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Berliner Zeitung 24.05.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 119 · F reitag, 24. Mai 2019 3· ·<br />

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Seite 3<br />

Angriff auf Utopia<br />

Bis zu 70000 Fans pilgernjeden Juni in die mecklenburgischen Weiten, um für ein paar Tage der Realität zu entfliehen.<br />

IMAGO IMAGES<br />

Mit jedem Kilometer verflüchtigt<br />

sich der Alltag ein wenig mehr.<br />

Aus den Lautsprechern im<br />

Auto dringen sphärische<br />

Klänge,ein Beat gesellt sich dazu. DerKofferraum<br />

ist vollgepackt mit allem, was man zum<br />

Camping braucht: Zelt, Kocher, Nudelpackungen,<br />

Getränke, Spiele. Jedes Mal ist es<br />

ein Wunder,dass wieder alles hineinpasst.<br />

VonBerlin aus geht es Richtung Norden.<br />

Auf der Autobahn erkennt jeder Wissende<br />

andere Reisende, die dasselbe Ziel haben.<br />

Junge Leute in alten, vollbesetzten VW-Bussen,<br />

manche schon mit Farbe und Glitter im<br />

Gesicht. Es ist so etwas wie eine Karawane –<br />

unterwegs zu ihrem SehnsuchtsortimFrühsommer,<br />

unterwegs zum Fusion-Festival.<br />

Dasfindet seit 1997 auf einem ausgedienten<br />

Militärflugplatz statt, ganz in der Nähe des<br />

Dorfes Lärz, irgendwo in den Weiten an der<br />

Mecklenburgischen Seenplatte.<br />

Dieses Festival beginnt nicht erst, wenn<br />

der erste Tonaus den Boxen dringt. Schon<br />

die Anreise gehörtdazu. EinGroßteil der Besucher<br />

kommt aus Berlin, kurzvor Wittstock<br />

gesellt sich eine weitere Karawane dazu, das<br />

sind die Fusion-Fans aus dem Raum Hamburg.<br />

Alle wollen zum „schönsten Festival<br />

der Welt“. Das mag etwas übertrieben klingen,<br />

aber nicht nur die Fans sehen es so.<br />

Auch Henry Tesch, der CDU-Bürgermeister<br />

der Nachbargemeinde Mirow, schwärmt in<br />

den allerhöchsten Tönen und spricht voneinem<br />

„einmaligen kulturellen Freiraum“.<br />

Fünf Tage „Ferienkommunismus“<br />

Doch die Fusion, wie die Szene sie nennt, ist<br />

akut in Gefahr.Noch ist unklar,obdie Polizei<br />

das Festival vom 26. bis 30. Juni überhaupt<br />

stattfinden lassen will –obwohl es zu den<br />

friedlichsten Open-Air-Festen gehört. Die<br />

Polizei plant einen Einsatz mit angeblich<br />

1000 Beamten, als stünde das Großtreffen einer<br />

kriminellen Rockergang an.<br />

„Die Leute wollen einfach nur friedlich<br />

feiern“, sagt Martin Eulenhaupt, einer der<br />

Veranstalter, ein Mann mit hoher Stirn und<br />

extra langem Haar.„Aber es sieht so aus, als<br />

würde sich die Polizei auf bürgerkriegsähnliche<br />

Zustände oder eine Großdemo von gewaltbereiten<br />

Extremisten vorbereiten. Dabei<br />

gab es hier nie ernsthafte Vorfälle.“ Die Politik<br />

müsse die Planungen schnell beenden.<br />

Bisher gibt es bei der Fusion ein klares<br />

Draußen und Drinnen: Draußen kontrolliert<br />

die Polizei die Zufahrtswege, drinnen bleiben<br />

die Besucher seit 22 Sommern unter<br />

sich, die Polizei wird nur im Notfall gerufen.<br />

DieLogik der Macher:Von uns geht keinerlei<br />

Gefahr für andereaus,deshalb hat die Polizei<br />

nur eine Aufgabe: Draußen abzusichern,<br />

dass wir drinnen friedlich feiernkönnen.<br />

Drinnen beginnt alles mit dem symbolischen<br />

Startder Rakete.Eine riesige zischende<br />

