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Berliner Zeitung 06.05.2019

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10 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 103 · M ontag, 6. Mai 2019<br />

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Stadtgeschichte<br />

Ein gut gelaunter Herr in<br />

mönchisch-schlichtem<br />

Gewand blickt von einer<br />

Grabplatte recht lebendig<br />

in die diesseitige Welt. Wirsehen keinen<br />

Entrückten, sondern einen offenbar<br />

dem schönsten Dasein Entrissenen.<br />

Frisur und Barttracht<br />

könnte man heute früh in der S-<br />

Bahn auch so gesehen haben. Dielateinische<br />

Inschrift teilt uns mit: „Am<br />

15. Mai imJahre des Herrn 1308 ist<br />

Conrad vonBelitz gestorben, dessen<br />

Seele in Frieden ruht. Amen.“<br />

Weil seine Nachfahren die Figur<br />

lebensgroß von einem Steinmetz in<br />

eine Sandsteinplatte ritzen ließen,<br />

kennen wir den dieser Tage vor 711<br />

Jahren Verstorbenen von Angesicht:<br />

den ältesten bildlich bekannten <strong>Berliner</strong>.<br />

Wann und wo er geboren<br />

wurde,liegt im Dunkel, es muss zwischen<br />

1250 und 1260 gewesen sein,<br />

es gibt keinen Beleg dafür,dass er im<br />

märkischen Beelitz zur Welt kam.<br />

Doch über sein Leben weiß man<br />

einiges. Beschäftigt man sich mit<br />

den überkommenen Urkunden<br />

schaut man der Doppelstadt Berlin/Cölln<br />

quasi beim Entstehen zu.<br />

Holz, Roggen und Tuche<br />

Der tüchtige<br />

Herr Conrad von Beelitz<br />

Der Fernhändler ist der älteste von Angesicht bekannte <strong>Berliner</strong>.Ermachte Geschäfte in<br />

