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Berliner Zeitung 21.03.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 67 · D onnerstag, 21. März 2019 – S eite 1<br />

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Kulturkalender<br />

DER WOCHENÜBERBLICK VOM 21. BIS 27. MÄRZ 2019<br />

Filmtipps<br />

Kinoprogramm<br />

Literatur<br />

Ausstellungen<br />

Konzerte<br />

Bühne<br />

Seiten 2&3<br />

Seiten 2–6<br />

Seite 6<br />

Seite 7<br />

Seite 7<br />

Seite 8<br />

Der Theaterschauspieler<br />

Jens Harzer ist ein Künstler<br />

des Zwischenreichs.<br />

Als Sprecher ein Sänger<br />

mit seiner hellen, fliegenden, fragenden<br />

Stimme. Als Spieler ein die Pose<br />

verweigernder Tänzer, der mit<br />

schlenkernden Bewegungen und<br />

hängenden Schultern dennoch das<br />

Energiezentrum jeder Aufführung<br />

ist. Ein dialektischer und zugleich<br />

träumerischer Darsteller, selbstzerstörerisch<br />

und strahlend.<br />

Im <strong>Berliner</strong> Theater kennt man<br />

Harzer vor allem als Astrow, als Arzt<br />

in Tschechows „Onkel Wanja“, Partner<br />

vonUlrich Matthes in der Inszenierung<br />

vonJürgen Gosch am Deutschen<br />

Theater. Zusammen wurden<br />

sie 2008 bei der Kritikerumfrage der<br />

Zeitschrift Theater heute dafür zum<br />

„Schauspieler des Jahres“ gewählt.<br />

Seine zweite solche Auszeichnung,<br />

diesmal allein, erhielt Harzer 2011<br />

für die Rolle des Erzähler-Ichs in Peter<br />

Handkes „Immer noch Sturm“,<br />

inszeniert von Dimiter Gotscheff<br />

am Hamburger Thalia Theater, dessen<br />

Ensemblemitglied Harzer seit<br />

2009 ist.<br />

Mit beiden Regisseuren, Gosch<br />

(der 2009 starb) und Gotscheff (der<br />

2013 starb) arbeitete Harzer nur<br />

einmal, aber in beiden Fällen wie<br />

für die Ewigkeit. „Onkel Wanja“ ist<br />

noch zu sehen, und auch wenn das<br />

Thalia Theater „Immer noch Sturm“<br />

nach knapp acht Jahren Laufzeit<br />

jetzt aus dem Programm nimmt, hat<br />

die formale Kraft, Musikalität und<br />

menschliche Intensität dieser Arbeit<br />

für die Behandlung von zeitgenössischen<br />

Texten im Theater Maßstäbe<br />

gesetzt. Dass das Thalia Theater<br />

die letzten beiden Vorstellungen<br />

dieser Produktion jetzt –als Solidarbeitrag<br />

für die Volksbühne –inBerlin<br />

zeigt, ist also ein echtes Geschenk.<br />

Außer Jens Harzer spielen<br />

auch Bibiana Beglau und Hans Löw<br />

mit, Oda Thormeyer oder Tilo Werner.<br />

Handke schrieb „Immer noch<br />

Sturm“ 2010. Es ist ein stark biografisch<br />

gefärbtes Erinnerungsstück<br />

an eine (seine) slowenische Familie<br />

im österreichischen Kärnten während<br />

der Nazizeit, an die Erfahrung<br />

der Unterdrückung, desWiderstands,<br />

Der Sprechkünstler<br />

Jens Harzer in<br />

Handkes „Immer noch<br />

Sturm“ ,einer<br />

Gotscheff-Inszenierung<br />

des Thalia Theaters<br />

Hamburg, die als<br />

Solidargastspiel in der<br />

Volksbühne ihre Derniere<br />

Anrufung<br />

der Ahnen<br />

erleben wird<br />

VonPetraKohse<br />

Mit lasziver Dringlichkeit spielt Jens Harzer in „Immer noch Sturm“ die Erinnerung selbst, die das pralle Leben ins Recht setzen oder zu Staub zerfallen lassen kann.<br />

