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IM KW 20

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Der große Austausch, aber poetischer Natur<br />

Achter Poetry Slam vor vollen Rängen in der Imster Secondhand-Buchhandlung „Wiederlesen“<br />

Gegen einen solchen Ansturm kämpft selbst eine Schiebetür<br />

mit Bewegungssensor vergebens, denn auch beim mittlerweile<br />

achten Poetry Slam in der Imster Secondhand-Buchhandlung<br />

„Wiederlesen“ herrschte abermals volles Haus. So war die Begeisterung<br />

für die Texte der acht anwesenden Poetinnen und Poeten<br />

umso spürbarer, bei diesem vergnüglichen Wettlesen in der behaglichen<br />

Atmosphäre des Kleinkunst-Mekkas.<br />

Während sich andernorts die Menschen<br />

in ihren reimenden Wagenburgen<br />

vor Ratten, dem Verwässern<br />

reines Blutes, Verlust beanspruchten<br />

Bodens sowie eigentlich und überhaupt<br />

vor allem fürchten, macht „Poetry<br />

Slam“-Moderator Markus Köhle<br />

in Imst lieber seiner Sehnsucht Luft.<br />

So lässt „Papa Slam“ in seinem einstimmenden<br />

„Opferlamm“-Beitrag<br />

das Publikum im Chor „Ich hätt’ bitte<br />

gern“ rufen, aber auch ein wenig zappeln.<br />

Sind das Objekt der Köhle’schen<br />

Begierde etwa super früh aufstehende<br />

Alibi-Christen mit einer dezenten Abneigung<br />

gegenüber ihren finanzschwachen<br />

Brüdern und Schwestern? Oder<br />

verkannte Polit-Dichterfürsten, die ein<br />

Königreich für ein Pferd opfern würden,<br />

sofern der elende Gaul mit 140<br />

Stundenkilometern auf heimischen<br />

Autobahnen zu galoppieren wüsste?<br />

Mitnichten, denn es sind jene Kreaturen,<br />

die schon der alte Diogenes<br />

im antiken Athen im Laternenschein<br />

suchte und auch heute recht selten<br />

geworden sind – nämlich Menschen.<br />

COME ON – AND SLAM!<br />

Glücklicherweise war an diesem lauen<br />

Donnerstagabend eine beträchtliche<br />

Schar solcher Adamssöhne und Evastöchter<br />

im Imster „Wiederlesen“ versammelt,<br />

dieser behaglichen Zuflucht<br />

für Bücher und Kultur gleichermaßen.<br />

Ebenso mangelte es auch dieses Mal<br />

– sei es der achte oder doch der 112.<br />

„Poetry Slam“ – nicht an mutigen Poeten,<br />

die weder Tod noch Teufel und<br />

erst recht kein Kichern fürchten. Das<br />

Los des Ersten unter Gleichen war dabei<br />

dem seit drei Jahren in Innsbruck<br />

lebenden und dichtenden Leo Dravoy<br />

beschienen, der mit seiner Würdigung<br />

der tapferen Helden in städtischen<br />

Nächten den ersten stürmischen Applaus<br />

erntete. Dass die deutsche Sprache<br />

ihre tausend Tode seit Jahren auf<br />

heimischen Skipisten stirbt, daran<br />

erinnerte mit Nini Zangerl sogleich<br />

eine Imster „Slam“-Fixstarterin. Nach<br />

dem amüsanten Ausflug in weiße<br />

Höllenkreise, wo sich George und<br />

Gilbert beim gepflegten „Lifting“ gute<br />

Nacht sagen, wartete mit Christa Bacovsky<br />

ein wortgewandter Gast aus<br />

15./16. Mai <strong>20</strong>19<br />

Von Manuel Matt<br />

der Schweiz. Nachwuchs-Slammerin<br />

nannte sie sich bescheiden und feuert<br />

doch wenig später eine humorvolle<br />

Matterhorn-Breitsalve an reimenden<br />

Kartätschen auf die lahmen Galeeren<br />

der Patriarchen ab. In höchst persönliche<br />

Gewässer führte anschließend<br />

Ines Strohmaier aus dem Kleinwalsertal.<br />

Stark in Ausdruck und Dynamik<br />

segelten die Zeilen dabei gefährlich<br />

nahe an den Riffen, an denen erste<br />

Romanzen zerschellen – verbunden<br />

mit dem Wundern, ob zwei Meter als<br />

Sicherheitsabstand reichen oder ob es<br />

doch zwei Millionen Seemeilen sein<br />

müssen, um dem Sog zu entrinnen.<br />

DIE LIEBE BILDUNG. Genug<br />

der nautischen Müßigkeiten, nur ein<br />

letztes Ahoi sei dem verfassenden<br />

Leichtmatrosen aber bitte noch vergönnt.<br />

Immerhin enterte mit Roswitha<br />

Matt alsbald eine stete „Slam“-<br />

Favoritin das „Wiederlesen“-Deck.<br />

Sogleich nahm die Lokalmatadorin<br />

dank halsbrecherischem, auswendig<br />

vorgetragenem Klagelied mit Augenzwinkern<br />

über das Kreuz mit der<br />

