Berliner Zeitung 12.04.2019
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16 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 86 · F reitag, 12. April 2019<br />
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Brandenburg<br />
Die Grünen und das Land<br />
Brandenburg haben ein<br />
schwieriges Verhältnis.<br />
Die Ökopartei war zwar<br />
nach dem Ende der DDR an der ersten<br />
Landesregierung beteiligt, dann<br />
aber 15 Jahre lang nicht im Landtag.<br />
Erst 2009 gelang ihnen mit 5,7 Prozent<br />
knapp der Sprung ins Parlament,<br />
2014 waren es dann auch nur<br />
6,2 Prozent. Nunaber stehen die Zeichen<br />
für die Wahl im September auf<br />
Erfolg: Seit Monaten sind die Grünen<br />
in allen Umfragen zweistellig. Da<br />
sich bei den anderen Parteien bislang<br />
keine Mehrheit für irgendein<br />
realistisches Zweierbündnis abzeichnet,<br />
werden sie wohl in jedem<br />
Fall als dritter Partner gebraucht. Ein<br />
Gespräch mit der Spitzenkandidatin<br />
Ursula Nonnemacher über die Rolle<br />
der Grünen als Königsmacher, über<br />
Zugverbindungen auf dem Land und<br />
ihreSicht auf die AfD.<br />
Frau Nonnemacher, die Grünen sind<br />
mit sechs Abgeordneten die kleinste<br />
Fraktion im Landtag. Wie fühlen sie<br />
sich als potenzieller Königsmacher,<br />
die vermutlich entscheiden können,<br />
wer mit wem eine Regierung bildet?<br />
Wirsind klein, konnten aber auch<br />
aus der Opposition heraus viel bewirken.<br />
Einige Änderungen der Regierungskoalitionen<br />
gehen auf Vorschläge<br />
von uns zurück. Eines der<br />
besten Beispiele ist das Parité-Gesetz.<br />
Aber natürlich freuen wir uns,<br />
nun in einer ganz anderen Lage zu<br />
sein. Bei den letzten Wahlen war die<br />
Frage: Schaffen es die Grünen überhaupt<br />
in den Landtag? Jetzt schneiden<br />
wir in Umfragen zweistellig ab.<br />
Haben Sie sich für die Wahl ein konkretes<br />
Ziel gesetzt?<br />
Zweistellig im unteren Bereich.<br />
Konkreter werde ich nicht. Wir haben<br />
eine spannende, aber auch extrem<br />
schwer berechenbareSituation<br />
zurzeit. In Sachsen haben sich die<br />
Grünen von sieben auf 16 Prozent<br />
mehr als verdoppelt. Da haben wir<br />
uns die Augen gerieben. Wir befinden<br />
uns in den ostdeutschen Ländernineinem<br />
Umbruch.<br />
Wiemacht sich das bemerkbar?<br />
Wir freuen uns sehr über Zuwachs<br />
bei unseren Mitgliedern: Allein<br />
im letzten Jahr 26 Prozent mehr,<br />
inzwischen sind wir 1554 Grüne in<br />
Brandenburg. Das ist für Brandenburg<br />
eine echte Hausnummer. Aber<br />
wenn Sie das mit dem Kreisverband<br />
München-Stadt vergleichen – dort<br />
gibt es mehr als 2300 Mitglieder.<br />
Oder die <strong>Berliner</strong> mit mehr als 7500.<br />
Aber wir wachsen prozentual sehr<br />
stark. Und wir werden jünger, wir<br />
werden weiblicher.Das macht Mut.<br />
Auch in Brandenburg haben die Grünen<br />
die Zustimmung im Vergleich zu<br />
2018 auf zwölf Prozent verdoppelt.<br />
Im Bund aber schneiden sie noch viel<br />
stärker ab.Warum sind die Grünen in<br />
Brandenburg so schwach?<br />
Das hat auch mit der Geschichte<br />
zu tun: Zu Wendezeiten gab es nur<br />
ganz wenige Grüne in der DDR.<br />
Nach der friedlichen Revolution<br />
standen andere Fragen im Vordergrund<br />
–die Wiedervereinigung, der<br />
Wunsch nach Freizügigkeit und Angleichung<br />
der wirtschaftlichen Verhältnisse.<br />
Dahatten wir keinen starken<br />
Schub.Das ändertsich jetzt.<br />
In Brandenburg hört man auf dem<br />
flachen Land oft den Vorwurf: Wir<br />
wissen, wie Landleben geht. Das lassen<br />
wir uns von grünen Großstadt-<br />
