05.12.2018 Aufrufe

... der Steirer land ... Ausgabe 04 2018

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Einfach zum Nachdenken<br />

DER LETZTE<br />

BRIEF<br />

Ich schreibe dir diesen Brief. Die erste und zugleich letzte Nie<strong>der</strong>schrift dessen,<br />

was ich all die Zeit hindurch gedacht, gefühlt, gemeint, aber nie ausgesprochen<br />

habe. Ich schreibe ihn dir als Zeichen meiner Wertschätzung, als schriftlichen<br />

Beweis meiner Zuneigung und als Dokumentation, wie kläglich ich bei<br />

unserem emotionalen Umgang versagt habe.<br />

Mir zu wünschen, dass ich diese Worte vorgestern<br />

gesagt hätte, ist gegenstandslos. Heute ist heute<br />

und im Hier und Jetzt wird mir genau das vor Augen<br />

geführt. Mir vorzustellen, wie gut es dir getan<br />

hätte, diese Zeilen vor zwei Tagen geschenkt zu<br />

bekommen, verstärkt meinen Schmerz über meinen<br />

lie<strong>der</strong>lichen Umgang mit deiner Zuneigung.<br />

Es war immer selbstverständlich. Alles war selbstverständlich<br />

– deine Führung, deine Hilfe, deine<br />

Kunst, mir meine Fehler nachzusehen, und deine<br />

bedingungslose Liebe. Sie waren immer da. War<br />

ich glücklich, hast du dich zurückgenommen und<br />

dich im Stillen gefreut, während mir das Licht dieses<br />

Momentes die Sicht auf Wesentliches nahm.<br />

Ging es mir schlecht, tatest du dich hervor, schütztest<br />

und tröstetest mich, nahmst mich in den Arm<br />

und wurdest im größten Dunkel meines emotionalen<br />

Nie<strong>der</strong>gangs zu meinem Licht, das mich wie<strong>der</strong><br />

aus den tiefsten Höhlen, aus den selbstgeschaufelten<br />

Gräbern hinaus in den Sonnenschein brachte.<br />

Vorgestern warst du noch dieser Ankerpunkt, dieser<br />

Lichtschein, <strong>der</strong> mir durch mein ganzes Leben<br />

hindurch den Weg wies. Vorgestern wären Liebe<br />

und Zuspruch noch nicht auf taube Ohren gestoßen,<br />

vorgestern wären eine Umarmung und eine<br />

Freudenträne noch nicht in grenzenloser Leere verlorengegangen.<br />

Wie oft dachte ich: Ich muss es dir<br />

zeigen, dir geben, dir mitteilen, wie sehr du mein<br />

Leben bereicherst, wie sehr mich deine Gaben<br />

stärken und wie stolz ich darauf bin, dich hinter<br />

mir, an meiner Seite und schützend vor mir zu haben.<br />

Wie viele Male nahm ich mir vor zu reden, zu<br />

schreiben o<strong>der</strong> zu zeigen. Und genau um einmal<br />

mehr, als das Herz und <strong>der</strong> Geist mir rieten: „sag<br />

es“, genau um einmal mehr habe ich es nicht getan.<br />

Immer davon ausgehend, dass du um meine Wertschätzung,<br />

um meine Liebe zu dir weißt, habe ich<br />

einmal zu oft zurückgezogen und einmal zu wenig<br />

geredet. Jetzt sitze ich hier und schreibe, schreibe<br />

mir Tränen und Selbstkritik vom Leib, versuche geschenktes<br />

Glück auf totes Papier zu bringen und<br />

suche in Formulierungen nach einer Erlösung, die<br />

ein einziges Wort an dich mir längst geschenkt hätte.<br />

Vorgestern, ja vorgestern standen mir noch alle<br />

Wege offen, alle Worte zur Verfügung und du an<br />

meiner Seite. Heute zwingen mich Verzweiflung<br />

und Hoffnungslosigkeit dazu, den Dank nicht in<br />

dein Herz zu tragen, son<strong>der</strong>n einfach auf ein Blatt<br />

Papier zu zeichnen.<br />

Vorgestern war vom großen Licht noch ein kleiner<br />

Funke übrig und ich frage mich, ob ich, mit all <strong>der</strong><br />

Liebe, die ich dir ein Leben lang nicht mitteilte, das<br />

Feuer wie<strong>der</strong> ein klein wenig, zumindest für kurze<br />

Zeit, entfachen hätte können. Oh mein Gott! Was,<br />

wenn es so gewesen wäre, ich dein Lebenslicht mit<br />

simplen Worten, die ich bereits, seitdem ich den-<br />

24

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!