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blu Januar/Februar 2019

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GESELLSCHAFT<br />

und mich und meine Frau in diese Gemeinschaft<br />

aufgenommen haben. Für mich ist<br />

das Bataillon eine zweite Familie.<br />

Welchen Tipp geben Sie Bundeswehrangehörigen,<br />

die in einer ähnlichen<br />

Situation stecken?<br />

Zu sich zu stehen. Auf ihre Vorgesetzten<br />

und Kameraden zu vertrauen und sich nicht<br />

zu verstecken. Den Mut zu finden, das<br />

persönliche Leiden hinter sich zu lassen und<br />

sich dieser Belastung zu entledigen. Es gehört<br />

unheimlich viel Mut und wahnsinnig viel<br />

Kraft dazu. Transsexualität ist kein einfaches<br />

Thema, und wir werden nicht alle mit Jubel<br />

begrüßt. Diskriminierung, Angst, Unkenntnis<br />

gibt es in allen Bereichen der Gesellschaft.<br />

Nicht jeder versteht uns und unsere Situation.<br />

Das kann sich nur verbessern, wenn<br />

wir sichtbar für unsere Identität und unsere<br />

Rechte eintreten. Gemeinsam sind wir stark.<br />

lich überwältigend. Das Coming-out an sich<br />

erfolgte in einer morgendlichen Besprechung.<br />

Hier habe ich kurz meine persönliche<br />

Situation geschildert. Mein Abteilungsleiter<br />

hat das von mir entgegengebrachte<br />

Vertrauen, sich in dieser Runde zu outen,<br />

sogar positiv herausgestellt. Anschließend<br />

hat er seine persönliche Erwartungshaltung<br />

zur weiteren Unterstützung aus unserer<br />

Abteilung heraus klar kommuniziert. Die<br />

ganze Zeit danach wurde diese Unterstützung<br />

sichtbar vorgelebt. Dafür bin ich heute<br />

noch ehrlich dankbar.<br />

Wie waren die Reaktionen? Was<br />

ist Ihnen besonders im Gedächtnis<br />

geblieben?<br />

Die Reaktionen reichten von Erstaunen bis<br />

Sprachlosigkeit. Einige mussten das Thema<br />

erst googeln, von anderen erfuhr ich, dass<br />

sie mit diesem Thema schon Berührung<br />

im privaten Umfeld hatten. Ein schöner<br />

Moment war der, dass nach meinem<br />

Coming-out mich ein sehr lieber Kamerad<br />

fragte, wie ich denn nun heißen würde? Das<br />

hatte ich total vergessen zu erwähnen. Das<br />

Aussprechen meines Namens und die Frage<br />

von ihm machten die Frau in mir wirklich<br />

real. Machten „Anastasia“ konkret, greifbar,<br />

menschlich. Endlich hatte ich meine innere<br />

Identität, meine Seele.<br />

„Das Bataillon<br />

ist eine zweite<br />

Familie“<br />

Wie läuft es heute?<br />

Im Ganzen einfach nur schön und großartig.<br />

Alle medizinischen Maßnahmen liegen<br />

hinter mir. Ich habe eine wunderbare Frau<br />

gefunden, die mich seit unserem Kennenlernen<br />

in 2016 voll akzeptiert, immer<br />

unterstützt hat und mir jede Minute zur<br />

Seite steht. Kurz vor dem Einsatz haben wir<br />

noch geheiratet. Wir hatten eine wirklich<br />

schöne Feier mit Familie, Freunden und<br />

Kameraden. Für mich ein tief bewegendes<br />

Erlebnis. Die Kameradinnen und Kameraden<br />

aus meinem Bataillon haben uns mit<br />

einer pinken Limousine überrascht. Damit<br />

wurden wir von Berlin zur Trauung auf die<br />

Burg Storkow gefahren. Einige Offiziere und<br />

Unteroffiziere standen Spalier. Insgesamt<br />

bin ich den Menschen, den Soldatinnen und<br />

Soldaten in meinem Bataillon sehr dankbar.<br />

Dafür, dass sie mich akzeptieren, mir offen<br />

begegnet sind, als ich im Oktober 2017<br />

meinen Dienst als Kommandeurin antrat,<br />

Was sollte sich Ihrer Meinung nach<br />

noch verbessern?<br />

Da gibt es einiges. Zu allererst sollte das<br />

Transsexuellengesetz auf moderne, menschenwürdige<br />

und menschenrechtskonforme<br />

Füße gestellt werden. Auch wenn es<br />

in den 1980er-Jahren ein modernes und<br />

wegweisendes Gesetz war, ist es meiner<br />

Meinung nach in dieser Zeit stehen geblieben.<br />

Es verhaftet uns in einem Prozess, der<br />

unwürdig und komplett fremdbestimmt<br />

ist. Gutachterzwang und pathologische<br />

Stigmatisierung durch die Verortung der<br />

Transsexualität als psychisches Krankheitsbild<br />

machen es uns immer noch schwer,<br />

Akzeptanz und Anerkennung zu finden.<br />

Geschlechtliche Identität sollte nicht durch<br />

den Staat oder medizinische Gremien<br />

bestimmt werden. An erster Stelle muss das<br />

Selbstbestimmungsrecht des Individuums<br />

stehen. Auch die zeitaufwendige Prozedur<br />

– rechtlich wie medizinisch – Kosten für<br />

Gutachten sowie Abhängigkeit von Medizinern<br />

und Psychologen sind alles Belastungen,<br />

die ich als diskriminierend empfinde.<br />

Nichtsdestotrotz bin ich dankbar, dass<br />

Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen<br />

Ländern schon sehr weit ist. Es<br />

gibt aber auch Beispiele, die zeigen, dass es<br />

noch einfacher und gerechter gehen kann.<br />

Nehmen wir beispielsweise Argentinien oder<br />

Dänemark – hier ist eine unbürokratische<br />

Änderung des Geschlechtereintrags möglich.<br />

Das Individuum und dessen Mündigkeit<br />

sollten im Mittelpunkt stehen und Transgeschlechtliche<br />

positiv begleiten und stützen.<br />

Ich persönlich hatte oft das Gefühl, dass ich<br />

mich dafür erklären und rechtfertigen muss,<br />

wie ich bin und fühle. Unsere politischen<br />

Entscheidungsträger sollten mutig sein und<br />

endlich das Selbstbestimmungsgesetz auf<br />

den Weg bringen. Vielleicht würde ich dann<br />

in Zukunft weniger unreflektierte und diskriminierende<br />

Kommentare wie „Nichts gegen<br />

Transsexuelle, aber ...!“ lesen.

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