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Berliner Zeitung 08.05.2019

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26 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 105 · M ittwoch, 8. Mai 2019<br />

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Netzwerk<br />

DOKUS<br />

Roboter<br />

und<br />

Rebellen<br />

VonTorsten Wahl<br />

Wer versteht schon alle Zusammenhänge<br />

der vernetzten<br />

Welt?Werkennt sich wirklich aus mit<br />

den technischen Veränderungen?<br />

Und was bringt die digitale Zukunft<br />

für die Menschheit? Arte und 3sat<br />

beweisen in ihren Dokumentationen<br />

die globale Perspektive.<br />

Zukunft der Arbeit: Im Paketverteilungszentrum<br />

in China sind kaum<br />

noch Menschen zu sehen: 300 Roboter<br />

huschen hin und her, verteilen<br />

am Tag70000 Sendungen. Sie brauchen<br />

für die Bearbeitung eines Pakets<br />

nur eine halbe Minute – der<br />

Mensch aber eine Viertelstunde,<br />

dreiviertel der Angestellten wurden<br />

entlassen. Die 3sat-Doku führt anschaulich<br />

vor, wie stark die Roboter<br />

weltweit den Arbeitsalltag schon<br />

jetzt prägen. Nachdem die Maschinen<br />

inzwischen weite Teile der Fertigung<br />

übernommen haben (so bei<br />

der Autoherstellung in Detroit), werden<br />

immer mehr intelligente Systeme<br />

für die Dienstleistung entwickelt.<br />

Vincent Lepreux und Martin<br />

Mischi fragen aber auch nach den<br />

Folgen für die Arbeitskräfte.<br />

„Die Revolution der Roboter“ istauf 3sat am<br />

Donnerstag, 9. Mai,um20.15 Uhr zu sehen. Anschließend<br />

um 21 Uhr geht GertScobel der Frage<br />

nach, ob biologische Lebensformen und organischeLernprozesse<br />

auf künstlicheComputersystemeübertragen<br />

werdenkönnen. Die Dokumentationensind<br />

30 Tage lang in der 3sat-Mediathek<br />

verfügbar.<br />

Ein Fabrik ohne Menschen –auch das<br />

könnte die Zukunft sein.<br />

DPA<br />

Zukunft des Teilens: Wenn die Steuerungs-Software<br />

streikt, bleibt die<br />

riesige Erntemaschine einfach stehen.<br />

Eigene Reparatur ausgeschlossen,<br />

Abhilfe ist nur vom Hersteller<br />

via Satellit möglich –gegen horrende<br />

Kosten. Die Arte-Doku stellt „Software-Rebellen“<br />

aus allerWelt vor, die<br />

sich für die gemeinschaftliche Nutzung<br />

des Netzes einsetzen. Ihr Guru<br />

ist der amerikanische Programmierer<br />

Richard Stallman, der freie Software<br />

nicht als Gratis-Geschenk versteht,<br />

sondern als Möglichkeit, gemeinsam<br />

die Zukunft zu gestalten.<br />

Die Doku von Philippe Borrel zeigt,<br />

dass gemeinschaftliche Weiterentwicklung<br />

auf Dauer effektiver ist als<br />

die „proprietäre“ Variante von Microsoft<br />

und Co. Längst beschränken<br />

sich die Software-Rebellen nicht<br />

mehr auf Computer. Sofordern sie,<br />

dass die Entwicklung von Insulin<br />

und Saatgut allen offenstehen muss.<br />

„Software-Rebellen: Die Machtdes Teilens“<br />

wirdauf Arte am Freitag,10. Mai, um 6.10 Uhr<br />

gezeigt.InderArte-Mediathek istder Film bis zum<br />

6. Juni zu sehen.<br />

Torsten Wahl konnte<br />

über die „Software-Rebellen“<br />

auch schmunzeln.<br />

480 Meter lang ist die Stoffbahn, auf die der gesamte Text von „MobyDick“ gedruckt worden ist. RE:PUBLICA/STEFANIE LOOS<br />

Die Netzgemeinde ist aufgeschreckt<br />

VonApokalypse bis Totalpessimismus: Es gibt viel zu klären in diesem Jahr bei der re:publica. Ein Überblick<br />