Kunstinstallation, die alljährlich bis zu 70000<br />

Festival-Kosmonauten fünf Tage lang auf einen<br />

fernen Planeten befördert. Mit Konzerten,<br />

Theater, Kino, Zirkus und buchstäblich<br />

durchtanzten Nächten bei Elektromusik.<br />

Doch vor dem Start der Rakete steht immer<br />

dasselbe Prozedere: Kurz vorm Ziel wird<br />

Das alternative Fusion-Festival in Mecklenburg gilt als eines der<br />

schönsten Open-Air-Feste der Welt. Und als eines der friedlichsten.<br />

In diesem Jahr ist es akut bedroht, weil die Polizei mit<br />

angeblich 1000 Beamten anrücken und streng kontrollieren will.<br />

Wasdie Veranstalter wiederum ablehnen.<br />

Es ist ein Konflikt zwischen denen, die maximale Freiräume wollen,<br />

und jenen, die maximale Sicherheit anstreben<br />

die Straße schmal, irgendwann blitzt vorn in<br />

der Schlange eine Polizeikelle auf. Ein Auto<br />

wirdauf einen Parkplatz voller Einsatzwagen<br />

gewunken. Hunde bellen. Zwei Dutzend Beamte<br />

räumen Kofferräume leer und suchen<br />

nach Drogen. Selbst bei denen, die nichts zu<br />

verbergen haben, sorgt dies für eine gewisse<br />

Angst: Es kann jeden treffen, und die Betroffenen<br />

erzählen, dass es Stunden dauern<br />

kann, bis die Polizei die Leute wieder fahren<br />

lässt. Viele fühlen sich kriminalisiert.<br />

Und diesmal will die Polizei nicht mehr<br />

draußen bleiben. Sieforderteine mobile Polizeiwache<br />

mitten auf dem Festivalgelände<br />

und will Uniformierte auf Streife schicken. Es<br />

fallen Sätzewie: „Sollen wir erst zum Einsatz<br />

kommen, wenn die Bombe explodiertist?“<br />

Gerade machte Zeit Online Teile eines<br />

Einsatzkonzepts öffentlich. Darin ist von<br />

Räumpanzern und Wasserwerfern die Rede,<br />

es sollen auch Spezialkräfte vor Ort sein, die<br />

es gewohnt sind, Demonstranten loszuschneiden,<br />

die sich in Gleisbetten anketten.<br />

DiePolizei will auch in Zivil „offene und verdeckte<br />

Aufklärungsmaßnahmen“ durchführen<br />

und in den sozialen Medien nach „geplanten<br />

Provokationen und Behinderungen“<br />

des Einsatzes suchen. Eine Sprecherin teilt<br />

mit, dass dies nur eine Möglichkeit von vielen<br />

sei.„WelcheVariante in welchem Umfang<br />

tatsächlich zur Anwendung kommt, wirdim<br />

Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Veranstalter<br />

oder sogar erst während des Einsatzesentschieden.“<br />

Fünf Tage „Ferienkommunismus“ – so<br />

lautet das Motto der Fusion. Es ist wie eine<br />

riesige Klassenfahrt. Beim Aufbau des Zelts<br />

ist das Hämmern von nebenan zu hören.<br />

„Haste mal ’nen Hering?“– „Klar, bedien’<br />

dich.“ Seifenblasen fliegen, ein paar Leute<br />

jonglieren mit Bällen, bunte Wimpel wehen<br />

im Wind, hier und da hat jemand eine Fahne<br />

gehisst: St.-Pauli-Totenkopf, Friedenstaube,<br />

Antifa. Ausder Fernewabernschon Techno-<br />

Bässe herüber,Kronkorken ploppen, Prost!<br />

Das Festival zieht vor allem Menschen<br />

aus alternativen und linken Milieus an.<br />

Schüler sind dabei, Studenten und ältereSemester,<br />

die früher im Zelt schliefen und<br />

VonJens Blankennagel und Sebastian Höhn, Lärz<br />

heute im komfortablen Wohnmobil übernachten,<br />

abends bei Kerzenschein am Tisch<br />

sitzen und auf die alten Zeiten anstoßen oder<br />