Wessis nicht vorschreiben.Wächst die<br />
Zustimmung auch in kleinen Ortschaften?<br />
Ja, estut sich besonders dort etwas,wowir<br />
bisher sehr schwach waren.<br />
Wir stellen in vielen Kreis- und<br />
Ortsverbänden viel mehr Kandidaten<br />
für die Kommunalwahl auf –<br />
etwa in Königs Wusterhausen, in Eisenhüttenstadt,<br />
in Wittstock/Dosse.<br />
Ist der Grund für den wachsenden<br />
Zuspruch grüne Politik oder Protest<br />
gegen die AfD, die die Grünen als<br />
Hauptfeind sieht?<br />
Beides spielt eine Rolle. Unsere<br />
ökologischen Kernthemen sprachen<br />
früher nur eine bestimmte Klientel<br />
an, heute sind sie weit in der Mitte<br />
der Gesellschaft angekommen und<br />
interessieren Tausende Menschen.<br />
EinBeispiel?<br />
Der extreme Dürresommer 2018<br />
hat vielen Menschen klar gemacht,<br />
dass der Klimawandel auch sie betrifft.<br />
Ichbin mit meinem Mann letztes<br />
Jahr durch Brandenburgbis nach<br />
Mecklenburg geradelt. Da war es 40<br />
Grad heiß, das Land war braun und<br />
verdorrt, die Leute haben den Himmel<br />
nach Regenwolken abgesucht.<br />
Das Gefühl der persönlichen Betroffenheit<br />
ist jetzt da, auch durch die<br />
Themen Diesel-Skandal, Fahrverbote<br />
und die Jugendbewegung „Fridays<br />
for Future“, bei der Jugendliche<br />
sagen: IhrzerstörtunsereZukunft.<br />
Bei „Fridays for Future“ gehen auch<br />
schon Eltern mit ihren Kindergarten-<br />
Kindern mit. Inwiefern sehen Sie die<br />
Gefahr, dass der Protest der Jugendlichen<br />
instrumentalisiertwird?<br />
Ichbin da sehr vorsichtig. Wirhaben<br />
mit den Forderungen der Jugendlichen<br />
sehr viel gemeinsam, da<br />
passt kaum ein Blatt Papier dazwischen.<br />
Aber ich sage als Grüne: Wir<br />
dürfen sie nicht für uns vereinnahmen.<br />
Das ist eine eigenständige Jugendbewegung,<br />
die eine unglaubliche<br />
Wirkkraft entfaltet.<br />
Wieschätzen Siedie AfD ein?<br />
Die AfD ist in Brandenburg, genauso<br />
wie in Thüringen, ganz am<br />
rechten Rand angesiedelt. Das ist<br />
eine rechtsradikale Partei. Wenn<br />
man sich deren Landesliste anguckt,<br />
„Bei der Kohle ziehen wir<br />
unsere wenigen roten Linien“<br />
Serie zum Superwahljahr in Brandenburg:<br />
Ursula Nonnemacher von den Grünen erklärt, warum ihre Partei dieses Mal<br />
wohl wichtiger wird als je zuvor<br />
Ursula Nonnemacher will beweisen, dass die Grünen in Brandenburg auch regieren können.<br />
sind dort extrem viele Leute drauf,<br />
die aus dem völkisch-nationalen<br />
Flügel stammen, von Pegida oder<br />
von Zukunft Heimat kommen. Ich<br />
glaube,dass große Teile der AfD eine<br />
Gefahr für unsere Demokratie darstellen.<br />
Dasmacht mir Sorgen.<br />
Washalten Sie von Andreas Kalbitz,<br />
den Brandenburger AfD-Chef?<br />
Herr Kalbitz ist ein 100-prozentigerVertreter<br />
des völkisch-nationalen<br />
Flügels,der ganz nah dran ist an Höcke<br />
und regelmäßig bei Kyffhäuser-<br />
Treffen auftritt. Ich bin aber verhalten<br />
optimistisch, dass auch die Brandenburger<br />
inzwischen gemerkt haben,<br />
dass diese Partei außer Protest<br />
und Provokation keine Inhalte zu<br />
bieten hat. In der jüngsten Umfrage<br />
hat die Brandenburger AfD vier Prozentpunkte<br />
eingebüßt, sie liegt jetzt<br />
nur noch bei 19 Prozent. Auch in anderen<br />
Bundesländern sinken ihre<br />
Werte. Ichsehe da einen Trend.<br />
Wodurch, glauben Sie, wird dieser<br />
Trend ausgelöst?<br />
Die Partei ist zurzeit extrem zerstritten,<br />
weil sich einige gegen die totale<br />
Übernahme durch den Höcke-<br />
Flügel wehren. Es stiftet auch Unruhe,<br />
dass der Verfassungsschutz<br />