lebenslangen Ausbildung Kurs hin<br />

zu finalen Gestaden – die Krabbelstubenaufnahmeprüfung<br />

lohnt sich, liebe<br />

Kinder! Vielleicht sollte aber seitens<br />

der jungen Besatzung doch Meuterei<br />

in Erwähnung gezogen werden, erinnert<br />

der Text von Mieze Medusa doch<br />

an den Grund für die langsam dämmernde<br />

Panik auf unserer Titanic, wo<br />

Klimaanlage und Abfallbeseitigung<br />

nicht mehr so recht funktionieren wollen.<br />

Bezüglich Rettungsboote sollte<br />

jedenfalls nicht die Luft angehalten<br />

werden, denn Bunker und Raumschiff<br />

scheinen für die unverschämt unfähigen<br />

Kapitäne reserviert.<br />

NABELSCHNUR-LEGENDEN<br />

& NOTENREVOLVER. Das war’s<br />

jetzt aber wirklich mit dem Seemansgarn,<br />

Lügenpresse-Ehrenwort! Mit<br />

der feinen Grenze zwischen Fakt und<br />

Fiktion weiß Cenet Weisz ohnehin<br />

viel besser umzugehen, der von seiner<br />

sagenumwobenen Geburt in der Eiger<br />

Nordwand erzählt, dem Laben an<br />

Mutterkuchen und Fruchtwasser und<br />

dem zähen Aufstieg via Nabelschnur.<br />

Noch brutaler ist da eigentlich nur<br />

die Imster „Slam“-Bühne, endet der<br />

Das poetische Feld beim achten „Wiederlesen“-Slam: Ines Strohmair, Lena Westreicher,<br />

Christa Bacovsky, Moderator Markus Köhle, Roswitha Matt, Mieze Medusa,<br />

Nini Zangerl, Leo Dravoy und Cenet Weisz (v.l.)<br />

Mit Witz und Wortspiel holte sich die Imster Slam-Matadorin Roswitha Matt (l.) den<br />

Sieg. Lena Westreicher gratulierte herzlich (r.).<br />

RS-Fotos: Matt<br />

Schmähführer – oder ist es vielleicht<br />

doch das Leben in der letzten, hierzulande<br />

noch geduldeten Autokratie,<br />

dem Schulwesen? Wie einst Dante<br />

Alighieri wanderte die 15-jährige Lena<br />

Westreicher durch dieses scheinbar<br />

völlig unreformierbare Purgatorium,<br />

wo es nicht nach Schwefel, sondern<br />

nach „getragenen Schuhen und gequälten<br />

Kinderseelen“ mieft, wo keine<br />

Dämonen mit dem Dreizack piksen,<br />

sondern „grausame, wenn auch höfliche“<br />

Lehrpersonen den „Notenrevolver“<br />

zücken. An der eigenen Schule<br />

helfen solche Erzählungen wohl kaum<br />

für eine solide Betragensnote, ein anwesender<br />

Pädagoge schien dennoch<br />

recht amüsiert. Hat freilich auch gut<br />

lachen, ist ja mittlerweile im Ruhestand.<br />

<strong>IM</strong> KAMPF UM DIE SCHOKO-<br />

HASEN. Höchstes Niveau herrschte<br />

selbstverständlich auch im Finale der<br />

vier Favoriten. Der Anfang war Ines<br />

Strohmaier beschienen, die anhand<br />

ihrer Erinnerungen an kindliche<br />

Laternenumzüge zu Ehren des heiligen<br />

Martin feststellte, dass früher<br />

vielleicht alles besser, gewiss aber<br />

leichter gewesen ist. Ihre vortrefflich<br />

verpackte Vorliebe zu Geographie<br />

und Wortspielen unterstrich sogleich<br />

Roswitha Matt. Ganze 84 Länder erfreuten<br />

sich dabei einer gänzlich neuen<br />

Bedeutung – absoluter „Taiwa(h)<br />

nsinn“! Über ihr sündhaftes, teilweise<br />

auch nokturnales Verlangen nach<br />

Süßigkeiten referierte in erfrischender<br />

Ehrlichkeit anschließend Lena<br />

Westreicher, die sich dabei in den<br />

Farben eines Waschbären zeichnete,<br />

weil „nachtaktiv, mit Augenringen,<br />

isst gern Müll“. Der gesunde Menschenverstand<br />

schien dann zuletzt in<br />

den Ausführungen von Cenet Weisz<br />

bedroht, dessen Bauanleitung eines<br />

grauenvollen Etwas aus Schwabbelscheiden,<br />

Kettenverbindern und<br />

Stopfpropfen selbst gewiefteste Ikea-<br />

Schrauber hätte durchdrehen lassen.<br />

Vier starke Texte, doch das Siegerpodest<br />

ist zwangsläufig ein einsames<br />

Plätzchen. Imaginäres Krönchen samt<br />

dem besseren zweier übrig gebliebener<br />

Schokohasen sicherte sich diesmal<br />

Roswitha Matt. Sie zeigte sich demütig<br />

im Sieg, großzügig mit ihrem<br />

Preis und wird überdies am Freitag,<br />

dem 28. Juni, um <strong>20</strong> Uhr in der Innsbrucker<br />

„Bäckerei“ um den Titel des<br />

Tiroler Slam-Meisters mitrittern.<br />

RUNDSCHAU Seite 41

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