eine Marihuana-Zigarette kreisen lassen.<br />

Solche Szenen stören die Law-and-Order-<br />

Fraktion. Dabei ist bekannt, dass auf Großveranstaltungen<br />

aller Art meist von allem<br />

Möglichen zu viel konsumiert wird. So sind<br />

die 7,5 Millionen MaßBier beim Oktoberfest<br />

auch nicht gerade jene Menge, die für eine<br />

gepflegte Bierverkostung taugt, sondern<br />

eher für das kollektiveKomasaufen.<br />

Die inBerlin ansässigen Veranstalter der<br />

Fusion fühlen sich nun instrumentalisiertin<br />

A19<br />

MECKLENBURG-<br />

VORPOMMERN<br />

B198<br />

Wittstock<br />

A24<br />

Müritz<br />

Lärz<br />

BRANDENBURG<br />

Rheinsberg<br />

5km<br />

BLZ/GALANTY<br />

einem politischen Kampf, denn auch in<br />

Mecklenburg-Vorpommern will die rotschwarze<br />

Landesregierung das Polizeigesetz<br />

verschärfen. Undder Innenminister vonder<br />

CDU will mehr Härte und maximale Rechte<br />

für die Polizei. Die Veranstalter der Fusion<br />

stehen für das Gegenteil, sie stehen für maximale<br />

Freiräume.<br />

Ihren Ursprung hat die Fusion in den<br />

Techno-Kellern der Industrieruinen in Ost-<br />

Berlin nach dem Ende der DDR, irgendwann<br />

ging es dann raus auf’s Land –umungestört<br />

alternativeIdeen auszuleben.<br />

Wasdie Besucher erleben, ist eine Artreal<br />

existierende Utopie, eine Auszeit von der<br />

Realität, die vielen von ihnen gerade in Zeiten<br />

des allgemeinen Rechtsrucks und globaler<br />

Krisen immer bedrohlicher erscheint. All<br />

das ist nach dem Startder Rakete für ein paar<br />

Tage ganz weit weg. Die Stimmung ist zu allen<br />

Tages- und Nachtzeiten auffallend friedlich,<br />

es gibt kaum Drängeleien, kein bierseliges<br />

Macho-Gehabe. Niemand wird ausgegrenzt.<br />

Und Drogendealer, wie sie die <strong>Berliner</strong><br />

vom Görlitzer Park oder der Warschauer<br />

Brücke kennen, sind nicht zu sehen.<br />

Der Konflikt zwischen Polizei und Veranstalter<br />

findet inzwischen bundesweite Beachtung<br />

und ist zum Politikum geworden.<br />

Denn es treffen zwei Gegensätze aufeinander:<br />

Daist zum einen der Rechtsstaat, der<br />

immer weiter aufrüsten will und neue Möglichkeiten<br />

der Überwachung einfordert; und<br />

da sind die Macher der Fusion, denen es<br />

nicht nur um Party und Freiheit der Kunst<br />

geht, sondernauchumpolitischeDimensionen.<br />

Sie, die ein paar Tage lang gemeinsam<br />

Freiräume ausprobieren wollen, wissen:<br />

Wenn Polizisten in Uniformumherlaufen, ist<br />

bei den meisten Besucherndie Unbefangenheit<br />

dahin. Befürchtet wird, dass konservative<br />

Kreise und die Polizei dieses „linke Versuchslabor“<br />

unter dem Vorwand vonSicherheitsauflagen<br />

unmöglich machen wollen.<br />

„Wir haben das Sicherheitskonzept komplett<br />

überarbeitet und uns dafür extra Fachleute<br />

geholt“, sagt der Veranstalter Martin<br />

Eulenhaupt. „Wir glauben, dass es den Sicherheitsansprüchen<br />

genügt und dass die<br />

Mängel ausgeräumt sind.“ Über zwei Maßnahmen<br />

jedoch wollen dieVeranstalter nicht<br />

verhandeln. „Wir bleiben dabei: Die Polizeiwache<br />

auf dem Gelände und die anlasslose<br />

Bestreifung lehnen wir weiterhin ab.“<br />

Die Alternativszene will nicht zulassen,<br />

dass die Polizei ohne einen konkreten Tatverdacht<br />

