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GAB Januar 2019

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Hobby und wollte hauptsächlich weg vom Elternhaus, um<br />

eigenständig zu leben. Ich fand Arbeit und hab mich hier<br />

eingelebt. Ich schließe nicht aus, dass ich eines Tages den<br />

Sprung in eine größere Stadt wage, wo meine Chancen,<br />

bekannter zu werden, größer sind. Aber schmerzlos wird<br />

die Trennung von Konstanz nicht sein. Ich hab hier Freunde,<br />

die ich sehr schätze. Ich mag den Geruch der Seeluft, und<br />

nicht zuletzt ist die Stadt an sich auch sehr schön. Ich<br />

wohne da, wo andere Urlaub machen.<br />

Wie nimmst du die Gesellschaft am Bodensee wahr,<br />

ist sie tolerant dir gegenüber?<br />

Im engsten Kreis der Freunde waren die Reaktionen sehr<br />

positiv. Man gab mir das Gefühl von Sicherheit. Ich hab<br />

mich nie ausgeschlossen gefühlt. Was die breitere Öffentlichkeit<br />

angeht, ist das wirklich schwer zu beantworten,<br />

weil ich keinen Vergleich zu anderen Städten ziehen kann.<br />

Ich bin seit acht Monaten geoutet und bin hier in Konstanz<br />

auch zum ersten Mal in die Öffentlichkeit gegangen. Ich<br />

finde es immer noch extrem schwer, rauszugehen und<br />

mich zu zeigen. Das größte Problem dabei ist die eigene<br />

Angst, durch die ich manchmal falsche Eindrücke auf die<br />

Blicke und Reaktionen anderer projiziere. Je selbstbewusster<br />

ich mich gebe, desto geringer ist die Chance, abfällige<br />

Blicke zu kassieren oder den Ausdruck in den Gesichtern<br />

falsch zu deuten, weil ich erhobenen Hauptes alles anders<br />

wahrnehme. Das ist leichter gesagt als getan, aber meiner<br />

Meinung nach die einzig richtige Einstellung. Ich hatte<br />

natürlich auch negative Erlebnisse. Es gab diese Momente,<br />

da wurden auf einmal die Köpfe zusammengesteckt, es<br />

wurde noch mal ein flüchtiger Blick zu mir geworfen oder<br />

das Gesicht wurde verzogen. Auch solche Kleinigkeiten<br />

sind verletzendselbst wenn ich weiß, dass die Menschen es<br />

einfach nicht gewohnt sind und deshalb so reagieren.<br />

Ich hab auch positive Erinnerungen, beispielsweise das<br />

Coming-out bei meinem Hausarzt, der empathisch und<br />

verständnisvoll reagiert hat. Es wird wohl noch eine Weile<br />

dauern, bis ich völlig entspannt rausgehen kann. Ob das<br />

auch an der Region liegt, kann ich nicht genau sagen, dazu<br />

stören meine eigenen Unsicherheiten noch zu sehr meine<br />

Objektivität.<br />

Der Anblick deines Gesichts würde dich unglücklich<br />

machen, hast du gesagt. Warum denn das?<br />

Apropos Unsicherheiten. Ich weiß, wie das klingt, aber ich<br />

kenne meinen Körper besser als jeder andere und somit<br />

auch jedes Detail, das mehr an einen Mann erinnert als an<br />

eine Frau. Diese Details fühlen sich falsch an, seit meiner<br />

Kindheit. Das ist kein gutes Gefühl. Es kann mich in die<br />

Verzweiflung treiben, weil ich es selbst unzählige Male<br />

hinterfrage, und je mehr ich es hinterfrage, desto komplizierter<br />

wird es. Es lässt sich einfach nicht wegargumentieren.<br />

Beim Anblick meines Gesichts ist diese Emotion aus<br />

verschiedenen Gründen besonders stark. Zum einen, weil<br />

es das wichtigste Kommunikationswerkzeug des Menschen<br />

ist. Wir schauen uns ins Gesicht, um einander zu<br />

erkennen. Zum andern bin ich, da ich auch Porträts male,<br />

gut darin geübt, Gesichtsmerkmale zwischen Mann und<br />

Frau zu unterscheiden. Da stechen diese Details für mich<br />

besonders heraus. Egal wie kontrovers dieses Thema auch<br />

sein mag, ich weiß eines ganz genau: Zu denken, dass das<br />

nur Oberflächlichkeiten und die inneren Werte viel wichtiger<br />

sind, hat mir nie geholfen.<br />

*Interview: Michael Rädel<br />

elen-art.de

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