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Hobby und wollte hauptsächlich weg vom Elternhaus, um<br />
eigenständig zu leben. Ich fand Arbeit und hab mich hier<br />
eingelebt. Ich schließe nicht aus, dass ich eines Tages den<br />
Sprung in eine größere Stadt wage, wo meine Chancen,<br />
bekannter zu werden, größer sind. Aber schmerzlos wird<br />
die Trennung von Konstanz nicht sein. Ich hab hier Freunde,<br />
die ich sehr schätze. Ich mag den Geruch der Seeluft, und<br />
nicht zuletzt ist die Stadt an sich auch sehr schön. Ich<br />
wohne da, wo andere Urlaub machen.<br />
Wie nimmst du die Gesellschaft am Bodensee wahr,<br />
ist sie tolerant dir gegenüber?<br />
Im engsten Kreis der Freunde waren die Reaktionen sehr<br />
positiv. Man gab mir das Gefühl von Sicherheit. Ich hab<br />
mich nie ausgeschlossen gefühlt. Was die breitere Öffentlichkeit<br />
angeht, ist das wirklich schwer zu beantworten,<br />
weil ich keinen Vergleich zu anderen Städten ziehen kann.<br />
Ich bin seit acht Monaten geoutet und bin hier in Konstanz<br />
auch zum ersten Mal in die Öffentlichkeit gegangen. Ich<br />
finde es immer noch extrem schwer, rauszugehen und<br />
mich zu zeigen. Das größte Problem dabei ist die eigene<br />
Angst, durch die ich manchmal falsche Eindrücke auf die<br />
Blicke und Reaktionen anderer projiziere. Je selbstbewusster<br />
ich mich gebe, desto geringer ist die Chance, abfällige<br />
Blicke zu kassieren oder den Ausdruck in den Gesichtern<br />
falsch zu deuten, weil ich erhobenen Hauptes alles anders<br />
wahrnehme. Das ist leichter gesagt als getan, aber meiner<br />
Meinung nach die einzig richtige Einstellung. Ich hatte<br />
natürlich auch negative Erlebnisse. Es gab diese Momente,<br />
da wurden auf einmal die Köpfe zusammengesteckt, es<br />
wurde noch mal ein flüchtiger Blick zu mir geworfen oder<br />
das Gesicht wurde verzogen. Auch solche Kleinigkeiten<br />
sind verletzendselbst wenn ich weiß, dass die Menschen es<br />
einfach nicht gewohnt sind und deshalb so reagieren.<br />
Ich hab auch positive Erinnerungen, beispielsweise das<br />
Coming-out bei meinem Hausarzt, der empathisch und<br />
verständnisvoll reagiert hat. Es wird wohl noch eine Weile<br />
dauern, bis ich völlig entspannt rausgehen kann. Ob das<br />
auch an der Region liegt, kann ich nicht genau sagen, dazu<br />
stören meine eigenen Unsicherheiten noch zu sehr meine<br />
Objektivität.<br />
Der Anblick deines Gesichts würde dich unglücklich<br />
machen, hast du gesagt. Warum denn das?<br />
Apropos Unsicherheiten. Ich weiß, wie das klingt, aber ich<br />
kenne meinen Körper besser als jeder andere und somit<br />
auch jedes Detail, das mehr an einen Mann erinnert als an<br />
eine Frau. Diese Details fühlen sich falsch an, seit meiner<br />
Kindheit. Das ist kein gutes Gefühl. Es kann mich in die<br />
Verzweiflung treiben, weil ich es selbst unzählige Male<br />
hinterfrage, und je mehr ich es hinterfrage, desto komplizierter<br />
wird es. Es lässt sich einfach nicht wegargumentieren.<br />
Beim Anblick meines Gesichts ist diese Emotion aus<br />
verschiedenen Gründen besonders stark. Zum einen, weil<br />
es das wichtigste Kommunikationswerkzeug des Menschen<br />
ist. Wir schauen uns ins Gesicht, um einander zu<br />
erkennen. Zum andern bin ich, da ich auch Porträts male,<br />
gut darin geübt, Gesichtsmerkmale zwischen Mann und<br />
Frau zu unterscheiden. Da stechen diese Details für mich<br />
besonders heraus. Egal wie kontrovers dieses Thema auch<br />
sein mag, ich weiß eines ganz genau: Zu denken, dass das<br />
nur Oberflächlichkeiten und die inneren Werte viel wichtiger<br />
sind, hat mir nie geholfen.<br />
*Interview: Michael Rädel<br />
elen-art.de