wurde Direktorin <strong>der</strong> Schule und<br />
es vergingen noch einmal 12 Jahre, bis ich wie<strong>der</strong><br />
ein kleines Weihnachtswun<strong>der</strong> erleben durfte.<br />
Im Jahr 1970 fanden in Polen Arbeiteraufstände<br />
statt und viele Menschen wurden zur Flucht gezwungen.<br />
Eines Morgens kam ich in meine zweite<br />
Klasse und sah da plötzlich ein fremdes Kind sitzen.<br />
Auf meine Frage, wer sie denn sei, antwortete<br />
sie nur ganz schüchtern mit: „Margret“. Weil auch<br />
keines <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> sie kannte, musste ich<br />
mich im Ort erkundigen, wer dieses Mädchen ei-<br />
gentlich ist. So kam ich drauf, dass ihre Eltern aus<br />
Polen geflohen waren, jetzt in einem Zimmer über<br />
einem Gasthaus untergebracht waren und auf ihre<br />
Weiterreise warteten. Sie kannten hier niemanden,<br />
haben sich auch bei mir nicht vorgestellt, nur die<br />
kleine Margret besuchte brav jeden Tag den Unterricht.<br />
Dann kam Weihnachten, das Mädchen<br />
wurde krank und ich sprach mit den Kin<strong>der</strong> darüber,<br />
dass die Kleine gar nichts hat und was es für<br />
die Familie bedeutet, allein und in einem fremden<br />
Land zu sein. Spontan wurde <strong>der</strong> Beschluss gefasst:<br />
Wir legen zusammen.<br />
Jedes Kind gab ein paar Groschen her, ich selber<br />
leistete meinen Beitrag dazu und als ich <strong>der</strong> Chefin<br />
im Geschäft erklärte, wofür diese große Puppe<br />
gebraucht wird, ließ sie ebenfalls noch ordentlich<br />
beim Preis nach, sodass wir sie kaufen konnten.<br />
Am Nachmittag des Heiligen Abends machte ich<br />
mich auf. Ich klopfte, jemand sagte „herein“ und<br />
als ich die Tür öffnete, schauten mich Vater, Mutter<br />
und die kleine Margret mit großen Augen an.<br />
Noch bevor ich ein Wort herausbrachte, sind mir<br />
alle drei um den Hals gefallen. Keiner war zu einem<br />
Wort fähig, Tränen flossen, Margret nahm<br />
ihre Puppe und ich selber wusste nicht, wie mir<br />
geschah. Als sie mich wie<strong>der</strong> losließen, habe ich<br />
ihnen frohe Weihnachten gewünscht und bin gegangen.<br />
Auf dem Nachhauseweg kam alles noch<br />
einmal hoch und wie<strong>der</strong> musste ich weinen. Diese<br />
Freude, diese Herzlichkeit, die Tränen in den<br />
Augen <strong>der</strong> Eltern und das Kin<strong>der</strong>leuchten in den<br />
Augen des Mädchens werde ich mein Lebtag lang<br />
nicht vergessen. Die Erkenntnis aus diesem Nachmittag<br />
habe ich mit meinen Schülern geteilt; sie<br />
besagt, dass sich ein je<strong>der</strong> sein Weihnachtswun<strong>der</strong><br />
selber schaffen kann.<br />
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