VonChristine Dankbar,Jörg Hunke<br />

und SchayanRiaz<br />

Keine Frage, das Interesse<br />

ist extrem groß an denVorträgen<br />

bei der re:publica in<br />

diesem Jahr. Zettel mit<br />

dem Hinweis „Over capacity“, also<br />

alle Plätze besetzt, kleben an vielen<br />

Eingangstüren zu den verschiedenen<br />

Bühnen. Es gibt eine Menge zu<br />

verhandeln, zu verstehen und zu erklären<br />

in einer Zeit, in der die Entwicklungen<br />

der Digitalisierung mit<br />

ihrem Überwachungskapitalismus,<br />

ihrer Sorge vor Upload-Filtern und<br />

neuen Datenskandalen die Frage<br />

aufwirft, was nur wird inZukunft?<br />

Aber die re:publica bietet auch immer<br />

Platz für skurrile Ideen und Innovationen.<br />

EinÜberblick.<br />

Urheberrecht, planlos: Axel Voss ist<br />

der CDU-Politiker, auf den sich die<br />

Demonstranten im Streit um das Urheberrecht<br />

fokussiert hatten. In<br />

Halle 2trifft er auf den Netzaktivisten<br />

Markus Beckedahl. Voss verpasst<br />

eine große Chance. Erkonnte wenig<br />

dazu beitragen, als der Moderator<br />

hören wollte, wie die Reform in<br />

Deutschland umgesetzt werden soll.<br />

Wäre eine Pauschalabgabe, von seiner<br />

Partei in Berlin gefordert, die Lösung?<br />

Da wich Voss aus, auch in anderen<br />

Momenten bat er eher hilflos,<br />

die anwesenden Netzexperten um<br />

Unterstützung. Und sowar es nur<br />

Beckedahl, der konstruktive Vorschläge<br />

machen konnte, wie es weitergehen<br />

soll. Er schlug eine Änderung<br />

des Zitatrechts vor(Berücksichtigung<br />

vonaudio-visuellen Inhalten)<br />

und forderte Verwertungsgesellschaften,<br />

die auch bereit sind, die Arbeit<br />

vonKreativen zu honorieren, die<br />

nicht hauptberuflich in dem Gewerbe<br />

tätig sind.<br />

Netzphilosophie, eindringlich: Der<br />

Medienwissenschaftler Bernhard<br />

Pörksen von der Universität Tübingen<br />

ist ein alter Bekannter auf der<br />

re:publica. Jedes Jahr redet er der<br />

Netzgemeinde ins Gewissen; immer<br />

mit einem frei gehaltenen Vortrag,<br />

der in seiner Stimmlage durchaus an<br />

eine Predigt erinnert. Allerdings ist<br />

es immer eine hochkarätige. Indiesem<br />

Jahr nimmt er in einem knapp<br />

zwanzigminütigen Vortrag „Abschied<br />

vom Netzpessimismus“. Dieser<br />

sei mittlerweile in einen Wettbewerb<br />

um den „apokalyptischen Superlativ“<br />

ausgeartet. So werde die<br />

Wiederkehr des Faschismus als<br />

ebenso unumstößliche Realität behauptet<br />

wie die Tatsache,dass wir im<br />

Zeitalter der Fake News das Ende der<br />

Kommunikation erreicht hätten.<br />

Pörksen zeigtVerständnis für die Untergangstheorien,<br />

durchgehen lässt<br />

er sie uns nicht: „Der Aufklärungspessimismus<br />

der gesellschaftlichen<br />

Mitte wirdselbst zur politischen Gefahr“,<br />

so seine Warnung, denn er<br />

öffne die Tür für den Autoritarismus.<br />

Schon gebe es die ersten, die nur<br />

dem aufgeklärten Bürger künftig das<br />

Wahlrecht zugestehen wollten. Seine<br />

Lösung ist eine andere: „Wir müssen<br />

zur redaktionellen Gesellschaft der<br />

Zukunft werden.“ Die Ideale des guten<br />

Journalismus sollten Eingang in<br />

den Alltag finden: sei kritisch, argumentiere<br />

transparent, sei skeptisch<br />

im Umgang mit Macht!<br />

Umweltschutz, lautstark: Ausgerechnet<br />

Heavy Metal könne uns helfen,<br />

mit dem Klimawandel umzugehen –<br />

sagt Eden Kupermintz. Kupermintz<br />

lebt in Tel Aviv, ist Philosoph und<br />

Historiker –außerdem auch Betreiber<br />

des Heavy Metal Blogs „Heavy<br />

Blog Is Heavy“. Für ihn ist genau<br />

diese Musikrichtung der beste Weg,<br />

um sich Gedanken über unsere Zukunft<br />

zu machen. Anhand vonSongtexten<br />

zeigt er in seinem Vortrag, wie<br />

sich Metal-Bands schon lange mit<br />

den Fragen zu Natur- und Umweltschutz<br />

beschäftigen. So wichtige<br />

Experimente überall: Die Pflanzen sind mit Stromkontakten verbunden. DPA/BRITTA PEDERSEN<br />

