Berliner Kurier 18.04.2019
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HINTERGRUND<br />
Notstand in<br />
der Pflege<br />
Es wareines der großen<br />
Themen im Wahlkampf:<br />
Die Pfleger in den Kliniken<br />
arbeiten am Limit,werden<br />
selbst zu Kranken –weil<br />
Spahns<br />
Der Gesundheitsminister wollte mehr Personal in den<br />
Von<br />
FREDERIK BOMBOSCH<br />
und TINA FRIEDRICH<br />
der Stress siekaputt<br />
macht.Die Bundesregie-<br />
rung versprach Besserung<br />
und hat neue Regeln erlassen.<br />
Wirken sie?<br />
Der KURIER hat zusammen<br />
mit dem<br />
RBB recherchiert.<br />
Was mangelhafte<br />
Pflege<br />
ist, kann Susanne<br />
P.<br />
(Name geändert) genau<br />
erklären. Sie<br />
ist Krankenpflegerin<br />
in einem<br />
großen<br />
<strong>Berliner</strong><br />
Krankenhaus.<br />
Welches,<br />
das will sie in<br />
der Zeitung<br />
nicht erwähnt<br />
wissen. Wie<br />
es zugeht auf<br />
der kardiologischen<br />
Station,<br />
auf der sie<br />
arbeitet, darüber<br />
will sie<br />
aber sprechen.<br />
Viele<br />
Patienten<br />
sind stark<br />
eingeschränkt<br />
in ihrer<br />
Bewegungsfähigkeit,<br />
brauchen<br />
Hilfe bei einfachsten<br />
Verrichtungen. Doch die<br />
bekommen sie oft erst nach<br />
langem<br />
Warten. „Die Menschen liegen<br />
bis zu einerStunde in ihren Ausscheidungen“,<br />
sagt Susanne P.<br />
„Sie bekommen mitunter stundenlang<br />
keine Schmerzmittel<br />
und nichts zu trinken.“ Und egal,<br />
wie Susanne P. rackert –esreicht<br />
nie. Eine halbe Überstunde pro<br />
Tag, sagt sie, ist Standard. „Eine<br />
gute Schicht ist, wenn keiner gestorben<br />
ist.“<br />
Der Bericht der Krankenpflegerin<br />
ist auch deshalb erschütternd,<br />
weil die Bundesregierung versprochen<br />
hat, solche Missstände<br />
abzustellen. Im Herbst hat der<br />
Bundestag ein Gesetz und eine<br />
Verordnung beschlossen, die<br />
nach Überzeugung von<br />
Bundesgesundheitsminister<br />
Jens Spahn<br />
(CDU) eine Zeitenwende<br />
in der Pflege einläuten.<br />
„Wir wissen um die<br />
Vertrauenskrise“, sagte<br />
er im Herbst bei der<br />
Vorstellung seiner Pläne.<br />
Spahns Lösungsansatz: Die Kliniken<br />
müssen seit dem 1. Januar<br />
auf sogenannten pflegesensitiven<br />
Stationen –Kardiologie, Unfallchirurgie,<br />
Geriatrie und Intensivstationen<br />
– eine Mindestbesetzung<br />
beim Pflegepersonal einhalten.<br />
Für die Kardiologie heißt<br />
das, dass eine Pflegekraft pro<br />
Schicht höchstens zwölf Patienten<br />
betreut. Damit die Krankenhäuser<br />
diese Minimalregelung<br />
einhalten können, werden die<br />
Kosten für alle zusätzlichen Pflegekräfte,<br />
die sie einstellen, in vollem<br />
Umfang erstattet.<br />
Viele Pfleger<br />
gingen in<br />
Teilzeit oder<br />
wechselten den<br />
Beruf.Jetzt<br />
fehlen sie.<br />
Doch bewirken die neuen Regeln<br />
eineVerbesserung? Der <strong>Berliner</strong><br />
KURIER ist in einer gemeinsamen<br />
Recherche mit dem<br />
Rundfunk Berlin-Brandenburg<br />
(RBB) der Frage nachgegangen,<br />
wie sich die Situation in den <strong>Berliner</strong><br />
und Brandenburger Krankenhäusern<br />
seit Januar verändert<br />
hat. Wir haben mit Pflegekräften,<br />
Betriebsräten und Experten<br />
gesprochen und hatten<br />
Zugang zuinternen Daten. Das<br />
Bild, das sich abzeichnet, ist<br />
deutlich: Der Wandel inden Kliniken<br />
lässtauf sich warten.<br />
Susanne P. istzum Gespräch in<br />
einen Park gekommen. Esist einer<br />
ihrer freien Tage.<br />
Davon hat die junge<br />
Frau viele –wie so viele<br />
Pflegekräfte arbeitet sie<br />
nicht in Vollzeit. Das<br />
wäre zu anstrengend,<br />
sagt sie. Über die Pflegereformen<br />
hatsie ein klares<br />
Urteil: „Die Arbeitsbedingungen<br />
haben sich nicht<br />
verbessert.“ Die Erklärung dafür<br />
hat sie auch, sie weiß: In rund<br />
drei Viertel der Kliniken liegt die<br />
Personalausstattung eh über den<br />
Untergrenzen. Auch Gesundheitsminister<br />
Spahn sagt, es ginge<br />
darum, die am schlechtesten<br />
Krankenhäuser zu Verbesserungen<br />
zu zwingen. Man kann es<br />
aber auch andersrum betrachten.<br />
„Die schlechtesten sind zum<br />
Maßstabgeworden“, sagtSusanne<br />
P.<br />
Jahrelang haben die Krankenhäuser<br />
an der Pflege gespart –eine<br />
Reaktionauf die stetig sinkenden<br />
Zahlungen der Krankenkassen<br />
bekommen. Viele Pfleger<br />
gingen in Teilzeit oder<br />
„Wir wissen<br />
um den Vertrauensverlust“,<br />
sagte<br />
Jens Spahn<br />
im Herbst<br />
zur Pflege.<br />
Klinikum Brandenburg/Havel: Hier<br />
haben sich Chefs und Mitarbeiter<br />
auf mehr Personal geeinigt.