Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
*<br />
AKTUELL<br />
Bahnstreik<br />
Wut-Start<br />
in die Woche<br />
Chaos und volle Bahnsteige: Nichts ging mehr am Montagmorgen im Berufsverkehr<br />
Von<br />
SILVIA PERDONI<br />
und<br />
PETER NEUMANN<br />
Zwei Busse hat Jörg Seja<br />
schon durchfahren lassen.<br />
Sie waren beide so<br />
voll, dass die Türen kaum<br />
schlossen. „Ich bin sowieso<br />
schon zu spät“, sagt der junge<br />
Mann, der auf dem Weg zur Berufsschule<br />
in Adlershof ist. Vor<br />
drei Stunden ist er zu Hause in<br />
Nordend, einem Ortsteil von<br />
Pankow, losgefahren. Jetzt, gegen<br />
8.30 Uhr, steht er noch immer<br />
an der zugigen Bushaltestelle<br />
am Ostkreuz. Jörg Seja ist<br />
gestrandet. So wie Hunderttausende<br />
Fahrgäste an diesem<br />
Montagmorgen, an dem der<br />
Warnstreik bei der Deutschen<br />
Bahn (DB) den Puls Berlins aus<br />
dem Takt gebracht hat.<br />
Wie viele Menschen braucht<br />
es, um große Teile der S-Bahn<br />
lahmzulegen? Nicht viele! Oliver<br />
Kaufhold von der Eisenbahn-<br />
und Verkehrsgewerkschaft<br />
EVG, die zu dem Warnstreik<br />
aufgerufen hatte, gibt die<br />
Antwort. Normalerweise arbeiten<br />
in der <strong>Berliner</strong><br />
Betriebszentrale der S-Bahn 19<br />
Fahrdienstleiter in einer<br />
Schicht, sagt er. „Davon legten<br />
18 am Montagmorgen, um<br />
6Uhr, die Arbeit nieder.“<br />
18 Menschen reichen aus, um<br />
Berlin und Brandenburg ins<br />
Chaos zu stürzen. In der<br />
Betriebszentrale in Halensee<br />
wird normalerweise der Verkehr<br />
auf rund 80 Prozent des<br />
Streckennetzes der S-Bahn gesteuert.<br />
Fällt sie aus, kann auf<br />
den meisten Routen keine S-<br />
Bahn mehr fahren –selbst wenn<br />
wie am Montag das Fahrpersonal,<br />
das nicht zum Ausstand aufgerufen<br />
war, zum Dienst erscheint.<br />
Neben der Betriebszentrale<br />
gibt es noch andere Stellwerke.<br />
Sie bleiben zum Teil in Betrieb,<br />
weil nicht alle Fahrdienstleiter<br />
streiken. „So konnten wir zumindest<br />
auf einigen Strecken<br />
fahren“, so ein S-Bahner. Doch<br />
der Ring und die Stadtbahn, die<br />
wichtigsten Strecken in der<br />
Stadt, liegen brach. „Kein Zugverkehr“,<br />
leuchtet weiß auf blau<br />
auf den Anzeigern.<br />
Jörg Seja hat Verständnis für<br />
die Forderungen der Fahrdienstleiter<br />
und Werkstattleute. „Sie<br />
verdienen einen fairen Lohn“,<br />
sagt er. „Allerdings verstehe ich<br />
nicht, warum die Bahn nicht<br />
mehrErsatzbusse zur Verfügung<br />
gestellthat.“ Fürden 26-Jährigen<br />
kam der Streik wie für die meisten<br />
Fahrgäste völlig überraschend.<br />
Am Sonntagnachmittag hatte<br />
es in EVG-Kreisen noch geheißen,<br />
dass die S-Bahn verschont<br />
werden soll. „In der Nacht hat<br />
sich aber alles sehr schnell entwickelt“,<br />
erklärte ein EVG-Mitglied.<br />
Weil sich der Ausstand so<br />
besser organisieren ließ, wurde<br />
die S-Bahn einbezogen.<br />
Jörg Seja wartet immer noch.<br />
Er hat eine wahre Odyssee hinter<br />
sich. Mit der Straßenbahn fuhr<br />
er am frühen Morgen zur Schönhauser<br />
Allee, stieg dort in eine