Europapolitiker Axel Voss bat um Unterstützung.<br />

RE:PUBLICA/JAN ZAPPNER<br />

Themen nicht einfach zu ignorieren<br />

und umweltbewusster zu leben, das<br />

sei Metal, sagt Kupermintz. Denn die<br />

sehr laute Musikrichtung sei nicht<br />

dazu gemacht, um aufzugeben. Kein<br />

Thema ist zu heikel, es gibt Lieder<br />

über viele Missstände. Als Beispiel<br />

nennt er „Fight Fire with Fire“ von<br />

Metallica, das Lied liefere die Energie,die<br />

gerade gebraucht werde, sagt<br />

Kupermintz.<br />

Plattformen, neu gedacht: Die Kritik<br />

an den Plattformen wird immer größer,<br />

warum also nicht nach einer Alternative<br />

zuFacebook oder Youtube<br />

suchen? Der Medienwissenschaftler<br />

Bertram Gugel hat ein erstaunliches<br />

Konzept entwickelt. Er wünscht ein<br />

einheitliches Verzeichnis, woalle Inhalte<br />

vernetzt werden. Die Nutzer<br />

zahlen für den Zugang, wie sie auch<br />

Rundfunkgebühren und Abgaben für<br />

den Kabelanschluss zahlen. Als Gegenleistung<br />

erhalten sie Zugriff auf<br />

die Inhalte.Die Nutzungsgebühr wird<br />

zur Pflege der Technik genutzt, aber<br />

vor allem sollen die Urheber für ihre<br />

Werke honoriert werden. Über Apps<br />

könnten die Nutzer den Zugang erhalten.<br />

Gugel vergleicht das mit Podcasts,<br />

die auch über verschiedene<br />

Player konsumiert werden können.<br />

Konkurrenz für Tech-Giganten –<br />

klingt utopisch? „Wir müssen irgendwo<br />

anfangen“, sagt Gugel.<br />

Lesen, ohne Fehler: Inga Dietrich,die<br />

sich das Konzept mit ihrer Kollegin,<br />

der Journalistin und Filmemacherin<br />

GesineWald, ausgedacht hat, erklärt<br />

zu Beginn die Regeln. Das geht ganz<br />

schnell:Wereinen FehlerbeimLesen<br />

macht, muss aufhören. Beischwierigen<br />

Namen, sagt Dietrich, würde sie<br />

als Fehlerfee mal ein Auge zudrücken.<br />

Mitten in der Eingangshalle,<br />

im re:aders corner,geht es ums Fehlerlesen.<br />

So wiefrüher in der Schule.<br />

Ausgewählt wurdeHermanMelvilles<br />

Klassiker „Moby Dick“. Unter den<br />

Mutigen sind sowohl Hobbyvorleser<br />

als auch erfahrene Sprecher. Man<br />

kann sie nicht unterscheiden an der<br />

Länge ihrer Lesezeit. Es kommt eine<br />

Kathrin, die das nicht beruflich<br />

macht, und sie liest acht Minuten<br />

lang fehlerfrei. Prompt kommt sie<br />

auf die Highscore-Tafel. Läuft man<br />

am Abend an der Kreidetafel vorbei,<br />

stauntman über Johannes, der18:35<br />

Minuten fehlerfrei gelesen hat und<br />

oben steht. Ob dasein Profi ist?Oder<br />

ein Amateur? Der Gewinner bekommt<br />

jedenfalls ein Ticket für die<br />

nächste re:publica geschenkt.<br />

Design, spektakulär: Die <strong>Berliner</strong><br />

Agentur fertig design hat für die Gestaltung<br />

des Geländes gesorgt. Ihre<br />

Idee orientiert sich an dem Motto<br />

„tl;dr“ –also zulang, um gelesen zu<br />

werden. Auf einer 480 Meter langen<br />

Stoffbahn ist der gesamte Text von<br />

„Moby Dick“ zu lesen, die Bahnen<br />

ziehen sich durch die Hallen der Station.<br />

„Moby Dick schien uns das<br />

ideale Werk“, sagt Norman Palm, der<br />

für die Agentur arbeitet. Alle wüssten,<br />

um was es geht, aber die wenigstens<br />

hätten das Buch ganz gelesen.<br />

„Plattformen<br />

müssen sich an<br />

Regeln halten“<br />

Staatssekretär Böhning will<br />

mit Frankreich kooperieren<br />

ZuGast auf der re:publica war auch<br />

der Digital-Staatssekretär im<br />

Bundesarbeitsministerium, Björn<br />

Böhning. Der <strong>Berliner</strong> SPD-Politiker<br />

