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Der große Austausch, aber poetischer Natur<br />
Achter Poetry Slam vor vollen Rängen in der Imster Secondhand-Buchhandlung „Wiederlesen“<br />
Gegen einen solchen Ansturm kämpft selbst eine Schiebetür<br />
mit Bewegungssensor vergebens, denn auch beim mittlerweile<br />
achten Poetry Slam in der Imster Secondhand-Buchhandlung<br />
„Wiederlesen“ herrschte abermals volles Haus. So war die Begeisterung<br />
für die Texte der acht anwesenden Poetinnen und Poeten<br />
umso spürbarer, bei diesem vergnüglichen Wettlesen in der behaglichen<br />
Atmosphäre des Kleinkunst-Mekkas.<br />
Während sich andernorts die Menschen<br />
in ihren reimenden Wagenburgen<br />
vor Ratten, dem Verwässern<br />
reines Blutes, Verlust beanspruchten<br />
Bodens sowie eigentlich und überhaupt<br />
vor allem fürchten, macht „Poetry<br />
Slam“-Moderator Markus Köhle<br />
in Imst lieber seiner Sehnsucht Luft.<br />
So lässt „Papa Slam“ in seinem einstimmenden<br />
„Opferlamm“-Beitrag<br />
das Publikum im Chor „Ich hätt’ bitte<br />
gern“ rufen, aber auch ein wenig zappeln.<br />
Sind das Objekt der Köhle’schen<br />
Begierde etwa super früh aufstehende<br />
Alibi-Christen mit einer dezenten Abneigung<br />
gegenüber ihren finanzschwachen<br />
Brüdern und Schwestern? Oder<br />
verkannte Polit-Dichterfürsten, die ein<br />
Königreich für ein Pferd opfern würden,<br />
sofern der elende Gaul mit 140<br />
Stundenkilometern auf heimischen<br />
Autobahnen zu galoppieren wüsste?<br />
Mitnichten, denn es sind jene Kreaturen,<br />
die schon der alte Diogenes<br />
im antiken Athen im Laternenschein<br />
suchte und auch heute recht selten<br />
geworden sind – nämlich Menschen.<br />
COME ON – AND SLAM!<br />
Glücklicherweise war an diesem lauen<br />
Donnerstagabend eine beträchtliche<br />
Schar solcher Adamssöhne und Evastöchter<br />
im Imster „Wiederlesen“ versammelt,<br />
dieser behaglichen Zuflucht<br />
für Bücher und Kultur gleichermaßen.<br />
Ebenso mangelte es auch dieses Mal<br />
– sei es der achte oder doch der 112.<br />
„Poetry Slam“ – nicht an mutigen Poeten,<br />
die weder Tod noch Teufel und<br />
erst recht kein Kichern fürchten. Das<br />
Los des Ersten unter Gleichen war dabei<br />
dem seit drei Jahren in Innsbruck<br />
lebenden und dichtenden Leo Dravoy<br />
beschienen, der mit seiner Würdigung<br />
der tapferen Helden in städtischen<br />
Nächten den ersten stürmischen Applaus<br />
erntete. Dass die deutsche Sprache<br />
ihre tausend Tode seit Jahren auf<br />
heimischen Skipisten stirbt, daran<br />
erinnerte mit Nini Zangerl sogleich<br />
eine Imster „Slam“-Fixstarterin. Nach<br />
dem amüsanten Ausflug in weiße<br />
Höllenkreise, wo sich George und<br />
Gilbert beim gepflegten „Lifting“ gute<br />
Nacht sagen, wartete mit Christa Bacovsky<br />
ein wortgewandter Gast aus<br />
15./16. Mai <strong>20</strong>19<br />
Von Manuel Matt<br />
der Schweiz. Nachwuchs-Slammerin<br />
nannte sie sich bescheiden und feuert<br />
doch wenig später eine humorvolle<br />
Matterhorn-Breitsalve an reimenden<br />
Kartätschen auf die lahmen Galeeren<br />
der Patriarchen ab. In höchst persönliche<br />
Gewässer führte anschließend<br />
Ines Strohmaier aus dem Kleinwalsertal.<br />
Stark in Ausdruck und Dynamik<br />
segelten die Zeilen dabei gefährlich<br />
nahe an den Riffen, an denen erste<br />
Romanzen zerschellen – verbunden<br />
mit dem Wundern, ob zwei Meter als<br />
Sicherheitsabstand reichen oder ob es<br />
doch zwei Millionen Seemeilen sein<br />
müssen, um dem Sog zu entrinnen.<br />
DIE LIEBE BILDUNG. Genug<br />
der nautischen Müßigkeiten, nur ein<br />
letztes Ahoi sei dem verfassenden<br />
Leichtmatrosen aber bitte noch vergönnt.<br />
Immerhin enterte mit Roswitha<br />
Matt alsbald eine stete „Slam“-<br />
Favoritin das „Wiederlesen“-Deck.<br />
Sogleich nahm die Lokalmatadorin<br />
dank halsbrecherischem, auswendig<br />
vorgetragenem Klagelied mit Augenzwinkern<br />
über das Kreuz mit der<br />
