Berliner Kurier 28.05.2019
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UNION AKTUELL<br />
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**<br />
Rote Trikots, rote Flammen,<br />
roter Rauch: Schon vordem<br />
Spiel herrscht am Stadion<br />
Riesen-Stimmung<br />
Um 22.28 Uhr<br />
explodiert Eisern<br />
Der Verein, seine Menschen, der ganze Bezirk -Jahrzehnte haben<br />
sie von diesem Moment geträumt.Das Glück ist ein Köpenicker!<br />
Von<br />
KERSTIN BISCHOFF<br />
Aus, aus, aus! Das Glück<br />
explodiert um 22.28<br />
Uhr! In dieser Sekunde<br />
ist alles zugleich da: die<br />
Jahrzehnte, die den 1.FC Union<br />
zu den Eisernen formten,<br />
die Aufbaujahre, die Enttäuschungen,<br />
das Aufrappeln. In<br />
diesem Moment vollendet<br />
sich die große, große Familie,<br />
die sich Union nennt. Tausende<br />
stürmen auf den Platz der<br />
Alten Försterei, Spieler und<br />
Fans liegen sich in den Armen,<br />
taumelnd, fassungslos in<br />
ihrer Euphorie. Viele weinen,<br />
manche scheinen zu beten.<br />
Präsident Dirk Zingler ersticken<br />
die Worte, bevor die<br />
Tränen kommen können,<br />
Trainer Urs Fischer geht in<br />
der Bierdusche unter. Alles<br />
schien vor diesem Abend<br />
möglich –doch das, was jetzt<br />
kommt, übertrifft es bei weitem.<br />
Vielleicht es das schönste<br />
Fußballfest, das Berlin jemals<br />
erlebt hat.<br />
Ein ganzer Kiez hat ihm entgegen<br />
gefiebert. Es ist 16 Uhr,<br />
als Frank Möller (36) seine<br />
Wohnung für den Abend<br />
schmückt. Er wohnt in der<br />
dritten Etage eines Altbaus,<br />
schräg gegenüber der Fankneipe<br />
„Abseitsfalle“. Zwei<br />
Union-Fahnen hat er am Balkon<br />
befestigt. Er sei „ein bisschen<br />
Fan“, sagt Möller. Ein-,<br />
zweimal im Jahr gehe er auch<br />
ins Stadion gegenüber. Heute<br />
nicht, er hat ein kleines Kind<br />
zuhause. Und dann nennt er<br />
seine Philosophie: „Wer an<br />
Gott glaubt, muss nicht unbedingt<br />
in die Kirche gehen.“<br />
Vom Balkon kann er die<br />
„Abseitsfalle“ sehen. Schon<br />
vor 16 Uhr sitzen die ersten<br />
Union-Begeisterten auf den<br />
Bänken vor dem Lokal. Die,<br />
die Karten bekommen haben,<br />
laufen in rot-weißen Trikots<br />
und Hüten und gleichfarbigen<br />
Schals viereinhalb Stunden<br />
vor dem Anpfiff den<br />
Waldweg nebenan ins Stadion.<br />
Scheinbar ein Endlosstrom,<br />
offenbar will kein Fan<br />
heute allein zuhause bleiben.<br />
Dirk Stellwag sitzt vor der<br />
Leinwand in der „Abseitsfalle“,<br />
neben ihm seine Frau, vor<br />
ihm ein Bier. Es ist 19.30 Uhr,<br />
die Kneipe ist voll, auch die<br />
Terrasse und der Biergarten<br />
gegenüber, auch die Straße<br />
vor der Fankneipe.<br />
Stellwag (50) ist ein Unionfan,<br />
seit er zehn Jahre alt ist.<br />
Er stammt aus dem Stendal,<br />
war aber immer für die Jungs<br />
aus Köpenick, die Underdogs,<br />
wie er erzählt. Er nippt an seinem<br />
Bier und überlegt, wie<br />
ihm gerade zumute ist. „Aufgeregt“,<br />
schreit er dann, um<br />
sich im Trubel verständlich<br />
machen zu können.<br />
„Ich möchte, dass Union<br />
heute den Aufstieg packt“,<br />
sagt Stellwag. Was wäre das<br />
für eine Karriere. „Ich habe<br />
Union von der vierten Klasse<br />
bis heute begleitet.“ Hoffnungsfroh<br />
ist auch Oliver<br />
Igel (SPD), Bezirksbürgermeister<br />
von Treptow-Köpenick,<br />
tippt auf zwei zu eins<br />
für Union.<br />
Kurz darauf sind die<br />
Sprechchöre und Gesänge aus<br />
der Alten Försterei zu hören.<br />
Die Fans machen sich warm.<br />
„Jetzt geht's lohos“, hallt es<br />
von der Terrasse der Kneipe.<br />
Als das Spiel beginnt, ist es<br />
in der Kneipe brechend voll.<br />
Trainer Urs Fischer ist<br />
vonBier umhüllt –nach<br />
dem Sieg bekam er eine<br />
Gerstensaft-Dusche.<br />
Als die Kamera vor dem Anpfiff<br />
auf Stuttgarts Mario Gomez<br />
schwenkt, gibt es Buhs.<br />
Anstoß. Stellwag stimmt in<br />
den Chor der Fans in der „Abstiegsfalle“<br />
ein: „Und wir lieben<br />
unseren Klub, und wir<br />
sind stolz auf ihn. 1. FC Union<br />
aus Berlin.“ Ein Aufschrei<br />
geht durch die Menge, als das<br />
Freistoßtor für den Union-<br />
Gegner fällt, ein Jubel, als das<br />
Tor annulliert wird.<br />
In der Halbzeitpause schüttelt<br />
Stellwag enttäuscht den<br />
Kopf, zupft sein Union-Hemd<br />
mit der 69 glatt, die für sein<br />
Geburtsjahr steht. „Das war<br />
nix“, sagt er. Nach der Pause<br />
ist kein Reinkommen mehr in<br />
die Kneipe. Doch die Euphorie<br />
ist bis vor die Tür zu hören.<br />
Jan Simon ist seit 1987<br />
Mitglied beim Fußballclub<br />
Berlin. Er sagt, wenn Union<br />
aufsteigt, dann werde er die<br />
ganze Nacht mit seiner Frau<br />
feiern.<br />
Uns so ist es dann auch. Um<br />
22.28 Uhr rasen die ersten<br />
Fans laut schreiend aus der<br />
Fankneipe. Simon hat Tränen<br />
in den Augen, liegt seiner<br />
Frau in den Armen.<br />
In Dirk Stellwag tobt das pure<br />
Glück. „Ich fühle mich, als<br />
würde Weihnachten, Ostern<br />
und Silvester auf einen Tag<br />
fallen.“ Bürgermeister Igel,<br />
der den Aufstieg im Stadion<br />
miterlebte, hat zunächst nur<br />
ein Wort parat: „Wahnsinn.“<br />
Der Aufstieg bedeute einen<br />
unglaublichen Imagegewinn<br />
für den Bezirk, ganz Deutschland<br />
werde Köpenick jetzt<br />
kennenlernen. Morgen will er<br />
die Mannschaft im Rathaus<br />
empfangen, sagt er, als die<br />
ersten Feuerwerksraketen in<br />
Köpenicks Himmel zischen.