Society 364 / 2012
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Diversität<br />
Interview<br />
mit anderen Institutionen wie der NGO Zivilcourage<br />
und Anti-Rassismus-Arbeit (kurz: ZARA) oder<br />
dem Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte<br />
von Diskriminierungsopfern.<br />
Welche Arten von Diskriminierung fallen in<br />
den Zuständigkeitsbereich dieser Einrichtung?<br />
In unseren Zuständigkeitsbereich fallen im<br />
Grunde genommen alle Diskriminierungsmerkmale.<br />
Diese können beispielsweise mit Alter, Behinderung,<br />
ethnischer Zugehörigkeit oder etwa<br />
Religion in Zusammenhang stehen. Im Wiener<br />
Antidiskriminierungsgesetz sind besonders<br />
Schwangerschaft und Elternschaft fortschrittliche<br />
Themen. Nur die Gleichstellung von Geschlechtern<br />
und die gleichgeschlechtliche und<br />
Transgender-Lebensweise fällt nicht in unseren<br />
Zuständigkeitsbereich. Mit Ausnahme von diesem<br />
Bereich sind wir jedoch wie gesagt für sämtliche<br />
Belange zuständig.<br />
Mit welchen Diskriminierungsmerkmalen sehen<br />
Sie und Ihre Mitarbeiter sich am häufigsten<br />
konfrontiert?<br />
Das ist schwer zu sagen. Wir sind immer wieder<br />
mit Diskriminierungen, die sich in Bezug auf<br />
Alter ereignen, konfrontiert. Aber auch Diskriminierungen<br />
auf Grund von ethnischen Zugehörigkeiten<br />
spielen stets eine zentrale Rolle in unserem<br />
Arbeitsbereich.<br />
Welche Hilfestellungen werden bei der Stelle<br />
zur Bekämpfung von Diskriminierungen konkret<br />
geleistet?<br />
Wir sind sehr darum bemüht, jedes Problem,<br />
jeden Konflikt für jede betroffene Person, die in<br />
die Regelungskompetenz des Landes Wien fällt,<br />
bestmöglich zu lösen. Unsere Hilfestellungen<br />
fangen bei Beratungen an und gehen zu runden<br />
Tischen mit meditativen Gesprächen bis hin zum<br />
Schlichtungsverfahren über. Durch die Gesetzes-<br />
Novellierung des Wiener Antidiskriminierungsgesetzes<br />
von 2010 hat eine Person, die Diskriminierung<br />
erfahren hat, erstmals das Recht, Anspruch<br />
auf Schadenersatz zu erheben. Damit ein Fall zu<br />
Gericht gelangen und somit Schadenersatz erzielt<br />
werden kann, muss vorab in unserer Einrichtung<br />
ein Schlichtungsverfahren stattgefunden haben.<br />
Werden Hilfestellungen auch bei Diskriminierungen,<br />
die „nur“ auf rein sprachlicher Ebene<br />
stattfanden, geleistet?<br />
Ja. Diskriminierungen drücken sich schließlich<br />
durch Handlungen gleichermaßen wie durch<br />
Sprache aus. Diskriminierende Äußerungsformen<br />
können auf Wort-, Satz- oder Textebene stattfinden.<br />
Ob Schimpfwörter, Beleidigungen, Vorurteile,<br />
diskriminierende Witze, Abwertungen oder<br />
andere Angriffe: Die Stelle zur Bekämpfung von<br />
Diskriminierungen leistet bei jeder Form von Diskriminierung<br />
– ob bewusster oder unbewusster,<br />
mittelbarer oder unmittelbarer, direkter oder indirekter,<br />
Hilfestellung.<br />
»Bewusstseinsbildung<br />
ist<br />
wichtig, da es<br />
sich zugleich<br />
um präventive<br />
Arbeit handelt.<br />
«<br />
Shams<br />
Asadi<br />
curriculum<br />
vitae<br />
ipl.Ing.in Shams<br />
Asadi wurde am<br />
D16.05.1963 in Iran<br />
(Täbriz) geboren. Nach der<br />
Absolvierung des Studiums<br />
Raumplanung an der TU<br />
in Wien begann sie bei der<br />
Gebietsbetreuung mit dem<br />
Schwerpunkt Stadterneuerung<br />
zu arbeiten. In der<br />
Magistratsabteilung waren<br />
ihre Themen Gender Mainstreaming,<br />
Diversität. Ihre<br />
Projekte fanden sogar auf<br />
europäischer und internationaler<br />
Ebene statt. Sie wurde<br />
auch in der Stadtverwaltung<br />