den „Flügel“ und die Junge Alternative<br />
zum Verdachtsfall erklärt hat.<br />
Mitglieder der rechtsextremen Identitären<br />
Bewegung gehen im Landtag<br />
ein und aus, die werden beschäftigt.<br />
ZUR PERSON<br />
Herkunft: Ursula Nonnemacher,61Jahre alt, wurde in Wiesbaden geboren. Sie studierte<br />
Medizin in Mainz, zog 1980 nach Berlin und arbeitete ab 1983 als Ärztin am Krankenhaus<br />
Berlin-Spandau. 1996 zog sie nach Falkensee. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.<br />
Politik: 2007 trat sie den Grünen bei, gründete den Ortsverband Falkensee mit und kam<br />
2009 in den Landtag.Seit 2017 ist sie Fraktionschefin. Bei der Landtagswahl im September<br />
ist sie zum zweiten Mal Spitzenkandidatin –dieses Mal gemeinsam mit Benjamin Raschke.<br />
Es merken immer mehr Leute, dass<br />
das keine Alternativesein kann.<br />
Ein Problem für eine mögliche grüne<br />
Regierungsbeteiligung in Brandenburg<br />
ist, dass alle anderen Parteien ja<br />
Kohleparteien sind …<br />
Naja, es gibt da Bewegung. Als ich<br />
2009 in den Landtag kam, da hieß<br />
das Spiel bei der Kohle immer: Fünf<br />
Grüne gegen den Rest der Welt. Da<br />
haben wir regelmäßig massive Empörung<br />
geerntet. Jetzt sagt selbst die<br />
CDU: Klar müssen wir den Strukturwandel<br />
vorantreiben.<br />
Aber das Ende der Kohleverstromung<br />
ist ein grünes Kernthema. Könnte<br />
daran eine Regierung scheitern?<br />
Ichbin in Zeiten vonschwierigen<br />
Regierungsbündnissen keine Freundin<br />
davon, mit extrem hohen Ansagen<br />
in Gespräche zu gehen. Aber in<br />
diesem Bereich ziehen wir die ganz<br />
wenigen roten Linien vorab.<br />
Diedawären?<br />
Mituns wirdeskeinen Aufschluss<br />
neuer Tagebaue geben. Welzow-Süd,<br />
Teilfeld 2, darf nicht mehr erschlossen<br />
werden, es darf kein weiteres<br />
Lausitzer Dorfabgebaggertwerden.<br />
Wie zufrieden sind Sie mit dem Datum:<br />
2038 will Deutschland aus der<br />
Kohleverstromung aussteigen?<br />
Für uns ist das natürlich zu spät.<br />
Wirwollen alles daran setzen, früher<br />
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />
aus der Kohle auszusteigen. Trotzdem<br />
ist der Kompromiss, der mühsam<br />
gefunden wurde, ein gutes Zeichen.<br />
Diese Empfehlung muss jetzt<br />
umgesetzt werden.<br />
Brandenburg ist auch Agrarland und<br />
Berlin der größte Bio-Supermarkt Europas.<br />
Könnte Brandenburg zu100<br />
Prozent Öko-Landbau betreiben?<br />
Es wäre schön, wenn es so wäre.<br />
Wir haben große Bio-Absatzmärkte,<br />
wie die Metropole Berlin. Aber wir<br />
produzieren gerade nicht genug. Wir<br />
waren mal Vorreiter im Öko-Landbau,<br />
inzwischen verharren wir seit<br />
Jahren bei einem Anteil um die elf<br />
Prozent. Da haben uns andere Bundesländer<br />
längst überholt.<br />
Wiehoch sollte der Öko-Anteil sein?<br />
Wir fordern bis 2030 einen Anteil<br />
der Öko-Landwirtschaft von 25Prozent,<br />
damit wir die hohe Nachfrage<br />
auch befriedigen können. Der <strong>Berliner</strong><br />
Senat will Kita- und Schulessen<br />
stärker auf regionale und Bio-Produkte<br />
umstellen und hat festgestellt:<br />
Brandenburg kann diese Bedarfe in<br />
keiner Weise befriedigen.<br />
Also wird die Agrarwende eines der<br />
zentralen Themen im Wahlkampf?<br />
Ja. Seit wir hier im Landtag sind,<br />
haben wir uns immer gegen Massentierhaltung<br />
ausgesprochen, immer<br />
wieder für Öko-Landbau. Kürzlich<br />
hat Agrarminister Jörg Vogelsänger<br />
von der SPD einen Insektengipfel<br />
ausgerufen, da können wir nur<br />
schmunzeln.<br />
WaserheitertSie daran?<br />