lebenslangen Ausbildung Kurs hin<br />
zu finalen Gestaden – die Krabbelstubenaufnahmeprüfung<br />
lohnt sich, liebe<br />
Kinder! Vielleicht sollte aber seitens<br />
der jungen Besatzung doch Meuterei<br />
in Erwähnung gezogen werden, erinnert<br />
der Text von Mieze Medusa doch<br />
an den Grund für die langsam dämmernde<br />
Panik auf unserer Titanic, wo<br />
Klimaanlage und Abfallbeseitigung<br />
nicht mehr so recht funktionieren wollen.<br />
Bezüglich Rettungsboote sollte<br />
jedenfalls nicht die Luft angehalten<br />
werden, denn Bunker und Raumschiff<br />
scheinen für die unverschämt unfähigen<br />
Kapitäne reserviert.<br />
NABELSCHNUR-LEGENDEN<br />
& NOTENREVOLVER. Das war’s<br />
jetzt aber wirklich mit dem Seemansgarn,<br />
Lügenpresse-Ehrenwort! Mit<br />
der feinen Grenze zwischen Fakt und<br />
Fiktion weiß Cenet Weisz ohnehin<br />
viel besser umzugehen, der von seiner<br />
sagenumwobenen Geburt in der Eiger<br />
Nordwand erzählt, dem Laben an<br />
Mutterkuchen und Fruchtwasser und<br />
dem zähen Aufstieg via Nabelschnur.<br />
Noch brutaler ist da eigentlich nur<br />
die Imster „Slam“-Bühne, endet der<br />
Das poetische Feld beim achten „Wiederlesen“-Slam: Ines Strohmair, Lena Westreicher,<br />
Christa Bacovsky, Moderator Markus Köhle, Roswitha Matt, Mieze Medusa,<br />
Nini Zangerl, Leo Dravoy und Cenet Weisz (v.l.)<br />
Mit Witz und Wortspiel holte sich die Imster Slam-Matadorin Roswitha Matt (l.) den<br />
Sieg. Lena Westreicher gratulierte herzlich (r.).<br />
RS-Fotos: Matt<br />
Schmähführer – oder ist es vielleicht<br />
doch das Leben in der letzten, hierzulande<br />
noch geduldeten Autokratie,<br />
dem Schulwesen? Wie einst Dante<br />
Alighieri wanderte die 15-jährige Lena<br />
Westreicher durch dieses scheinbar<br />
völlig unreformierbare Purgatorium,<br />
wo es nicht nach Schwefel, sondern<br />
nach „getragenen Schuhen und gequälten<br />
Kinderseelen“ mieft, wo keine<br />
Dämonen mit dem Dreizack piksen,<br />
sondern „grausame, wenn auch höfliche“<br />
Lehrpersonen den „Notenrevolver“<br />
zücken. An der eigenen Schule<br />
helfen solche Erzählungen wohl kaum<br />
für eine solide Betragensnote, ein anwesender<br />
Pädagoge schien dennoch<br />
recht amüsiert. Hat freilich auch gut<br />
lachen, ist ja mittlerweile im Ruhestand.<br />
<strong>IM</strong> KAMPF UM DIE SCHOKO-<br />
HASEN. Höchstes Niveau herrschte<br />
selbstverständlich auch im Finale der<br />
vier Favoriten. Der Anfang war Ines<br />
Strohmaier beschienen, die anhand<br />
ihrer Erinnerungen an kindliche<br />
Laternenumzüge zu Ehren des heiligen<br />
Martin feststellte, dass früher<br />
vielleicht alles besser, gewiss aber<br />
leichter gewesen ist. Ihre vortrefflich<br />
verpackte Vorliebe zu Geographie<br />
und Wortspielen unterstrich sogleich<br />
Roswitha Matt. Ganze 84 Länder erfreuten<br />
sich dabei einer gänzlich neuen<br />
Bedeutung – absoluter „Taiwa(h)<br />
nsinn“! Über ihr sündhaftes, teilweise<br />
auch nokturnales Verlangen nach<br />
Süßigkeiten referierte in erfrischender<br />
Ehrlichkeit anschließend Lena<br />
Westreicher, die sich dabei in den<br />
Farben eines Waschbären zeichnete,<br />
weil „nachtaktiv, mit Augenringen,<br />
isst gern Müll“. Der gesunde Menschenverstand<br />
schien dann zuletzt in<br />
den Ausführungen von Cenet Weisz<br />
bedroht, dessen Bauanleitung eines<br />
grauenvollen Etwas aus Schwabbelscheiden,<br />
Kettenverbindern und<br />
Stopfpropfen selbst gewiefteste Ikea-<br />
Schrauber hätte durchdrehen lassen.<br />
Vier starke Texte, doch das Siegerpodest<br />
ist zwangsläufig ein einsames<br />
Plätzchen. Imaginäres Krönchen samt<br />
dem besseren zweier übrig gebliebener<br />
Schokohasen sicherte sich diesmal<br />
Roswitha Matt. Sie zeigte sich demütig<br />
im Sieg, großzügig mit ihrem<br />
Preis und wird überdies am Freitag,<br />
dem 28. Juni, um <strong>20</strong> Uhr in der Innsbrucker<br />
„Bäckerei“ um den Titel des<br />
Tiroler Slam-Meisters mitrittern.<br />
RUNDSCHAU Seite 41