world of mtb Magazin Enduro & Trail 2019

GESCHICHTEN
Olargues – das Epizentrum der Mountainbike-Bergregion – gilt als eines der schönsten Dörfer Frankreichs. Jean Arcas, der überaus umtriebige Bürgermeister
und Rennorganisator mit markantem Vollbart und mitreißendem Enthusiasmus, hat seit 1983 das Vertrauen der aktuell 666 Einwohner.
Prolog
Das Radon Epic Enduro an den Hängen der Montagnes du Caroux ist
das wohl größte und schwierigste Enduro-Mountainbike-Rennen der
Welt. An einem Tag gilt es, drei Loops mit insgesamt zehn Stages zu
finishen. Organisiert wird es seit 2014 vom lokalen Bike Club Vélo Caroux
Haut Languedoc, in dem auch Lokalmatador und Mitorganisator
Théo Galy aufwuchs. Bereits zum dritten Mal in Folge unterstützt Radon
Bikes das außergewöhnliche Rennformat. Die Strecken werden
jedes Jahr neugestaltet; in diesem Jahr sind sechs Wertungsetappen
komplett neu. Das Absurde und zugleich Reizvolle am Rennen ist
die enorme Herausforderung: 118 Kilometer und 4.900 Höhenmeter
müssen bewältigt werden, hoch und runter. Alles aus eigener Kraft,
es gibt weder Shuttle noch Lifte. Gewertet werden die Zeiten der zehn
Stages, auf denen die schnellsten Athleten bis zu zwölf Minuten unterwegs
sind. Wer selbst Enduro-Rennen fährt, kennt das: Du fühlst die
Finger, Unterarme, Schultern, die brennenden Oberschenkel und die
schwindende Konzentration. Hier gleich zehnmal hintereinander. Los
geht es um halb fünf und fünf Uhr in zwei Wellen. Entsprechend fidel
sind die Frühaufsteher an der Startlinie; Kaffee und Croissants müssen
ihre Lebensgeister wecken. Neu in diesem Jahr: Bei der Epic Equipe,
einer Wertung für Dreier-Staffeln, gibt es eine eigene Zeitwertung für
E-Mountainbikes. Ein Akkuwechsel während der Etappe ist nicht möglich.
Einzeln startende Mountainbiker mit E-Unterstützung können jedoch
vor jedem neuen Loop im Fahrerlager den Akku tauschen. Ich
bin überrascht, dass der Anteil an E-Bikes noch relativ gering ist. In
den speziellen Kids-Klassen sieht man bereits die Helden zukünftiger
Mountainbike-Schlachten. Zimperlich geht man mit dem Enduro-Nachwuchs
nicht um: Die Strecken sind eine Auswahl der Original-Stages
der „Großen“. Vielleicht auch ein Grund, warum das sportliche Niveau
der französischen Enduro-Biker derart hoch ist.
Frühstart
3:30 Uhr: Mein Smartphone erinnert mich mit Eddie Vedders „Society“
daran, dass es Zeit zum Aufstehen ist. Ich lag ohnehin schon wach,
konnte nicht schlafen. Entweder das übermotivierte All-You-Can-Eatbeeinflusste
Carbo-Loading im China-Restaurant am Vorabend war
schuld – oder schlichtweg die Aufregung. Erkenntnis Nummer eins:
Beim nächsten Rennen potenzielle Schlafkiller weglassen!
Olargues ist normalerweise wohl einer der ruhigsten Orte, die man
sich vorstellen kann. Heute hämmern die Bässe aus den Boxen und
der gut gelaunte Moderator sorgt für Stimmung. Millionen von vermeintlichen
Sternen fallen glitzernd vom Himmel – leider sind es Regentropfen,
die das gleißende Licht der Lampen Hunderter von Bikern brechen.
Die Stimmung ist trotzdem ausgelassen. Es wird gescherzt und
gelacht. Etwas entspannter als bei Marathons, denke ich mir, hole mir
beim Radon-Service-Stand einen duftenden Kaffee und nehme letzte
Optimierungen an meinem Bike vor. Der selten verwendete, günstige
Strahler mit starker Lichtausbeute, aber schwacher Halterung, wird mit
Panzertape am Lenker fixiert. Leider unzureichend, wie ich bei der ersten
Stage feststellen muss.
120
world of mtb Nº3.19