Berliner Kurier 06.12.2018
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HINTERGRUND<br />
Hass-Tirade<br />
gegen Berlin<br />
Boris Palmer,süddeutscher<br />
Oberbürgermeister,<br />
hatgegen Berlin geschossen:<br />
Zu laut,zudreckig, zu<br />
kriminell. Zudem würde in<br />
der Hauptstadt „nichts<br />
funktionieren“, so der<br />
streitbareGrünen-Politiker.<br />
Als Beispiele nannte<br />
Palmer unter anderem<br />
„BER,S-Bahn, öffentliche<br />
Schulen, Sicherheit auf<br />
Plätzen, völlig überlastete<br />
Ämter oder zig Milliarden<br />
Schulden“.<br />
Ganz links: Drogenkontrolle<br />
der<br />
Polizei an der<br />
Revaler Straße.<br />
Links: Beschlagnahmte<br />
Tütchen<br />
mit Rauschgift.<br />
Palmers Hauptstadt-Gemotze<br />
Ist Berlin wirklich<br />
so ein Saustall?<br />
Der KURIER macht den großen Faktencheck<br />
Von<br />
P. DEBIONNE<br />
Berlin, die Stadt, in der<br />
nichts funktioniert.<br />
Fluchhafen, Lehrermangel,<br />
S-Bahn-Chaos<br />
und 58 Milliarden Euro Schulden:<br />
In der Hauptstadt ist alles<br />
so schlimm wie nirgends sonst,<br />
beklagt Boris Palmer, grüner<br />
Oberbürgermeister des Städtchens<br />
Tübingen in Süddeutschland.<br />
Mit seinem offenen und<br />
provokanten Bekenntnis, dass<br />
er in seiner Heimatstadt „keine<br />
<strong>Berliner</strong> Verhältnisse“ will<br />
(KURIER berichtete), hat Palmer<br />
eine höchst emotional geführte<br />
Diskussion über die<br />
Hauptstadt entfacht. Doch<br />
ganz unabhängig von dem<br />
Drang der <strong>Berliner</strong>, ihre Stadt<br />
zu verteidigen, stellt sich natürlich<br />
die Frage: Hat Boris Palmer<br />
auch Recht? Liegt in Berlin<br />
wirklich so vieles im Argen?<br />
Ein Faktencheck.<br />
Kriminalität: Laut Polizei<br />
gab es im vergangenen Jahr insgesamt<br />
520 437 registrierte<br />
Straftaten, ein Rückgang um 8,5<br />
Prozent im Vergleich zu 2016.<br />
Damit steht Berlin derzeit auf<br />
Platz 3 der Liste der gefährlichsten<br />
Städte, die jedes Jahr<br />
vom Bundeskriminalamt veröffentlicht<br />
wird. Gerechnet auf<br />
Straftaten pro 100 000 Einwohner<br />
ist das Risiko, Opfer eines<br />
Verbrechens zu werden, sowohl<br />
in Hannover (14 616) als<br />
auch in Frankfurt am Main<br />
(14 864) höher als in Berlin<br />
(14 588). Allerdings ist der starke<br />
Rückgang der <strong>Berliner</strong> Kriminalität<br />
laut Polizei „durch eine<br />
deutliche Abnahme im Diebstahlsbereich,<br />
insbesondere<br />
beim Taschendiebstahl“ zu erklären.<br />
Im Bereich Sexualdelikte<br />
und Jugendgruppengewalt<br />
stiegen die Zahlen hingegen.<br />
Polizeigewerkschaften bemängeln<br />
seit Jahren zudem, die Sicherheitsbehörden<br />
seien „kaputtgespart“.<br />
Armut: Tatsächlich ist der<br />
Anteil der <strong>Berliner</strong>, die als armutsgefährdet<br />
gelten, gestiegen.<br />
Laut Amt für Statistik sind<br />
vor allem Hauptstädter im Alter<br />
von 18 bis 24 Jahren betroffen.<br />
Als arm gilt zum Beispiel,<br />
wer in einem Singlehaushalt<br />
pro Monat über weniger als<br />
967 Euro verfügt. 2017 lagen<br />
17,4 Prozent der <strong>Berliner</strong> unter<br />
dieser Schwelle, 2014 waren es<br />
noch 14,1 Prozent. Nicht in dieser<br />
Statistik erfasst sind die Obdachlosen.<br />
Darüber, wie viele<br />
Menschen hier auf der Straße<br />
leben, gibt es keine verlässlichen<br />
Zahlen. Schätzungen reichen<br />
von 4000 bis zu über<br />
10 000 Obdachlosen.<br />
Öffis: Überfüllte U-Bahnen<br />
und kaputte S-Bahnen gehören<br />
leider zum täglichen Stadtbild.<br />
Das liegt auch an bis zu 50 Jahre<br />
alten U-Bahn-Zügen, die aufgrund<br />
des hohen Alters öfter in<br />
die Werkstatt müssen. Zudem<br />
hat die BVG derzeit mit einem<br />
überdurchschnittlich hohen<br />
Krankenstand von über zehn<br />
Prozent bei Fahrern und in den<br />
Werkstätten zu kämpfen. Auch<br />
Züge der S-Bahn fallen aufgrund<br />
technischer Probleme<br />
regelmäßig aus, dazu kommen<br />
störanfällige Signalkabel und<br />
hitzeempfindliche Elektronik.<br />
Bis 2025 sollen nun 32 Millionen<br />
Euro in eine Qualitätsoffensive<br />
investiert werden. Zudem<br />
will Berlin für rund drei<br />
Milliarden Euro 690 neue Züge<br />
kaufen.<br />
Drogen: In keiner anderen<br />
deutschen Stadt sterben so viele<br />
Menschen an Rauschgift wie<br />
in Berlin. 168 Drogentote gab es<br />
hier 2017, im Jahr zuvor waren<br />
es 167. Bundesweit geht die<br />
Zahl der an Rauschgift gestorbenen<br />
Menschen hingegen zurück.<br />
2016 starben 1333 Menschen<br />
an den Folgen ihres Drogenkonsums,<br />
2017 waren es<br />
1272 –ein Rückgang um fast<br />
fünf Prozent. Die Zahlen zeigen