Eine dieser Urkunden, verfertigt am<br />

10. April 1288, überliefert, dass Nicolaus<br />

de Lyzen, Johannes de Blankenfelde,<br />

Conradus quondum prefectus<br />

in Baruth, Conradus de Belitz,<br />

consules civitatis, dem <strong>Berliner</strong><br />

Schneidergewerk einen Innungsbrief<br />

erteilen. Es wird verfügt, dass<br />

<strong>Berliner</strong> Schneider die gleichen Gerechtigkeiten<br />

besitzen sollen wie<br />

jene der Stadt Brandenburg. Conrad<br />

vonBeelitz wirdhier als Mitglied des<br />

Rates von Berlin (consules civitatis)<br />

genannt. Diesem Gremium, das den<br />

Lauf der städtischen Dinge in der<br />

Stadt regelte,gehörten grundsätzlich<br />

die bedeutendsten Kaufleute an. So<br />

einer war der Herr vonBeelitz.<br />

Noch deutlicher wirddessen Stellung<br />

beim Blick in das Hamburger<br />

Schuldbuch. In dieser von 1288 an<br />

geführten Handschrift registrierten<br />

die Fernhändler laufende Geschäfte:<br />

Ein Schuldner anerkannte per Eintrag<br />

gegenüber seinem Partner noch<br />

ausstehende Zahlungen oder Warenlieferungen<br />

und versprach, alle<br />

Zusagen termingerecht zu erfüllen.<br />

Hier wirdKredit gegeben –also Glauben<br />

geschenkt, Vertrauen erwiesen,<br />

im ursprünglichen Sinn des Wortes.<br />

Es zeigt sich, dass die Geschäftspraxis<br />

weit über frühe Formen wie direkter<br />

Tausch oder Barzahlung hinausgekommen<br />

waren. Solche Geschäfte<br />

verzeichnet das Buch nicht.<br />

Aus ihm geht hervor, dass in der<br />

Entstehungszeit der Hanse märkische<br />

Kaufleute eine prominente<br />

Rolle spielten. Siekauften feine flandrische<br />

Tuche, Metalle, Salz, Gewürze,Heringe<br />

und andereProdukte<br />

der Seefischerei. Auf den hanseatischen<br />

Märkten verkauften sie Holz,<br />

grobe Leinwand und Agrarprodukte.<br />

Brandenburg belieferte seit dem 13.<br />

Jahrhundert die damaligen Getreidemangelgebiete<br />

im Westen und<br />

Norden. Den Studien des <strong>Berliner</strong><br />

Mittelalterforscher Eckard Müller-<br />

Merten zufolge sind Berlin/Cöllner<br />

Kaufleute zusammen mit Gentern,<br />

Utrechtern, Lüneburgern, Bremern<br />

und Lübeckern am stärksten im<br />

Schuldbuch vertreten. Auf die hiesigen<br />

Kaufleute entfallen 7,3 Prozent<br />

aller Eintragungen.<br />

In der ersten Reihe: Conrad Beliz,<br />

HeinrichWipert, AlbertKreyenfus sowie<br />

Heinrich Lange und Johannes de<br />

Rode.Diese über ihreEhefrauen auch<br />

familiär verbundene Fernhändlergruppe<br />

ließ allein 1295 bis 1297 in<br />

mindestens vier Geschäften Schulden<br />

von„1242 Mark Silber,20marca<br />

sterlingorum, 40 marca Flandrensis,4<br />

Hamburgische Pfund Pfennige“ und<br />

eine Kleinsumme eintragen. Die erheblichen<br />

Beträge ergaben sich aus<br />

Geschäften mit den Genter Kaufleuten<br />

Simon Bake, Simon Dives und<br />

drei anderen, sowie drei Hamburgischen<br />

Ratsherren. VomGenter Gerulf<br />

Pothatten sie laut Schuldbuch 52 Tuche<br />

für 343 1/2 Mark Silber gekauft<br />

Hamburg und wirkte als Ratsherr am Aufbau des hiesigen Gemeinwesens mit<br />

und dafür die Lieferung von Holzplanken<br />

für Wagen sowie zu Brettern<br />

versägtem Eichenholz versprochen.<br />

Conrad von Beelitz war 1295 nachweislich<br />

an vier über Hamburgabgewickelten<br />

Geschäften beteiligt.<br />

Der Holzhandel der Berlin/Cöllner<br />

Ratsherren fiel so umfangreich<br />

aus, weil das märkische Umland allmählich<br />

besiedelt wurde –was weitflächige<br />

Rodungen erforderte. Der<br />

zweite regionale Exportschlager:<br />

<strong>Berliner</strong> Roggen, siligo que dicitur de<br />

Berlyn, wurde in Hamburg als besondere<br />

Sorte gehandelt. DerTransport<br />

der voluminösen Waren lief<br />

VonMaritta Tkalec<br />

Die Grabplatte mit dem Abbild des Conrad von Beelitz aus der Franziskaner-Klosterkirche<br />

