... der Steirer land ... Ausgabe 04 2018
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Einfach zum Nachdenken<br />
DER LETZTE<br />
BRIEF<br />
Ich schreibe dir diesen Brief. Die erste und zugleich letzte Nie<strong>der</strong>schrift dessen,<br />
was ich all die Zeit hindurch gedacht, gefühlt, gemeint, aber nie ausgesprochen<br />
habe. Ich schreibe ihn dir als Zeichen meiner Wertschätzung, als schriftlichen<br />
Beweis meiner Zuneigung und als Dokumentation, wie kläglich ich bei<br />
unserem emotionalen Umgang versagt habe.<br />
Mir zu wünschen, dass ich diese Worte vorgestern<br />
gesagt hätte, ist gegenstandslos. Heute ist heute<br />
und im Hier und Jetzt wird mir genau das vor Augen<br />
geführt. Mir vorzustellen, wie gut es dir getan<br />
hätte, diese Zeilen vor zwei Tagen geschenkt zu<br />
bekommen, verstärkt meinen Schmerz über meinen<br />
lie<strong>der</strong>lichen Umgang mit deiner Zuneigung.<br />
Es war immer selbstverständlich. Alles war selbstverständlich<br />
– deine Führung, deine Hilfe, deine<br />
Kunst, mir meine Fehler nachzusehen, und deine<br />
bedingungslose Liebe. Sie waren immer da. War<br />
ich glücklich, hast du dich zurückgenommen und<br />
dich im Stillen gefreut, während mir das Licht dieses<br />
Momentes die Sicht auf Wesentliches nahm.<br />
Ging es mir schlecht, tatest du dich hervor, schütztest<br />
und tröstetest mich, nahmst mich in den Arm<br />
und wurdest im größten Dunkel meines emotionalen<br />
Nie<strong>der</strong>gangs zu meinem Licht, das mich wie<strong>der</strong><br />
aus den tiefsten Höhlen, aus den selbstgeschaufelten<br />
Gräbern hinaus in den Sonnenschein brachte.<br />
Vorgestern warst du noch dieser Ankerpunkt, dieser<br />
Lichtschein, <strong>der</strong> mir durch mein ganzes Leben<br />
hindurch den Weg wies. Vorgestern wären Liebe<br />
und Zuspruch noch nicht auf taube Ohren gestoßen,<br />
vorgestern wären eine Umarmung und eine<br />
Freudenträne noch nicht in grenzenloser Leere verlorengegangen.<br />
Wie oft dachte ich: Ich muss es dir<br />
zeigen, dir geben, dir mitteilen, wie sehr du mein<br />
Leben bereicherst, wie sehr mich deine Gaben<br />
stärken und wie stolz ich darauf bin, dich hinter<br />
mir, an meiner Seite und schützend vor mir zu haben.<br />
Wie viele Male nahm ich mir vor zu reden, zu<br />
schreiben o<strong>der</strong> zu zeigen. Und genau um einmal<br />
mehr, als das Herz und <strong>der</strong> Geist mir rieten: „sag<br />
es“, genau um einmal mehr habe ich es nicht getan.<br />
Immer davon ausgehend, dass du um meine Wertschätzung,<br />
um meine Liebe zu dir weißt, habe ich<br />
einmal zu oft zurückgezogen und einmal zu wenig<br />
geredet. Jetzt sitze ich hier und schreibe, schreibe<br />
mir Tränen und Selbstkritik vom Leib, versuche geschenktes<br />
Glück auf totes Papier zu bringen und<br />
suche in Formulierungen nach einer Erlösung, die<br />
ein einziges Wort an dich mir längst geschenkt hätte.<br />
Vorgestern, ja vorgestern standen mir noch alle<br />
Wege offen, alle Worte zur Verfügung und du an<br />
meiner Seite. Heute zwingen mich Verzweiflung<br />
und Hoffnungslosigkeit dazu, den Dank nicht in<br />
dein Herz zu tragen, son<strong>der</strong>n einfach auf ein Blatt<br />
Papier zu zeichnen.<br />
Vorgestern war vom großen Licht noch ein kleiner<br />
Funke übrig und ich frage mich, ob ich, mit all <strong>der</strong><br />
Liebe, die ich dir ein Leben lang nicht mitteilte, das<br />
Feuer wie<strong>der</strong> ein klein wenig, zumindest für kurze<br />
Zeit, entfachen hätte können. Oh mein Gott! Was,<br />
wenn es so gewesen wäre, ich dein Lebenslicht mit<br />
simplen Worten, die ich bereits, seitdem ich den-<br />
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