11.03.2019 Aufrufe

Berliner Kurier 10.03.2019

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

18 JOURNAL BERLINER KURIER, Sonntag, 10. März2019<br />

Es gibt kein Entkommen:<br />

Regierungstreue Soldaten<br />

haben auf der Großen Frankfurter<br />

Straße (heute Karl-Marx-Allee)<br />

Aufständische im Visier.<br />

Kaiser ging, die Generäle blieben“<br />

von Theodor Plievier,<br />

1932 erstmals veröffentlicht,<br />

2018 neu aufgelegt. „Da taucht<br />

mein Onkel auf. Es ist ein Roman,<br />

enthält aber viel Biografisches<br />

–und mein Onkel und<br />

Plievier kannten sich.“<br />

11. März 1919, Französische<br />

Straße 32. Die Matrosen haben<br />

Befehl erhalten, sich bei der<br />

dortigen Kassenverwaltung<br />

einzufinden, sie sollen ihre<br />

Entlassungspapiere und ihren<br />

Restsold erhalten. Was sie<br />

nicht wissen: Eine Kompanie<br />

des Freikorps Reinhard hat das<br />

Gebäude frühmorgens besetzt.<br />

Dessen Soldaten, etwa 50<br />

Mann, setzen die Matrosen im<br />

Innenhof gefangen.<br />

Mehr und mehr Matrosen<br />

treffen ein, schnell sind es über<br />

200. Der verunsicherte kommandierende<br />

Oberleutnant Otto<br />

Marloh bittet bei Oberst Wilhelm<br />

Reinhard um Verstärkung.<br />

Ein Hauptmann gibt daraufhin<br />

einem Leutnant den<br />

Auftrag: „Bestellen Sie dem<br />

Oberleutnant Marloh, dass<br />

Oberst Reinhard sehr wütend<br />

sei, weil er gegen die 300 Matrosen<br />

zu schlapp vorgehe. Er<br />

solle in ausgiebigstem Maße<br />

von der Waffe Gebrauch machen,<br />

und wenn er 150 Mann<br />

erschösse.“<br />

Nach Intervention eines<br />

Hauptmanns, der die Reichbankwache<br />

befehligt und den<br />

vermutlich Angehörige von<br />

Matrosen herbeigerufen<br />

haben, lässt Marloh davon ab.<br />

Stattdessen wählt er 32 Matrosen<br />

aus, die Anzüge und Wertsachen<br />

wie Uhren und Ringe<br />

tragen –und lässt mit einem<br />

Maschinengewehr auf sie<br />

schießen.<br />

„Die Erschießung selbst war<br />

das Schrecklichste, was ich je<br />

erlebt habe“, berichtet ein Augenzeuge.<br />

„Die Gefangenen<br />

wurden im Hof in eine Ecke gestellt.<br />

Es wurde minutenlang<br />

auf sie gefeuert, und das Schreien<br />

und Jammern, das zu uns<br />

heraufdrang, war entsetzlich.“<br />

Freikorpssoldaten fleddern die<br />

Toten. Zwei Matrosen überleben<br />

das Massaker, sie stellen<br />

sich im Haufen der Leichen tot.<br />

Gerd Bonczyk hat den Totenschein<br />

seines Onkels gefunden,<br />

im Landesarchiv Berlin. Er hat<br />

und der USPD (Lärm und Zwischenruf:<br />

„Unverschämte Lüge!“)<br />

„Getan habe ich, was ich<br />

gegenüber dem Reiche und<br />

dem Volke für meine Pflicht<br />

hielt. Ich scheue das Urteil unserer<br />

Nation nicht.“<br />

Drei Tage darauf endet der<br />

Belagerungszustand. Nach Angaben<br />

von Noske haben die<br />

Kämpfe 1200 Menschenleben<br />

gefordert, davon sind 75 der<br />

Regierungsseite zuzurechnen.<br />

Andere vermuten bis zu 2000<br />

Todesopfer.<br />

Schätzungsweise 4500 Menschen,<br />

darunter um die 250<br />

Matrosen aus der Französischen<br />

Straße, kommen in Haft.<br />

Das Verfahren gegen die Matrosen<br />

endet nach wenigen Tagen;<br />

es gibt keine Beweise für<br />

eine strafbare Handlung.<br />

Nicht wegen Mordes, sondern<br />

wegen Totschlags und<br />

Missbrauchs der Dienstgewalt<br />

muss sich Oberleutnant Otto<br />

Marloh vor Gericht verantworten.<br />

Er beruft sich auf den Noske-Schießerlass<br />

und wird freigesprochen.<br />

In der Urteilsbegründung<br />

heißt es, „daß die Erschießun-<br />

Freikorps-<br />

Eskorteins<br />

Gefängnis<br />

4500 Personen kommen<br />

in Haft,tatsächliche und<br />

vermeintliche Aufständische.<br />

eine Kopie davon mitgebracht.<br />

Der linke Teil des Papiers, datiert<br />

auf den 25. März 1919, bestätigt<br />

den Tod eines unbekannten,<br />

etwa 24 Jahre alten<br />

Mannes; der rechte Teil vom<br />

26. Juni nennt die Identität des<br />

Toten: Lorenz Jakob Bonczyk.<br />

Einen Tag nach dem Massaker<br />

in der Französischen Straße,<br />

am 12. März, fällt in der<br />

Frankfurter Allee/Ecke Möllendorfstraße<br />

die letzte Barrikade<br />

der Aufständischen. In einem<br />

gegenüberliegenden Gasthof<br />

macht ein „Militärgericht“<br />

mit tatsächlichen und vermeintlichen<br />

Aufrührern kurzen<br />

Prozess: Bis zum 13. März<br />

werden mindestens elf Personen<br />

an der Mauer des städtischen<br />

Friedhofs an der Möllendorfstraße<br />

erschossen.<br />

Reichswehrminister Noske<br />

verkündet am 13. März vor der<br />

Nationalversammlung in Weimar:<br />

Der Aufstand sei niedergeschlagen.<br />

(Beifall.) Dass es zu<br />

Mord und Plünderung kam,<br />

gehe auf „das Schuldkonto einiger<br />

Blätter“, allen voran „Die<br />

Rote Fahne“ und „Die Freiheit“,<br />

den Zeitungen der KPD

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!