verwahrtheute das Märkische Museum.<br />

PAULUS PONIZAK<br />

über Spree, Havel und Elbe nach<br />

Hamburg und darüber hinaus. Dass<br />

die sicherlich herangeflößten Eichenstämme<br />

sogleich in der Sägemühle<br />

am Mühlendamm zu Bretternversägt<br />

wurden, ist nicht belegt,<br />

aber wahrscheinlich. Die Getreide-,<br />

Loh-, Walk- und Sägemühlen am<br />

Spreeübergang werden erstmals<br />

1285 erwähnt. Daspasst ins Bild.<br />

Kein Zweifel: Berlin war am Ende<br />

des 13. Jahrhunderts intensiv in den<br />

hanseatischen Handel eingebunden.<br />

UndConrad vonBeelitz mittendrin.<br />

Der Eintrag über das Tuchgeschäft<br />

mit dem Genter Gerulf Pot ist<br />

übrigens im Schuldbuch ausgestrichen;<br />

Schulden getilgt, Geschäft regelgerecht<br />

abgeschlossen.<br />

Unbelegt, doch naheliegend ist,<br />

dass die Väter der mit ihren Hamburg-Geschäften<br />

zu Reichtum und<br />

Einfluss gekommenen „mercatores<br />

Berlinenses“, also Beelitz, Blankenfelde<br />

usf., zu den Stadtgründern gehörten.<br />

Sicher ist, dass Gründer und<br />

Erbauer keine Siedlung vorfanden.<br />

Sie errichteten die Häuser, Kirchen,<br />

den Damm und die Mühlen.<br />

Und sie ordneten ihr Gemeinwesen,<br />

selbstständig und von den askanischen<br />

Landesherrn wohlwollend<br />

gefördert. Die Grundlage für das Erstarken<br />

des städtischen Charakters<br />

bildete das Niederlagsrecht, das<br />

durchreisenden Händlernauferlegte,<br />

ihre Waren in der Stadt anzubieten.<br />

Die Kaufmannsgilde der Gewandschneider,zuder<br />

auch vonBeelitz gehört<br />

haben muss, beherrschte den<br />

Niederlagshandel: Sie schneiderten<br />

keine Kleider sondern verkauften<br />

Tuchballen oder von diesen abgeschnittene<br />

Stücke. Ballen gingen an<br />

Zwischenhändler, Stücke an Näher<br />

oder Endverbraucher. Tuchmachern<br />

verweigerte man das „Schnittrecht“.<br />

Die zünftige Trennung war streng:<br />

Tuchmacher durften keine Tuchschneider<br />

sein und umgekehrt.<br />

Gewandschneider handelten mit<br />

Gütern aller Art, vorausgesetzt, sie<br />

waren berechtigt, das Kramhaus zu<br />

benutzen, (ein Kaufhaus im Obereigentum<br />

der Stadt). Gewandschneider<br />

beherrschten den Rat, dieser<br />

entschied auch, wer eine frei werdende<br />

Kaufkammer erhielt.<br />

So wahrten Zünfte und Gilden ihre<br />

Rechte und ihren Stand. Privilegien<br />

mussten immer wieder neu verbrieft<br />

werden. Sobestätigten am 18. Juni<br />

1272 die Ratmannen die Privilegien<br />

der Bäckerinnung –das älteste Dokument<br />

des hiesigen Zunftwesens. Am<br />

29. Mai 1289 erteilten die Ratsherren<br />

den<strong>Berliner</strong> Tuchmachernund Wollwebern<br />

einenInnungsbrief.<br />

Einregionaler Beistandspakt<br />

Doch es ging nicht nur um Wirtschaft,<br />

mankümmerte sich auch um<br />

Recht und Ordnung. Am 3. März<br />

1308, nur wenige Tage vor dem Tod<br />

Conrad von Beelitzens erklärten die<br />

seit einem Jahr ineinem gemeinsamenRat<br />

vereinten Consules vonBerlinund<br />

Cölln, wieauchdie ebenfalls<br />

in Berlin anwesenden Ratsmannen<br />

ausFrankfurtander Oder in separaten<br />

Urkunden am selben Tag, dass<br />

sie jeweils mit allen Städten des<br />

Markgrafen Johann (V.) ein Bündnis<br />

geschlossen haben: Sie wollten einander<br />

„bei jeder auftretenden Gewalttat<br />

und jedem Unrecht jede der<br />

genannten Städte nach ihren Möglichkeiten<br />

mit Ratund Hilfe gleichermaßen<br />

unterstützen“. Einregionaler<br />

Beistandspakt.<br />

Im Jahr darauf, am4.Mai 1309<br />

vereinbarten die Räte von Berlin/Cölln<br />

und Salzwedel, wie mit<br />

Übeltätern umzugehen sei: Die<br />

Stadt, die einen solchen ergreife,<br />