will dafür sorgen, dass die Rechte von<br />

Arbeitnehmern in der Plattform-<br />

Ökonomie geschützt werden.<br />

Herr Böhning, wer hat die Macht im<br />

Internet? Können staatliche Regelungen<br />

etwas gegen die globale Dynamik<br />

der großen Internetkonzerne wie<br />

Google und Facebook und die Plattformen<br />

wie etwa Uber bewirken?<br />

Die Lage ist auf jeden Fall sehr<br />

ernst. Wirerleben eine zunehmende<br />

Monopolbildung im Netz, wir sehen<br />

Fälle ungezügelten Datenmissbrauchs.<br />

Die Plattform-Ökonomie<br />

bringt Arbeitsverhältnisse hervor, in<br />

denen Menschen zu Bedingungen<br />

arbeiten müssen, die nicht akzeptabel<br />

sind. Aber die Zeit des„move fast,<br />

break things“ kommt an ihr Ende.<br />

Auch die Plattformen müssen sich<br />

an die Regeln und Gesetze der Länder<br />

halten, in denen sie aktiv sind.<br />

Diese Regeln werden wir zum Schutz<br />

der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

durchsetzen –ohne die wirtschaftlichen<br />

Potenziale der<br />

Plattformökonomie zu gefährden.<br />

Wiesoll das gelingen?<br />

Plattform-Betreiber können sich<br />

nicht mehr auf die Position zurückziehen,<br />

sie seien reine Marktplätze,<br />

die eine Leistung<br />

zwischen Anbieter<br />

und Kunde<br />

vermitteln und<br />

daher aus der<br />

Verantwortung<br />

sind. So einfach<br />

können sie es<br />

sich in Zukunft<br />

nicht mehr machen.<br />

Die Ent-<br />

DPA/BRITTA PEDERS<br />

BjörnBöhning,<br />

Staatssekretär<br />

wicklungen zeigen<br />

uns: Wir brauchen einen europäischen<br />

Rechtsrahmen. Mit Frankreich<br />

entwickeln wir gemeinsame<br />

Initiativen zur europäischen Regulierung<br />

der Plattform-Wirtschaft.<br />

Dabei werden wir auch auf die neue<br />

EU-Kommission setzen.<br />

Bereits jetzt nutzen die Internetriesen<br />

die sehr unterschiedlichen Steuersätze<br />

innerhalb der EU und siedeln<br />

sich etwa in Irland oder Luxemburg<br />

an. Wird das nicht beim Arbeitsrecht<br />

genauso passieren?<br />

Alle in ein Boot zu holen, wird<br />

eine große Herausforderung. Umso<br />

mehr brauchen wir ja einen gemeinsamen<br />

europäischen Rechtsrahmen.<br />

Klar ist und bleibt aber auch: Eine<br />

Firma mit Sitz zum Beispiel in<br />

Deutschland muss sich an deutsches<br />

Arbeitsrecht halten. Viele dieser Firmen<br />

wünschen sich im Übrigen ja<br />

auch eine gute Zusammenarbeit mit<br />

den Behörden. Ich habe seit Jahren<br />

zum Beispiel mit Delivery Hero zu<br />

tun. Viele deutsche Plattformen haben<br />

ein großes Interesse sicherzustellen,<br />

dass der Wettbewerb fair abläuft<br />

und nicht andere Plattformen<br />

durch ausbeuterischen Umgang beispielsweise<br />

mit Selbstständigen sich<br />

einen ungerechtfertigten Marktvorteil<br />

verschaffen.<br />

Deutschlandist für die globalen Plattformen<br />

ein Marktunter vielen. DieAttitüde<br />

ist ja oft: ÄnderteureGesetze, sie<br />

stammen allesamt aus dem analogen<br />

Zeitalter. Undder Handel mit Daten<br />

ist noch schwerer zu regulieren.<br />

So war es am Anfang. Aber die<br />

Zeit des ungezügelten Internet- und<br />

Daten-Kapitalismus ist vorbei. Jetzt<br />

gilt: Wer inEuropa sein Geschäftsmodell<br />

umsetzen will, muss nach<br />

unseren Regeln spielen. UndEuropa<br />

istein großer Markt. Im Übrigen: Die<br />

Datenschutz-Grundverordnung ist<br />

inzwischen für viele Länder der Welt<br />

ein Vorbild.<br />

DasGespräch führte JanSternberg.

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