ARMIN SMAILOVOC<br />

dessen Zerschlagung, an die Hoffnung<br />

auf kulturelle Akzeptanz nach<br />

Kriegsende und die darauf folgende<br />

Resignation. Der erzählerische Trick<br />

ist der einer Beschwörung: Sein Ich<br />

lässt erinnernd auferstehen, was er<br />

selbst gar nicht bewusst erlebt haben<br />

kann, was aber auf ihn gekommen ist<br />

als stummes Erbe,das er durch seine<br />

Sprache erlöst.<br />

Der Schauplatz ist ein beleuchtetes<br />

Rund auf leerer Bühne, auf das<br />

Kathrin Brack die meiste Zeit Blätter<br />

rieseln lässt, als wären diese die Zeit<br />

selbst, die alles zu bedecken sucht.<br />

Jens Harzer sitzt zunächst am Rand,<br />

mit dunklen Brillengläsern, wie<br />

Handke sie als junger Mann eine Zeitlang<br />

tragen musste, eine schmale,<br />

beiläufige Gestalt, deren Sprechen<br />

(siehe oben) aber der Engelsruf ist,<br />

der die Welt der Ahnen hervorlockt:<br />

die Großeltern, die Mutter,deren vier<br />

Geschwister, die unterschiedliche<br />

Wege gehen und einander sogar verraten,<br />

ohne sich je wirklich zu verlassen.<br />

Harzer beschreibt und beobachtet<br />

sie, treibt sie an und umkreist sie<br />

tröstend, dazu Akkordeonmusik von<br />

Sandy Lopicic.<br />

Die Sprachbehandlung ist hier<br />

insgesamt visionär. Harzers wie körperlose,<br />

Bilder schaffende Anrufung<br />

rahmt das konkret erlebende Sprechen<br />

der Familie,das sich teilweise zu<br />

Chorpassagen verdichtet, dann wieder<br />

entschieden auseinanderstrebt.<br />

In einer Art lasziven Dringlichkeit<br />

spielt Harzer die Erinnerung selbst,<br />

die das pralle Leben mit der einen<br />

Handbewegung ins Recht setzen, mit<br />

der anderen zu Staub zerfallen lassen<br />

kann –Privileg des Erzählers, dessen<br />

Rolle Handke so liebt, weil er immer<br />

wieder beginnen und Fragen so<br />

lange stellen kann, bis es rein gar<br />

keine Antworten mehr gibt.<br />

„Es ist immer noch Sturm“ schreit<br />

Harzers Ich amEnde in einem langen<br />

Monolog gegen das Vergessen<br />

an, wohl wissend, dass die Aufmerksamkeit<br />

derWelt längst woanders ist,<br />

immer weg, nie da, wo man sie<br />

braucht, ein Letzter seiner Art, tief<br />

berührend und dann auch er verstummt.<br />

ImmernochSturm Gastspiel am 21./22.3.,<br />

19 Uhr,Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz<br />

Der Komponist Alexander Zemlinsky<br />

war mit geradezu spektakulärer<br />

Hässlichkeit gesegnet. So behauptet<br />

Zwerg im Spiegel<br />

es jedenfalls Alma Schindler,<br />

die um 1900 als die schönste Frau<br />

Wiens galt. Zemlinsky war Almas<br />

Musiklehrer und vermochte sein Äußeres<br />

durch geistreiche Intelligenz<br />

zu kompensieren: Nach zahlreichen<br />

Affären landete auch die schönste<br />

VonPeter Uehling<br />

Frau Wiens eines Tages in seinem<br />

Bett. Er liebte sie,sie jedoch tändelte<br />

weiter in der Gesellschaft herum und vollends erledigt. Undder Endvierziger<br />