trage auch die Kosten jeweils allein,<br />

heißt es. Geschehe aber „eine Gewalttat<br />

gegen Ordnung und Recht,<br />

würden Einwohner ihrer Städte vor<br />

das markgräfliche Landgericht gezogen“<br />

und falls „ein Mächtiger gegen<br />

eine der verbundenen Städte eine<br />

Gewalttat“ ausübe, so sollen „alle<br />

Kosten von den Städten gemeinschaftlich<br />

getragen werden“.<br />

Für Conrad von Beelitz persönlich<br />

sollte eine Urkundevon 1272 relevant<br />

werden. Derzufolge schenkten<br />

Markgraf Otto V. von Brandenburg<br />

undsein Mitregent Albrecht III.<br />

den Franziskaner-Mönchen in Berlin<br />

ein Grundstück zur Errichtung einer<br />

Klosterkirche. Der bald darauf<br />

entstandene Bau steht heute als<br />

RuineimKlosterviertel. DieUrkunde<br />

nennt Conrad von Beelitz zwar<br />

nicht, womöglich war er gerade auf<br />

Handelsreise. Doch sollte er einer<br />

der ersten sein, die in der kaum fertiggestellten<br />

Kirche 1308 ein würdevolles<br />

Grab bekamen. Da wird er<br />

wohl fleißig gespendet haben –und<br />

heiteren Herzens.<br />

DAS IST<br />

DAS WAR<br />

DAS KOMMT<br />

„Die Heyns“<br />

Sonnabend oder Samstag?<br />

Halbe Hauptstadt<br />

Seit 45 Jahren ist in der Beletage des Wohnhauses Heynstraße<br />

8die Ausstellung „Bürgerliches Leben um 1900“<br />

zur Geschichte der Fabrikantenfamilie Heyn zu sehen.<br />

Jetzt hinterfragen Studentinnen und Studenten und ihre<br />

Dozentin vomZentrum für Antisemitismusforschung an<br />

der TU die Geschichte dieser vermeintlich „typischen“<br />

bürgerlichen Familie und die bis heute transportierten<br />

Geschichtsbilder in einer Werkstattausstellung.<br />

DieHeyns –Esstehen Fragen im Raum Werkstattausstellung,Museum<br />

Pankow,Heynstraße 8, 7. Mai bis31. Dezember,Die/Do/Sa/So 10–18Uhr<br />

In Berlin gilt hinsichtlich der Benutzung des Wortes<br />

Sonnabend oder Samstag ein informelles Toleranzedikt:<br />

Regional und historisch richtig wäre Sonnabend, aber<br />

wenn Zugewanderte Samstag sagen –auch okay. Sonnabend<br />

(althochdeutsch: sunnunaband, altenglisch<br />

sunnanæfen) rührt aus dem Altenglischen und wurde<br />

wohl von frühen angelsächsischen Missionaren eingetragen.<br />

DasWortbetonte ursprünglich in seinem zweiten<br />

Teil den (Vor-)Abend vordem Tagdes Herrn, dem Sonntag.<br />

Im frühen Mittelalter dehnte sich der Bezug auf den<br />

gesamten Tagaus. Sonnabend sagt man vor allem in<br />

Norddeutschland und im Ostmitteldeutschen. In alten<br />

<strong>Berliner</strong> Urkunden heißtesSonnabend. Diese Form war<br />

in der DDR (entsprechend der regionalen Verbreitung)<br />

offizielle Bezeichnung. Samstag, althochdeutsch sambaztac,<br />

leitet sich vomgriechischen Wortes sabbaton ab,<br />

das letztlich auf eine Gleichsetzung der Bezeichnung<br />

vom„Tagdes Saturn“ (auch „Satertag“) in Anlehnung an<br />

den hebräischen Begriff Sabbatai „Stern (Saturn) des<br />

Sabbats und somit auf hebräisch Schabbath („Ruhe“,<br />

„Feiertag) zurückgeht. Heute ist Samstag vorallem in Österreich,<br />

Süd- und Westdeutschland in Gebrauch. (mtk.)<br />

30 Jahre nach dem Mauerfall widmet das Stadtmuseum<br />

dem Osten der Stadt eine Sonderausstellung im Ephraim-Palais:<br />

Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt. Sie widmet<br />

sich dem sozialen und kulturellen Leben in der einstigen<br />

Hauptstadt der DDR. ZurEröffnung steigt ein zweitägiges<br />

Eröffnungsfest mit Kuratorengesprächen, Objektgeschichten,<br />

Promitalk, Filmprogramm, Lesungen,<br />

Themenführungen etc.<br />

Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt Ausstellung ab 11. Mai, Eröffnungsfest<br />

mit Programm 10. Mai 13–22 Uhr,11. Mai 10–18 Uhr

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