tätig und war Stabsstellenleiterin<br />
an der Wiener MA<br />
18 (Stadtentwicklung und<br />
Stadtplanung). Seit 2009 ist<br />
sie stellvertretende Leiterin<br />
der Stelle zur Bekämpfung<br />
von Diskriminierungen und<br />
wirkt zudem im Menschenrechtsbeirat.<br />
Außerdem ist<br />
sie Mitglied der Gleichbehandlungskommission<br />
für<br />
Wiener Landeslehrerinnen<br />
und Landeslehrer, Vize-<br />
Präsidentin des Vereins<br />
MiM (MiA in Motion) sowie<br />
Vorstandsmitglied des Kulturvereins<br />
„SOHO“ in Wien.<br />
Wie kann eine Person, die diskriminiert wurde,<br />
am besten reagieren? Würden Sie ihr raten,<br />
sich umgehend an diese Einrichtung zu wenden?<br />
Ja. Je schneller, desto besser. Die betroffene Person<br />
braucht vor allem genau dann Hilfe, solange<br />
die Situation noch gegenwärtig ist. Ideal ist es,<br />
wenn uns die diskriminierte Person selbst kontaktiert.<br />
Dann kann sofort ein kostenloses Gespräch<br />
geführt werden. Wichtig ist aber, dass die oder der<br />
Betroffene überhaupt den Schritt macht, uns anzurufen<br />
oder zu uns zu kommen. Dies erfordert<br />
seitens der verletzten Person etwas Mut. Diskriminierung<br />
jedoch wahrzunehmen und nicht zu verdrängen<br />
oder zu verleugnen ist aus zwei Gründen<br />
wichtig. Zum Einen, um die angegriffene Person<br />
zufrieden zu stellen und zum Anderen, um den<br />
„Täter“ aufzuklären. Wir haben bereits oftmals<br />
die Erfahrung gemacht, dass sich Personen ihrem<br />
diskriminierenden Verhalten gar nicht bewusst<br />
sind. Daher ist es unsere Aufgabe, auf solch ein<br />
Verhalten hinzuweisen, Erklärungen zu geben<br />
und so Diskriminierungen langfristig entgegen<br />
zu wirken.<br />
Ist ein Einverständnis der betroffenen Person<br />
für ein Zustandekommen eines Verfahrens notwendig?<br />
Ja. Ohne Einverständnis können wir gar nichts<br />
machen. Wir brauchen das Einverständnis auch, um<br />
die Person, von der die Diskriminierung ausging,<br />
kontaktieren zu dürfen. Es handelt sich hier um<br />
sehr emotionale Arbeit. Die Diskriminierung per<br />
se löst ja schon negative Gefühle aus. Das Problem<br />
ist zudem, dass es nicht nur Kraft abverlangt, sich<br />
gegen Diskriminierung aktiv zu wehren. Betroffene<br />
Personen fürchten sich nämlich auch davor, danach<br />
bloß noch mehr diskriminiert zu werden. Dieses<br />
Phänomen nennt man im Fachjargon Viktimisierung.<br />
Durch Aufklärungsarbeit versuchen wir auch<br />
dieser Problematik entgegenzuwirken.<br />
Wie sehen Sie die Zukunft dieser Einrichtung?<br />
Werden Sie voraussichtlich eher mehr<br />
Mitarbeiter einstellen müssen, oder besteht die<br />
Chance, dass sich unsere Gesellschaft zu so viel<br />
mehr Toleranz und gegenseitigen Respekt entwickelt,<br />
dass eine solche Einrichtung eines Tages<br />
etwa gar nicht mehr gebraucht wird?<br />
Letzteres ist eine sehr wünschenswerte, schöne<br />
Vorstellung für mich und ich hoffe, dass wir<br />
eines Tage so eine Situation erleben werden. Aber<br />
die Realität ist so, dass wir noch ein bisschen von<br />
solch einer optimalen Situation entfernt sind. Ich<br />
habe das Gefühl, dass die Stelle zur Bekämpfung<br />
von Diskriminierungen noch nicht allzu bekannt<br />
ist. Es ist jedoch sehr wichtig, dass jede und jeder<br />
über die Existenz unserer und ähnlicher Stellen<br />
informiert ist, damit sich diskriminierte Personen<br />
an jemanden wenden können, sie Hilfe erfahren<br />
und zugleich präventive Arbeiten geleistet werden<br />
kann. Die Bewusstseinsbildung ist wesentlicher<br />
Bestandteil des Prozesses zur Verbesserung eines<br />
harmonischen Miteinanders.<br />
•<br />
<strong>Society</strong> 2_2013 | 127