Jahrelang ist das Thema Artensterben<br />
hier nicht beachtet worden.<br />
In Bayern gab es gerade ein unglaublich<br />
erfolgreichesVolksbegehren, mit<br />
1,7 Millionen Menschen, die innerhalb<br />
von zwei Wochen unterschrieben<br />
haben. Jetzt, da eine solche Initiativeauch<br />
in Brandenburggeplant<br />
wird, da wird hier ein nicht-öffentlicher<br />
Insektengipfel ausgerufen. Das<br />
ist wenig glaubwürdig. Da sehen wir<br />
uns als Grüne als die wesentlich<br />
überzeugenderePartei.<br />
Mitwelchen Themen wollen sie beim<br />
Landtagswahlkampf noch punkten?<br />
Die Verkehrswende. Die rot-rote<br />
Landesregierung hat da viel verschlafen.<br />
So wurden Hunderttausende<br />
Zugkilometer abbestellt, obwohl<br />
das Pendleraufkommen um 60<br />
Prozent gewachsen ist. Im Speckgürtel<br />
sind die Züge hoffnungslos überfüllt.<br />
Und die Städte außerhalb des<br />
Speckgürtels fordern zuRecht eine<br />
bessere Anbindung, nach dem<br />
Motto: Kommt der Zug, kommt der<br />
Zuzug. Dasist ein urgrünes Thema.<br />
Wiesieht es bei sozialen Themen aus?<br />
Wir verstehen uns als Partei, die<br />
im linken Spektrum verankert ist.<br />
Soziale Themen sind bei uns ein echter<br />
Schwerpunkt: Wie wollen für Erzieherinnen,<br />
Lehrerinnen, Hebammen<br />
und Pflegekräfte gute Arbeitsbedingungen<br />
schaffen. Wir wollen<br />
für sie mehr Ausbildungsplätze, das<br />
Schulgeld abschaffen und eine bessereBezahlung.<br />
Mehr Erzieherinnen<br />
sollen kleinere Kita-Gruppen betreuen,<br />
die Hebammen sich wieder<br />
auf die Geburt konzentrieren können,<br />
statt den Kreißsaal zu putzen.<br />
Außerdem werben wir im Wahlkampf<br />
für eine offene Gesellschaft.<br />
Anzeige<br />
Lesen Sie am Wochenende<br />
Reise<br />
Typisch griechisch: Die nördlichen<br />
Sporaden sind sehr ursprünglich<br />
Weimar: Wiege der deutschen<br />
Klassik und des Bauhauses<br />
Wasbedeutet das für Siegenau?<br />
Wir haben es heute nicht mehr<br />
mit einem klassischen Rechts-Links-<br />
Denken zu tun, sondern mit kulturell-identitären<br />
Befindlichkeiten.<br />
Also Menschen, die sich nach traditionellen<br />
Verhältnissen zurücksehnen,<br />
die Mauern bauen, die Angst<br />
vorVeränderung haben. Undmit anderen,<br />
die Chancen sehen, die sich<br />
ein anderes Frauenbild wünschen,<br />
für die die Ehe für alle eine Selbstverständlichkeit<br />
ist. Wir verstehen die<br />
offene Gesellschaft als ein positives,<br />
mutiges Gesellschaftsbild. Dazu gehört<br />
auch der Kampf gegen Rechtspopulismus.<br />
Stichwort: Brandenburg als Wolfsland.<br />
Wie stehen sie dazu, dass manche<br />
Parteien Abschüsse fordern?<br />
Vor ein paar Jahren wurde die<br />
Angst vor angeblich marodierenden<br />
Asylbewerbernvon manchen ausgeschlachtet.<br />
Jetzt ist der Wolf das Horrorszenario,das<br />
sämtliche Ängste im<br />
Land wieder reaktiviert. Ich verkenne<br />
nicht, dass das Thema aufwühlt.<br />
Aber man muss auch ein bisschen<br />
auf dem Teppich bleiben.<br />
Hat die Politik sich zu spät um das<br />
Thema gekümmert?<br />
Wir tun viel: Wir betreiben Wolfsmanagement,<br />
wir haben eine Wolfsverordnung.<br />
Wir sind auch auf der<br />
Seite der Weidelandbesitzer und unterstützen,<br />
dass Zäune gebaut und<br />
die Verluste an gerissenen Tieren ersetzt<br />
werden. Trotzdem: Wir haben<br />
hier kein Gefahrenszenario, auch<br />
keine überbordenden Bestände.Der<br />
Wolf ist ein streng geschütztes Tier.<br />
Mit solchen Sätzen macht man sich<br />
nicht überall beliebt. Aber wir sollten<br />
einen kühlen Kopf bewahren.<br />
DasGespräch führten Jens<br />
Blankennagel und Annika Leister.