heiratete nach zwei Jahren den nicht<br />

Zemlinksy hielt an seiner spätro-<br />

wesentlich attraktiveren, aber auf mantischen Opulenz und Kompliziertheit<br />

der Karriereleiter bereits ganz oben<br />

fest, als sich bei Strawinsky<br />

angelangten Gustav Mahler.<br />

oder Hindemith neue stilistische<br />

Als Zemlinsky nach dem Ersten Moden herausbildeten und sein<br />

Weltkrieg aus Oscar Wildes grausamem<br />

Schwager Arnold Schönberg sich<br />

„Geburtstag der Infantin“ eine ganz anders orientierte. So hatte<br />

Oper machte,lag die Sache mit Alma „Der Zwerg“ wenig Aussichten auf<br />

schon 17 Jahre zurück, seine eigene Erfolg –und hatte ihn auch nicht.<br />

Eheschließung zwölf Jahre. Alfred Zemlinsky jedoch war die Geschichte<br />

Kerr hatte die abklingende deutsche<br />

offenbar wichtig: Die Prin-<br />

Wilde-Begeisterung, die auch Erfolgsstücke<br />

zessin bekommt zum Geburtstag eilome“<br />

wie RichardStrauss’„Sanen<br />

hässlichen Zwerggeschenkt, der<br />

inspirierthatte,mit den skeptischen<br />

sich sofort insie verliebt und ihr ein<br />

Worten, Wilde sei kaum Lied singt – zu ihrem grausamen<br />

mehr als ein Stilkünstler gewesen, Amüsement macht sie ihm noch Der Zwerg (Mick Morris Mehnert) und Donna Clara (Elena Tsallagova). MONIKA RITTERSHAUS<br />

Vonbeeindruckender emotionaler Reife, großer Schönheit und auch sehr bühnenwirksam:<br />

ein Einakter von Alexander von Zemlinsky an der Deutschen Oper<br />

Hoffnung. Er redet sich eine Zukunft<br />

mit ihr ein, bis er in einem Spiegel<br />

sein Gesicht sieht und aus Schreck<br />

über seine Erscheinung stirbt.<br />

„Der Zwerg“ ist wie alles von<br />

Zemlinsky von beeindruckender<br />

emotionaler Reife, großer Schönheit<br />

und darüber hinaus auch sehr bühnenwirksam.<br />

Allerdings stellt sich<br />

bei einem Einakter von etwa 80 Minuten<br />

Dauer die Frage: Womit kombiniert<br />

man ihn? An der Deutschen<br />

Oper,ander Tobias Kratzer das Werk<br />

inszeniert, wird ihm Schönbergs<br />

„Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“<br />

vorangestellt, Musik zu einem<br />

imaginären Film, den man sich<br />

durchaus als expressionistisches<br />

Schauerstück vorstellen darf, wie sie<br />

zur Entstehungszeit des „Zwergs“<br />

viel gedreht wurden.<br />

Wie diese konzertante Beigabe,<br />

wie die Oper dirigiert von Donald<br />

Runnicles, mit dem zusammenhängt,<br />

was Kratzer inszenieren<br />

möchte, wird man sehen. Er bringt<br />

auch Alma und Alexander auf die<br />

Bühne, aber der Everding-Schüler<br />

Kratzer rückt den autobiografischen<br />

Hintergrund in die allgemeine Perspektive<br />

eines Künstlerdramas: Die<br />

Titelfigur ist sowohl als Tenor präsent<br />

als auch als kleinwüchsiger Darsteller,<br />

der ein Orchester dirigieren<br />

will –Zemlinsky war auch Dirigent.<br />

Daneben geht es um Selbstbilder<br />

und Fremdwahrnehmungen, die<br />

man möglichst nach dem Selbstbild<br />

manipulieren möchte –inZeiten digitaler<br />

Selbstdarstellungsorgien ein<br />

gewichtiges Thema.<br />

Alexander von Zemlinsky: Der Zwerg<br />

Premieream24. 3., 18 Uhr,weitere Aufführungen:<br />

27. &30. 3.,7.&12. 4., DeutscheOper<br />

Berlin, Bismarckstr.35

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