über das Gelände streift. „Das wäreein<br />

Schritt zur Einschränkung der allgemeinen<br />

Bürgerrechte“, sagt Martin Eulenhaupt.<br />

„Nicht mit uns.“<br />

Jens Blankennagel<br />

denkt, dass die Fusion auch in<br />

diesem Jahr stattfinden wird.<br />

Wenn es dunkel wird, entfaltet die Fusion<br />

ihren ganzen Zauber. Unter surrealen, hoch<br />

in den Himmel ragenden Kunstinstallationen,<br />

in lauschigen Birkenhainen und zwischen<br />

grasüberwachsenen Bunkern, in denen<br />

einst Kampfflugzeuge standen, beginnt<br />

es bunt zu leuchten und zu glitzern. Voneiner<br />

benachbarten Tanzfläche sind treibende<br />

House-Rhythmen zu hören, Disco-Nebel<br />

verteilt sich zwischen Baumstämmen, zwischen<br />

denen unzählige Hängematten hängen.<br />

DerNebel über dem Waldboden ist psychedelisch<br />

illuminiert, die Bäume scheinen<br />

zu schweben. Nichts ist so, wie es bei Tag<br />

schien.<br />

In einem Zirkuszelt beginnt eine artistische<br />

Show,Performance-Künstler auf meterhohen<br />

Stelzen ziehen über das Gelände.Musikalische<br />

Klänge vermischen sich, neben<br />

Techno und Housesindauch mal Punk, Hip-<br />

Hop und Tango zu hören. Die Tanzflächen<br />

heißen Luftschloss, Schuhkarton, Turmbühne,<br />

Salón de Baile oder Roter Platz. Und<br />

keinerlei Werbung stört dieses kreativeTreiben,<br />

denn die Fusion ist ein strikt anti-kommerzielles<br />

Festival.Essoll nicht um Geld gehen,<br />

sondernumdie Freiheit des Geistes.<br />

DerDatenskandal<br />

Nun prüfen die Behörden, ob das neue Sicherheitskonzept<br />

des Veranstalters zulassungsfähig<br />

ist. Derweil hat die Polizei bestätigt,<br />

dass an der Polizeischule des Landes<br />

eine Abschlussarbeit zur Fusion geschrieben<br />

wurde. Dafür wurden wohl auch unerlaubterweise<br />

persönliche Daten herausgegeben –<br />

die nicht anonymisiert waren. Ein Datenskandal.<br />

Undnach Angaben vonZeit Online<br />

soll diese Abschlussarbeit ein Ausbilder betreut<br />

haben, der früher bei der AfD war und<br />

wegen einer Körperverletzung strafversetzt<br />

wurde an die Schule. Eine Polizeisprecherin<br />

betont nun, dass die Arbeit den Einsatzplanern<br />

vorher gar nicht bekannt gewesen sei<br />

und deshalb auch nicht in das aktuelle Konzept<br />

einfließen konnte.<br />

Die Veranstalter wollen die Sache nun<br />

prüfen lassen.„Wir sind schockiert“, sagt Eulenhaupt,<br />

„setzen aber weiter auf Kooperation.<br />

Wirwollenauf die Vertrauensebene zurückehren.<br />

Aber die Polizei muss abrüsten.“<br />

Nachdem die öffentliche Kritik massiver<br />

geworden ist, hat die Polizei immerhin bekannt<br />

gegeben, dass sie die Panzer und Wasserwerferaus<br />

ihrem Konzept gestrichen hat.<br />

NächsteWochewollen die Sicherheitsbehörden<br />

ihr Urteil bekanntgeben. Sollte die Fusion<br />

verboten werden, würde die Debatte<br />

erst richtig beginnen. Und dann ginge der<br />

Fall sicher vorGericht.<br />

„Wir wollen, dass das Festival so bleibt,<br />

wie es war“, sagt Martin Eulenhaupt. „Denn<br />

so, wie es war, war es gut. Undnichts deutet<br />

darauf hin, dass es besser wird, wenn wir die<br />

Maximalforderungender Polizei erfüllen.“<br />

Sebastian Höhn<br />

ist selbst bislang fünfmal zur<br />

Fusion gefahren.

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